Als Partner ausgedient

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Die katholische Kirche muss jungen Intellektuellen substanzielle und herausfordernde Positionen bieten, fordert Markus Schlagnitweit.

Es gibt sie auch heute. Aber es gibt keine "sicheren" Orte mehr, wo man sie findet. Die akademischen Einrichtungen bilden jedenfalls nicht mehr per se "Plattformen junger Intellektualität". Hier findet sich eine große Zahl junger Menschen, die nichts anderes suchen als eine höhere berufliche Qualifikation - und denen dort oft auch nicht viel mehr geboten wird. (Das hat nicht unwesentlich mit dem Rückzug des Staates aus seiner auch finanziellen Verantwortung für die Universitäten zu tun.) Die Folge ist ein wachsender Anteil von Studierenden und Jungakademiker(inne)n, deren Freizeitverhalten und Umgang mit Fragen der Gesellschaft, Politik, Kunst und Kultur sich nicht erkennbar "als intellektuell" unterscheiden: Mitunter sogar hoch begabt in ihrem Fachgebiet, zeigen sie sich darüber hinausgehender geistiger Ansprüche weitgehend abhold.

Es gibt aber umgekehrt auch junge Menschen ohne universitäre oder gleichwertige Bildung, die zweifellos als "intellektuell" zu bezeichnen sind. Für mich ist ein intellektueller Mensch jemand, der seine geistigen Kräfte über den unmittelbaren Horizont seiner beruflichen Aufgabenstellungen hinaus gebraucht, um "Zeichen der Zeit" erkennen und kritisch deuten zu können und in solcherart gesellschaftlich, kulturell, wissenschaftlich und politisch relevanten Themenstellungen neue Einsichten und Handlungsoptionen zu gewinnen.

Kirchliche Orte der Begegnung

Katholische Hochschulgemeinden (KHGs) galten in Österreich lange Zeit als Horte junger Intellektualität und "Brutstätten" einer innerkirchlichen Avantgarde: In den ersten Nachkriegsjahrzehnten boten sie kirchlich gebundenen, aber kritischen jungen Intellektuellen genau den Experimentierraum, den sie suchten - und zwar in einer direkten Absetzbewegung von den religiösen Ausdrucksformen und Antworten der Elterngeneration. Heute fehlt jungen Menschen weitgehend dieser Drang nach Emanzipation von übermächtigen Traditionen - im Gegenteil: Es gibt wieder verstärkt das Bedürfnis nach Orientierung in einem überbordenden "Sinn-Angebot", nach Beheimatung im anonymisierten Massenbetrieb "Universität", nach Vergemeinschaftung in einer auf praktisch allen Ebenen fragmentierten Gesellschaft. Anstelle von Aufbruchstimmung also eher die Suche nach Ankerplätzen.

Trotzdem wird heute in den Programmen der meisten KHGs immer noch versucht, intellektuellen Anspruch hochzuhalten. Aber dieser darf nicht mehr selbstverständlich von den jungen Menschen selbst erwartet werden, sondern muss ihnen eher einmal vorgestellt und angeboten werden: als Möglichkeit, als Herausforderung und Chance zu geistiger Entwicklung und Wachstum.

Pragmatischer Zugang

Im Vergleich zu früheren Intellektuellen-Generationen spielt der Diskurs der großen politischen Ideologien oder zwischen Naturwissenschaften und Theologie heute eine sicher geringere Rolle. Die meisten jungen Intellektuellen beschäftigen sich heute eher auf einer pragmatischen Ebene intensiv mit Fragen der gesellschaftlichen und politischen Entwicklung im Kontext von Pluralismus, Globalisierung, weltweiter Ungerechtigkeit, ökologischer Ausbeutung et cetera.

