Als Gott dem Berg erschien

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"Epiphanie“ im Islam: Gott erscheint nach muslimischer Auffassung nicht in einer menschlichen Gestalt, sondern er offenbart sich im Koran.

Das Erscheinen des Engels Gabriel in Gegenwart von Mohammed in der Mekka nahe gelegenen Höhle Hira’a im Jahre 610 war das ausschlaggebende Ereignis, mit dem die Prophetie Mohammeds und damit die Verkündigung des Islam begann. Damals sprach Gabriel zu Mohammed: "Ich bin Gabriel und du bist ab jetzt der Gesandte Gottes.“ Mit diesen Worten begann die Mission Mohammeds als Verkünder des Islam. Gabriel übertrug ihm in dieser ersten Begegnung die ersten Verse aus dem Koran: "Lies im Namen deines Herren, der erschuf!“ (Koran, Sure 96).

Man kann dieses Ereignis nicht mit der Epiphanie im christlichen Kontext gleichsetzen, es ist aber vergleichbar. Denn mit dem ersten Erscheinen Gabriels begann auch die Offenbarung des Korans. Gott erscheint nach muslimischer Auffassung zwar nicht in einer menschlichen Gestalt, er offenbart sich jedoch im Koran, weshalb der Koran als die Offenbarung Gottes im Islam gilt, während im Christentum Jesus Christus als die Offenbarung Gottes gilt.

"Wahy“ und "Tadschalli“

Der Koran verwendet den Begriff Wahy (Eingebung), um den Prozess der Übermittlung des Korans zwischen Gott und Mohammed mittels des Engels Gabriel zum Ausdruck zu bringen. Wahy bezeichnet also eher das Medium der Offenbarung und nicht unbedingt die Offenbarung selbst. Deshalb verwendet der Koran den Begriff Wahy auch in anderen Kontexten, so kommuniziert Gott laut Sure 16,68 mit der Biene mittels Wahy, auch der Teufel kommuniziert mit dem Menschen mittels Wahy (Sure 6,121). Wahy ist also eine Form der Kommunikation - nicht nur zwischen Gott und Mensch.

Die muslimischen Mystiker verwenden den Begriff Tadschalli, um Gottes Erscheinen zum Ausdruck zu bringen. Damit meinen sie jedoch kein personales Gotteserscheinen, sondern das Erfahren der Gegenwart Gottes - nicht die menschliche Gegenwart Gottes. Gott zeigt sich also nicht in einem Menschen, sondern erscheint im übertragenen Sinne im Herzen des Menschen. Der Koran verwendet Tadschalli in einer Begebenheit mit Moses, so heißt es in Sure 7,43: "Moses sagte: ‚Herr! Lass mich dich sehen.‘ Gott sagte: ‚Du wirst mich nicht sehen. Aber schau den Berg an! Falls er bei meinem Erscheinen fest auf seiner Stelle bleibt, wirst du mich sehen.‘ Als nun sein Herr dem Berg erschien, zerfiel der Berg zu Staub. Und Moses fiel wie vom Blitzschlag getroffen zu Boden.“ Ähnlich in Sure 20,10: "Als Moses zum Treffen kam, wurde ihm zugerufen: ‚Moses! Ich bin dein Herr. Zieh deine Schuhe aus! Du befindest dich im heiligen Tal Tuwa. Und ich habe dich als Verkünder auserwählt.‘“

Für die islamische Theologie ist es heute wichtig, religiöse Phänomene mit der Lebenswirklichkeit der Menschen in Bezug zu bringen: Was heißt für Muslime heute, dass Gott dem Berg erschien, oder sich im Koran offenbarte?

Gott tritt hiermit in die Geschichte ein. Er schaut nicht "von oben“ zu, sondern er ist gegenwärtig im Hier und Jetzt. Es liegt nun an uns Menschen, diese Gegenwart Gottes wahrzunehmen. Und am besten tun wir dies, indem wir ihn als den absolut Barmherzigen erfahren. Die Liebe und Barmherzigkeit Gottes sind überall gegenwärtig, nur übersehen wir diese manchmal, wenn wir nur das Schlechte in der Welt bzw. in den Menschen sehen. In den islamischen Quellen wird erzählt, dass ein Mann Moses nach Gott fragte, wo er denn sei. Moses zeigte auf einen armen Menschen und antwortete: "Geh zu diesem Armen, dort findest du Gott“. Gott erscheint, wo wir seine Liebe und Barmherzigkeit veranlassen. Er erscheint nicht als Person, jedoch als die hier und jetzt erfahrbare Liebe. Indem Gott jedem Menschen von seinem Geist einhaucht, erscheint etwas Göttliches in jedem Menschen und zwar in Form von Liebe und Barmherzigkeit. Wer diese entdeckt und stärkt, entdeckt und stärkt das Göttliche in sich und wer diese verliert, verliert das Göttliche in sich.

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