"Alter" Katholik und Altkatholik

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Der bayrische Theologe Ignaz von Döllinger war ein brillianter Querkopf: Obwohl er die katholische Kirche nie verließ, gehörte er zu den Gründern der Altkatholiken.

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Der bayrische Theologe Ignaz von Döllinger war ein brillianter Querkopf: Obwohl er die katholische Kirche nie verließ, gehörte er zu den Gründern der Altkatholiken.

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Das Leben des großen Gelehrten Ignaz von Döllinger (28. Februar 1799 - 10. Jänner 1890) ragt in unsere Zeit hinein. Die gegenwärtigen Auseinandersetzungen um die theologischen Fakultäten, um das Verhältnis von Universal- und Ortskirche, die Kollegialität der Bischöfe und ihre apostolisch begründete Dignität und nicht zuletzt um die Mitwirkung der Laien in der Kirche haben einige nachdenklich machende Parallelen im vorigen Jahrhundert.

Wer war dieser Mann, der die katholische Geschichtswissenschaft auf die Höhe der protestantischen hob und den Dialog mit den Reformbewegungen in England und Frankreich und mit anderen Fakultäten führte? Als katholischer Priester, 64 Jahre lang Professor für Kirchengeschichte und Kirchenrecht in München, Führer des deutschen Parlamentskatholizismus in der Frankfurter Paulskirche (1848) und Verfasser monumentaler Geschichtswerke sah er sich in die widerstreitenden Tendenzen von Restauration und Revolution, kurialer Beharrung und (historisch-kritischer) Öffnung der Kirche hineingestellt.

Kirche ist für ihn - biblisch heilsgeschichtlich begründet - Gemeinschaft und Leib Christi. Die bischöfliche Sukzession und kirchliche Amtsgewalt allein können sie nicht vor Irrwegen bewahren. Amt ist Dienst. Die Rolle der wissenschaftlichen Theologie und das Charisma der kirchlichen Amtsgewalt sieht er im Zusammenhang mit der "gesunden öffentlichen Meinung als außerordentlicher Gewalt in der Kirche" (sensus fidelium). Immer wieder thematisiert er die apostolischen Grundlagen, aus denen sich die Kirche - wie ein Baum aus den Wurzeln - entfaltet. Wenn er von der "Wiedervereinigung" der Kirchen spricht, denkt er nicht einfach an Rückkehr der andern, sondern auch an Änderung der Römischen Kirche. Sein unermüdliches Forschen und kirchliches Engagement führen ihn schließlich in die ökumenische Weite.

Es ist nicht ohne Tragik, wie Döllinger als Gelehrter von europäischem Ruf in die Auseinandersetzung um den zerbrechenden Kirchenstaat und das I. Vatikanum (unausweichlich?) hineingezogen und ins Abseits gedrängt wurde.

Streiter für die grössere Selbständigkeit der Ortskirche, für Freiheit der Kirche und Theologie Als Berater der deutschen Bischofskonferenz 1848 regt Döllinger die Schaffung einer deutschen "Nationalkirche" unter Anerkennung des historischen Primats und ungehinderter Verbindung mit Rom an. Eine Nationalsynode sollte den Weg dazu bereiten. Dies führte - auch dies ist eine Parallele zur Gegenwart! - durch Denunziation zu römischem Mißtrauen. Es war die Zeit, als sich das Zerbrechen des Kirchenstaates abzeichnete.

Die Kirche sei älter als der Kirchenstaat und der Nachfolger Petri müsse sich nicht an etwas Vergänglichem anklammern, lautete Döllingers These in den Odeonvorträgen 1861, wodurch freilich die Kluft zu Rom wuchs. Döllinger aber war alarmiert. Er hatte sich schon gegen das 1854 von Pius IX. ohne Konzilsentscheidung verkündete Dogma von der Unbefleckten Empfängnis Mariens gewandt, weil darüber nichts geoffenbart und überliefert sei.

Jetzt kündigte sich das I. Vatikanische Konzil an, bei dem unfehlbare Ex-cathedra-Entscheidungen grundsätzlich ermöglicht werden sollten. Döllinger machte einen letzten Versuch, die Kluft zu überbrücken. In programmatischer Weise redete er 1863 vor 84 Theologen der Münchener Gelehrtenversammlung über die "Vergangenheit und Gegenwart der katholischen Theologie". Die Theologie habe eine prophetische Funktion, sie müsse wissenschaftlich auf der Höhe der Zeit stehen, so gewähre sie der "öffentlichen Meinung in der Kirche" den gebührenden Rang. Das alte von der Scholastik gezimmerte Wohnhaus sei baufällig geworden. Verschiedene Richtungen in der Theologie müßten sich wechselseitig Bewegungsfreiheit lassen ...