Die drängenden Zukunftsfragen sind für sie also vor allem sozial-, wirtschafts- und umwelt-, teilweise auch bioethischer Natur, außerdem Fragen der Demokratieentwicklung auf nationaler und internationaler Ebene, des interkulturellen Zusammenlebens bzw. der kulturellen Identität in einer durch Globalisierung und Migrationsströme geprägten Welt. Welchen Beitrag können die Wissenschaften hier leisten? Welche Gerechtigkeitskonzepte braucht eine nachhaltig funktionierende Weltgesellschaft? ... Daneben spielen Fragen der persönlichen Lebensgestaltung naturgemäß auch eine wichtige Rolle, wenngleich weniger im Fragehorizont traditioneller Individualmoral, sondern eher in Richtung beruflicher und wissenschaftlicher Orientierung, Lebensplanung, Vereinbarkeit von Partnerschaft bzw. Familie und Beruf (auch angesichts immer unsicherer werdender Erwerbs- bzw. Berufsbiografien) et cetera. Aber Kirche ist hier nur noch selten als kompetente Gesprächspartnerin gefragt. Viele junge Menschen trauen der Kirche kaum mehr zu, hier etwas für sie Relevantes und Brauchbares sagen zu können.

Das dürfte zum einen an konkreten Erfahrungen mit einem (auch geistig) alt gewordenen Klerus liegen beziehungsweise mit einem oft nicht auf ihrem intellektuellen Niveau agierenden oder sprechenden Pastoralpersonal; zum anderen liegt dieser Verlust kirchlicher Themenkompetenz an offiziellen Lehramtspositionen der Kirche selbst, die bei vielen jungen Intellektuellen einfach keine Akzeptanz mehr finden.

Gut zuhören

Aus all diesem ergeben sich nachfolgende Bedingungen einer fruchtbaren Begegnung:

* Zuallererst gut zuhören; dann erst in zeitgemäßer Sprache sowie präzise und profiliert auf gestellte Fragen antworten, und jene Fragen ehrlich offen lassen, auf die man selbst keine überzeugende Antwort weiß - anstelle von Besserwisserei und oft genug formelhaft erlebten Antworten auf nicht gestellte Fragen!

* Keine flache Anbiederung (sei es nun im Stil der modernen Event-Kultur, einer zeitgeistigen Seelen-Wellness oder einer jovial-trivialen Lässigkeit), sondern "mit offenem Visier" und dort in den Diskurs treten, wo man etwas zu sagen hat - ohne Angst, damit jemanden zu vergraulen oder zu überfordern! Junge Intellektuelle wissen sich kaum schon von vornherein der Kirche zugehörig; sie können deshalb gar nicht "verloren", sondern höchstens gewonnen werden! Das aber nur durch unverwechselbare, substantielle und glaubwürdige Positionen.

* Deshalb auch Schluss mit der Infantilisierung des Glaubens bzw. des kirchlichen Laienstandes, wie sie gerade in den letzten Jahren wieder in vielen kirchlichen Bewegungen, kirchenamtlichen Verlautbarungen und medial aufgeblasenen Kirchenevents salonfähig geworden zu sein scheint! Stattdessen: Bemühen um Qualität, Niveau und Profil des Diskurses, aber auch der Liturgie, der Predigt und anderer Orte der kirchlichen Begegnungsmöglichkeit mit jungen Intellektuellen.

Ernst nehmen

Junge Intellektuelle wollen als eigenständige, erwachsene Dialogpartner ernst genommen werden - nicht etwa als kirchliches Nachwuchspotenzial, das man besonders pfleglich behandeln muss und für das man sich in Wirklichkeit nur aus "kirchenegoistischen" Gründen interessiert.

Junge Intellektuelle lassen sich heute nur auf eine Beziehung mit der Kirche ein, wenn sie das Gefühl haben, hier substanzielle, unverwechselbare, herausfordernde Positionen zu finden - und zugleich Orte, wo es wirklich um ihrer selbst willen um sie und ihre eigenen Fragen und Themen geht. Und nicht um mehr oder weniger geschicktes Marketing zur Bindung neuer Kundinnen und Kunden.

Der Autor ist Hochschulseelsorger in Linz sowie Direktor der Katholischen Sozialakademie Österreichs.

Überarbeiteter Auszug aus dem Vortrag des Autors beim Symposion "Der mündige Christ", das Ende Jänner aus Anlass des 100. Geburtstags von Karl Strobl, dem legendären Wiener Hochschulseelsorger, im Otto-Mauer-Zentrum (Wien 9) stattfand (zu Karl Strobl vgl. das Dossier in Furche 03/2008, herunterzuladen auch unter www.furche.at).

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