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„Altgedienter Carabiniere“

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Der Weg des HL Offiziums zur Kongregation für die Glaubenslehre

Im Jahr 1965, noch während des Konzils, hat Kardinal Alfredo Ottaviani zu einem Journalisten gesagt „Mein Sohn, 75 Jahre sind 75 Jahre. Ich habe diese Jahre gelebt, indem ich gewisse Wahrheiten und gewisse Gesetze verteidigt habe. Wenn du einem alten Garaibiniere sagst, die Gesetze hätten sich geändert, dann ist doch klar, daß er als altgedienter Carabiniere alles tun wird, damit sie sich eben nicht ändern. Wandeln sie sich dennoch, so würde ihm Gott sicher die Kraft geben, einen neuen Schatz zu verteidigen, an den er glaubt Sobald die neuen Gesetze in den Schatz der Kirche eingegangen sind und sozusagen ihren Goldvorrat bereichert haben, zählt nur noch ein Prinzip: der Kirche dienen. Und der Kirche zu dienen heißt, ihren Gesetzen zu folgen. Wie eöi Blinder. Wie der Blinde, der ich bin.“

Vor einem Jahr haben sich zusammen mit vielen anderen Gesetzen der Kirche auch einige in Ottavianis eigenem Haus geändert: im Heiligen Offizium. Die Frage ist naheliegend, ob der Kardinal und seine Mitarbeiter in diesem Jahr den neuen Gesetzen „blind“ gefolgt sind oder ob nach des Kardinals eigenem Wahlspruch alles gleichgeblieben ist — „Semper idem“.

Personelle Neuordnung

Die Wahl der Anfangsworte des päpstlichen „Motuproprio“ über die Reform des Heiligen Offiziums vom 7. Dezember 1965: „Integrae servan-dae — unversehrt bewahren“ ist seinerzeit manchem als schiechtes Omen für eine wirksame Erneuerung der „Obersten Kongregation des Heiligen Offiziums“ erschienen. Der Geist der einstigen Inquisition, fürchteten viele, werde sich trotz der Namensänderung in die „Kongregation

Aber die wichtigste Voraussetzung für eine Reform dieser Kongregation hat das päpstliche „Motuproprio“ bereits geschaffen: die mittelalterliche Gestalt des „Kommissars“ ist verschwunden. Seit den Tagen der Inquisition wurde dieser dritthöchste Exekutivposten der Kongregation, der dem Amt eines Generalstaatsanwalts in einem modernen Staatswesen vergleichbar war, von den Dominikanern besetzt, deren Ordensnamen der römische Volkswitz in „Domini canes“ abwandelt: in der Tat war im allgemeinen der dominikanische Kommissar der schärfste „Wachhund“ des Hedligen Offiziums. Er „bellte“, sobald er eine Gefahr für Glaube und Sitte wahrzunehmen glaubte, strengte gegebenenfalls einen Prozeß an und gewann diesen auch meist, weil ihm das Korrektiv einer ausreichenden Verteidigung fehlte. Der letzte Kommissar ist vom Papst am 10. Februar 1966 zum Apostolischen Administrator der Erzdiözese Amalfl in Süditalien ernannt worden.

An seine Stelle trat zwei Tage später als neue „Nummer 3“ mit dem Titel eines Untersekretärs der Kongregation (nach Kardinal Ottaviani als Propräfekt und Erzbischof Parente als Sekretär) der 55jährige belgische Kanoniker und Professor Charles Moeller. Er verkörpert für viele die Hoffnung auf eine wirksame und sinngemäße Durchführung der vom Papst dekretierten und vom Konzil gewünschten Reformen der Kongregation. Er selbst sieht sich nicht als einen „Wächter der Rechtgläubigkeit“, sondern als einen „Förderer der Wahrheit“. Er will die Kongregation aus ihrer bisherigen ängstlich-verschlossenen Verteidigungshaltung herausführen und sie dem Dialog mit der heutigen Weit öffnen.