Pius IX. antwortete 1864 mit dem Syllabus, der Verurteilung von 80 "Zeitirrtümern", unter anderem mit der Verwerfung der Gewissens-, Religions-, Versammlungs- und Pressefreiheit. Das wurde als unnötige Kriegserklärung an die moderne Welt verstanden.

Anführer der Opposition und Haupt der altkatholischen Bewegung Döllingers Position war klar: Das Dogma darf nicht gegen die apostolische Tradition stehen und erst recht nicht die Geschichte vergewaltigen. Entschieden wandte er sich deshalb gegen die 1870 auf dem I. Vatikanum erfolgte Verkündigung der Unfehlbarkeit und des Universalprimats des Papstes. Vergeblich. "Weder als Christ, als Theologe, als Geschichtskenner noch als Bürger" könne er die neuen Glaubensartikel annehmen, schrieb er an den Münchner Erzbischof G. von Scherr. Dieser belegte ihn am 17. April 1871 mit der feierlichen Exkommunikation. Döllinger hielt sie bis zu seinem Tod für unberechtigt und damit auch für unwirksam. In der neu definierten absoluten Zentralgewalt sah er den Grund "zu endloser Zwietracht in der Kirche" voraus. Die "Modernismuskrise" des 20. Jahrhunderts und die Kirchenvolksbegehren unserer Tage bestätigen ihn.

Döllingers Schaffenskraft blieb trotz der Schwierigkeiten ungebrochen: Wie viele Theologen, Wissenschaftler und Tausende von Laien zieht er sich nicht in den Schmollwinkel zurück. 1871 wird er erneut zum Rektor der Universität und 1873 zum Präsidenten der Akademie der Wissenschaften gewählt. Seine akademischen Vorträge, unter anderem über die "Wiedervereinigung der christlichen Kirchen" (1872) und "Die Juden in Europa" (1881), worin ihm - wie J. Finsterhölzl urteilt - "nur die erleuchtetsten der Konzilsväter des II. Vatikanums zu vergleichen sind", sind richtungsweisend. Er arbeitet über die Moralstreitigkeiten und Sektengeschichte des Mittelalters und zu den Quellen des Trienter Konzils. Im Auftrag der altkatholischen Unionskommission lädt er 1874/1875 orthodoxe, anglikanische, altkatholische, evangelische Theologen zu den "Bonner Unionskonferenzen" ein. Er ist der wichtigste Theologe der altkatholischen Bewegung.

Katholik der alten Kirche und Altkatholik Döllinger wollte kein Schisma und nicht "Altar gegen Altar" stellen. Doch tragen die Erklärungen der ersten Altkatholikenkongresse 1871/72 seine Handschrift. Er billigte ausdrücklich die Abhaltung der ersten Synode und die Wahl eines eigenen Bischofs, freilich nach dem Vorbild der altkirchlichen Missionsbischöfe. Mündlich und schriftlich bekannte er sich zur altkatholischen Gemeinschaft, auch wenn er ihr nicht im konfessionellen Sinn angehören konnte: Eine altkatholische Kirche gab es zu seinen Lebzeiten in Bayern nicht.

Wahr ist, daß er mit einigen ihm zu radikal erscheinenden Reformen, vor allem mit der Abschaffung des Pflichtzölibates zu diesem Zeitpunkt (1878) nicht einverstanden war. Wahr ist auch, daß er aus Loyalität gegenüber dem bayerischen Staat, der Akademie und dem Königshaus niemals mehr als Priester zelebriert hat, wohl aber nahm er außerhalb Bayerns an altkatholischen Gottesdiensten teil: er wollte auch loyal gegenüber seinen Freunden sein. P. Neuner urteilt: "Er wollte Katholik der alten Kirche bleiben und zugleich Altkatholik sein."

Ein Theologe, der in der Mitte des 19. Jahrhunderts für die Freiheit der Theologie eintritt, von der Kollegialität der Bischöfe und ihrer apostolischen Stellung und nicht zuletzt von der aktiven Rolle der Laien in der Kirche spricht, der vor allem der Christenheit den Weg der Ökumene als "Vielfalt in der Einheit" zeigt, darf auch heute als aktuell gelten, als mahnendes Beispiel, noch mehr als "Wegbereiter einer menschlichen und christlichen Gemeinschaft in Freiheit und Bindung ökumenischer Katholizität" (W. Küppers).

Der Autor ist Bischof der Altkatholischen Kirche Österreichs.

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