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300 evangelische Theologen aus ganz Europa kommen nach Wien, um über Grenzen zu kommunizieren.

Jede Grenze hat zwei Seiten. Die im Mai 2005 errichtete Sperranlage im Nahen Osten ist so eine Grenze mit zwei Seiten. Auf der einen Seite Israel, auf der anderen Seite die Palästinenser-Gebiete. Für die eine Seite eine Grenze, die Schutz und Sicherheit vor Selbstmordanschlägen garantieren soll, für die andere Seite eine unüberwindbare Hürde, welche die palästinensische Bevölkerung abschneidet von Wasser, Märkten und Arbeitsplätzen.

Über die Bedeutung von Grenzen werden rund 300 evangelische Theologen kommende Woche beim XIII. Europäischen Kongress für Theologie in Wien diskutieren, zu dem die Wissenschaftliche Gesellschaft für Theologie einlädt. Thema: „Kommunikation über Grenzen“.

Als fünf Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges die Europäische Gesellschaft für Kohle und Stahl gegründet wurde, war man bestrebt, nationale Grenzen zu überwinden. Es war der Beginn des Europäischen Einigungsprozesses, der bis heute im Gange ist.

Der eiserne Vorhang

Europäer waren begeistert, als der eiserne Vorhang 1989 zu Fall kam. Westberliner und Ostdeutsche trugen gemeinsam die Berliner Mauer ab, Außenminister Alois Mock durchschnitt unter Jubel mit seinem ungarischen Amtskollegen Gyula Horn den Stacheldrahtzaun bei Sopron. Reist man heute durch Europa, braucht man weder Pass noch Wechselstube.

Dennoch, das Thema Grenzen ist wieder aktuell. „Nachdem die Prozesse der Grenzöffnung weit vorangeschritten sind, kommt jetzt eine Gegenbewegung“, erklärt Ulrich Körtner, evangelischer Theologe an der Universität Wien und Referent beim Kongress. Der Konflikt in Belgien zwischen Wallonen und Flamen, die Unabhängigkeitsbestrebungen der Basken in Spanien und die ungelösten Konflikte am Balkan zeigen, dass über Grenzen gestritten wird. „Plötzlich merken wir, dass das Phänomen von Grenzen im politischen Bereich längst nicht vom Tisch ist“, so Körtner.

„Wir begegnen heute aber auch Grenzen zwischen Kulturen, Ethnien und Religionen“, sagt der stellvertretende Vorsitzende der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie, Christoph Schwöbl von der Universität Heidelberg. Während die ökumenische Bewegung in den 1960er Jahren noch eine Überwindung der Konfessionsgrenzen anstrebte, ziehen die christlichen Kirchen heute deutliche Grenzen, um die eigene Identität zu stärken.

Einzelne evangelische Kirchen stellen die Frauenordination in Frage. Orthodoxe Kirchen betonen den Unterschied zu protestantischen Kirchen bei der Sexualmoral. In der anglikanischen Kirchengemeinschaft streitet man über homosexuelle Geistliche.

Für eine „Ökumene der Verschiedenheit“ spricht sich mittlerweile auch der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Wolfgang Huber, aus. „Auch wenn es dafür in der Bevölkerung kein Verständnis gibt, wird die Abgrenzung zwischen den christlichen Konfessionen wieder stärker betont“, meint Körtner.

Grenzerfahrung Gott

Menschen erleben heute nicht nur Grenzen zwischen den Konfessionen und Religionen. Für viele Menschen stellt die Begegnung mit Gott eine Grenzerfahrung dar.

„Es ist dabei nicht der Mensch, der die Grenze zu Gott überschreitet, sondern Gott ist es, der auf die Menschen zugeht“, sagt Körtner. „Die Grenze im Neuen Testament wurde von Gott her überschritten“, erklärt Schwöbel.

Dabei wird die Grenze zwischen Gott und den Menschen aber nicht zum Verschwinden gebracht, die Unterscheidung bleibt erhalten. „Gott und Mensch sind zusammen verschieden. Eine mystische Verschmelzung wie in anderen Religionen wird im biblischen Kontext nicht gedacht“, erklärt Körtner. Schon Paulus habe erkannt, dass sein Wissen nur „Stückwerk“ sei (1. Kor 13), und auch für die Theologie gelte der „eschatologische Vorbehalt“, also die Vorläufigkeit des theologischen Wissens, so Körtner.

Die letzte Grenze

„Der Mensch ist ein durch und durch begrenztes Wesen, die Anerkennung seiner Begrenztheit ist wichtig für das eigene Leben“, zeigt sich Christoph Schwöbel überzeugt. Die Frage nach dem Jenseits zwingt Menschen, sich mit der letzten Grenze ihres Lebens auseinanderzusetzen.

Die Frage nach der letzten Grenze ist aber auch gesellschaftlich relevant. Hinter dem Spruch „Man lebt nur einmal“ verbirgt sich eine Lebenseinstellung, die krank machen kann. Dabei wäre der Glaube an ein Leben nach dem Tod hilfreich. „Ans Jenseits glauben heißt, dass wir die Endlichkeit besser akzeptieren lernen. Wir lernen den Umgang mit Grenzen“, ist Ulrich Körtner überzeugt.

Jede Grenze hat mehrere Seiten. Grenzen geben Schutz und stärken die Identität, sie können aber auch für Trennung und Abschottung stehen.

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