„Kolloquium“ statt Prozeß

Einen ersten konkreten Ausdruck %tnd Erfolg fand diese Haltung des neuen Dritten Mannes darin, daß die Kardinäle König und Mareila als die Präsidenten der Sekretariate für die Nichtgläubigen und für die Nicht-christen zu Mitgliedern der Kongregation ernannt wurden. Ubermäßig große praktische Bedeutung darf man dem jedoch nicht beimessen. Kardinal König wird nur sehr selten an den wöchentlichen Sitzungen der Kongregation teilnehmen können, und eine schriftliche Stellungnahme wird vielfach nur geringeren Effekt erzielen als eine überzeugend vorgetragene Argumentation. Von den 15 Mitgliedskardinälen (neun Italiener, zwei völlig „akklimatisierte“ nichtitalienische Kurienkardinäle, drei residierende Erzbischöfe) wird demnach auch künftig der deutsche Kurienkardinal Bea bei den Routinesitzungen als einziger die Fahne des gemäßigten Progressisten hochhalten.

Der erste, der mit der neuen Verfahrensweise des ehemaligen Heiligen Offiziums konfrontiert wurde, ist der niederländische Studentenseelsorger Jan van Kilsdonk SJ. Er wurde Anfang Juli dieses Jahres zu einem sogenannten „Kolloquium“ mit zwei Konsultoren der Kongregation nach Rom gebeten, in dem er seine Ansichten über die Jungfrauengeburt und die Gottheit Christi darlegen sollte. Das Gespräch begann schon mit einem unerwarteten Zugeständnis: Van Kilsdonk mußte nicht beschwören, das Gespräch geheimzuhalten. Nach dem dreistündigen Kolloquium, dessen Protokoll ihm zur Korrektur übersandt wurde, zeigte sich van Kilsdonk einem Journalisten gegenüber durchaus befriedigt über Art und Weise der Gesprächsführung.

Früher wußte ein Beschuldigter oft nicht einmal, daß beim Heiligen Offizium ein Verfahren gegen ihn anhängig -wem; r erfwtar es meist erst mit der Obersendung des Urteils. Dieses mittelalterliche Vorgehen bezeichnete Kardinal Frings in einer scharfen Konzilsrede am 8. November 1963 als einen Schaden für die Kirche und ein Ärgernis für die Nichtkatholiken. Er erhob damals die „strenge Forderung“, vom Heiligen Offizium dürfe fortan niemand angeklagt oder gar verurteilt werden, ohne daß er und sein Ortsbischof vorher gehört würden, ohne daß er die Gründe kenne, die gegen ihn vorgebracht würden, und ohne daß ihm Gelegenheit gegeben worden sei, das von ihm Gesagte und Geschriebene zu korrigieren.

Die Reform des Heiligen Offiziums hat dieser fundamentalen Forderung rechtlichen Denken entsprochen. Heute hat jeder „Angeklagte“ das Recht und die Möglichkeit, seine mündlichen und schriftlichen Äußerungen, die der Kongregation bedenklich erscheinen, in einem „Kolloquium“ mit einem Untersuchungsausschuß zu rechtfertigen. Fällt das Urteil der Kongregation negativ aus, dann wird bei Publikationen dem Autor empfohlen, den beanstandeten Teil zu ändern. Weigert er sich, dann wird er aufgefordert, das betreffende Buch aus dem Handel zu ziehen. Verurteilungen werden künftig nur in außergewöhnlichen Fällen ausgesprochen werden, und niemals ohne vorhergehende Abstimmung mit dem zuständigen Ortsbischof oder der Bischofskonferenz. Den einzelnen Bischöfen und den Bischofskonferenzen ist überhaupt die bisher vom Heiligen Offizium zentral ausgeübte Überwachungsfunktion weitgehend delegiert worden.

