Alt werden, Kind bleiben

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"Sehen Sie sich doch den Menschen in den Augenblicken tiefsten Leidens, tiefster Freude an: Das Gesicht wird kindlich, die Bewegungen werden es, die Stimme bekommt die Biegsamkeit wieder, das Herz klopft wie in der Kindheit, die Augen glänzen oder trüben sich. Gewiss, wir suchen das alles zu verstecken, aber es ist doch deutlich da“, schreibt der Arzt Georg Groddeck 1923 in einem Brief an eine "liebe Freundin“, um ihr das Unbewusste zu erklären.

Was Groddeck in diesen Zeilen phänomenologisch beschreibt, hat Arnold Mettnitzer ins Zentrum seines jüngsten Buches gestellt. "Das Kind in mir“ lautet der Titel dieses Opus, in dem der mittlerweile 60-jährige, ehemalige Seelsorger, begeisterte Erwin- Ringel-Schüler und nunmehrige Psychotherapeut in freier Praxis "Perspektiven eines geglückten Lebens“ skizziert. Mettnitzer bietet der Leserschaft ein buntes Potpourri aus eigenen (durchaus selbstkritischen) Lebenserinnerungen, berührenden Gedichten und gesellschaftskritischen Analysen. Er thematisiert die Erfahrung vieler, in diesem Zeitalter steter Beschleunigung ein Leben auf der Überholspur führen zu müssen - und dabei die Fähigkeit zu verlieren, im Augenblick zu leben, begeistert zu bleiben, offen zu werden und im besten Sinne unbekümmert zu sein.

Das alles könne man von den Kindern lernen und sich bis ins hohe Alter erhalten, ist Mettnitzer überzeugt. Doch es falle vielen so unglaublich schwer. Gerade die christliche Religion, die oft genug als "Vertröstungsreligion“ missdeutet worden sei, biete freilich mit dem Neuen Testament ein "leidenschaftliches Plädoyer für die Ewigkeit im Hier und Jetzt und Heute“, wie sie Kinder erleben: "Auf der Bühne des Lebendigen“, schreibt der Therapeut, "gibt es kein geglücktes und erfülltes Leben ohne dieses Kind, das jeder Mensch einmal war und im Grunde seines Herzens bis zum Ende seines Lebens bleiben wird.“ (dh)

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