„Index“ außer Kraft

Der berühmt-berüchtigte Index, der seit 1547 jene Publikationen verzeichnete, die nach Ansicht des Heiligen Offiziums eine Gefahr für Glaube und Sitte darstellen und deshalb von den Gläubigen nicht gelesen werden durften, existiert praktisch nicht mehr. In einer Verlautbarung der Kongregation für die Glaubenslehre vom 14. Juni 1966 heißt es, der „Index der verbotenen Bücher“ habe fortan nicht mehr den juridischen Wert eines Kirchengesetzes mit den damit verbundenen Sanktionen gegen die verbotenen Bücher selbst und gegen jene, die sie lesen und verbreiten. Die Bedeutung und der moralische Wert des Index im Sinne einer Aufforderung an das Gewissen jedes Christen, keine für Glaube und Sitte schädlichen Publikationen zu lesen, bleibe jedoch erhalten; wer dieser Verpflichtung zuwiderhandle, sündige, wenn er auch keine Kirchenstrafe mehr auf sich ziehe. Die Kongregation pocht damit zum erstenmal, im Sinne des Konzils, nicht mehr auf Gesetz und Autorität.

In den vier Jahrhunderten seines Bestehens sind rund 10.000 Bücher auf den Index gesetzt worden. Die zuletzt veröffentlichte Verbotsliste (1948) enthielt noch rund fünftausend Titel, der Großteil davon aus früheren Jahrhunderten. Nach 1948 sind noch Werke von 35 Autoren indiziert worden, unter ihnen Sartre, Malaparte, Moravia und Gfide.

An die Stelle der „Sezione per ht censura“, die bisher die Buchzensuren erteilte, ist mit der Reform des Heiligen Offiziums eine Studienabteilung getreten, die sich in positiver und nicht mehr negativer Weise mit den verschiedenen theologischen Tendenzen und den in der Diskussion stehenden Fragen befaßt und darauf achtet, daß das Depositum der geoffenbarten Wahrheit unangetastet bleibt.

Kontakt mit den Bischofskonferenzen

Auf die Studien dieser neuen Abteilung geht das Zehnpunkteschveben über zunehmende mißbräuchliche Auslegungen der Lehre des Konzils ... und ebenso über fremdartige und kühne Lehrmeinungen“ zurück, das Propräfekt Ottaviani unter dem Datum des 24. Juli 1966 an die Vorsitzenden der Bischofskonferenzen gerichtet hat. Es spricht sehr für den neuen Geist der Kongregation, daß sie die ihr bedenklich erscheinenden Tendenzen zunächst einmal der Aufmerksamkeit der Bischofskonferenzen empfohlen und um deren Stellungnahme gebeten hat. Hier haben sich die Gefolgsleute der Reform gegenüber jenen durchgesetzt, die dafür plädiert hatten, die Kongregation sollte unmittelbar und mit starker Hand gegen diese Tendenzen einschreiten, denn ein gefährlicher Tumor müsse zur rechten Zeit entfernt werden. Es bleibt abzuwarten, ob die Kongregation „demokratisch“ den Voten der Bischofskonferenzen Rechnung trägt und in der von der Mehrheit gewünschten Weise agiert.

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach dem neuen internen Regolamento der Kongregation, das inzwischen „ad experimentum“ eingeführt worden ist und später der neugeschaffenen Bischofssynode zur Approbation unterbreitet werden soll. Das päpstliche „Motuproprio“ vom 7. Dezember 1965 bestimmt unmißverständlich, die neue Geschäftsordnung werde zusammen mit einer besonderen Instruktion veröffentlicht. Kardinal Ottaviani äußerte dagegen in einem Privatgespräch im April dieses Jahres die Ansicht, das werde nicht geschehen. Wollte der ..altgediente Carabiniere“ die Veröffentlichung des neuen Regolamento tatsächlich verhindern, so wäre er nicht gut beraten. Die Kongregation für die Glaubenslehre wird sich nur dann endgültig von dem anrüchigen Erbe der Inquisition und des Heiligen Offiziums freimachen können, wenn sie ihre Karten offen darlegt — und wenn ihre wichtigste Karte, das internie Regolamento, ein Trumpf ist.

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