kirche usa - © AFP  / Jim Watson

USA: Am Markt der Religionen

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Obwohl in den USA Staat und Kirche(n) getrennt sind, spielt Religion in der Gesellschaft eine enorme Rolle.

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Obwohl in den USA Staat und Kirche(n) getrennt sind, spielt Religion in der Gesellschaft eine enorme Rolle.

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Mit dem ersten Verfassungszusatz der Vereinigten Staaten ("Congress shall ma ke no law establishing a religion ") wurde 1789 der Grundstein für die Trennung von Kirche und Staat in den USA gelegt. Man sagte sich von der Idee einer genuin christlichen Nation oder gar einer gesetzlich bevorzugten Staatskirche nach englischem Vorbild los und öffnete damit die Tore für die freie Religionsausübung ("or prohibiting the free exercise thereof"). Weil dieser Artikel zunächst nur die gesetzliche Lage auf US-Ebene betraf, war es den einzelnen Bundesstaaten anheimgestellt, ihre Gesetze selbst zu ändern. Auch wenn diese Umsetzung -Massachusetts hielt bis 1833 an seiner puritanischen Landeskirche fest - durchaus auf sich warten ließ, folgten schließlich alle Staaten, die jenes Gesetz 1791 ratifiziert hatten.

(Werbe-)Botschaften der Religionen

In Connecticut geschah die Umsetzung dieser rechtlichen Ordnung im Jahr 1818, und viele (meist reformatorische) Geistliche sahen darin die Gefahr, dass die gerade gewonnene politische und religiöse Freiheit von Europa ins Wanken gebracht würde. Schließlich würde damit auch anglikanischen, orthodoxen und katholischen Siedlern, die neben der Bibel noch anderen Autoritäten (König, Patriarch oder Papst) folgten und damit eine Gefahr für die Meinungsfreiheit in den USA darstellten, die freie Ausübung ihrer Religion ermöglicht.

Umso erstaunlicher mag die Reaktion des streng konservativen und anti-katholizistischen Pastors Lyman Beecher auf die Realisierung der Religionsfreiheit anmuten: "Die Trennung von Kirche und Staat ist das Beste, das Connecticut nur passieren konnte! Die Religionen werden stärker und wachsen, weil sie von der staatlichen Unterstützung befreit sind und selbst Einsatz zeigen müssen." Was Beecher hier prognostizierte ist im Grunde nichts anderes als die von Religionswissenschaftlern im 20. Jahrhundert entworfene Theorie eines "religiösen Marktes" in Amerika.

So betonen die Religionssoziologen Roger Finke und Rodney Stark, dass gerade in der Religionsfreiheit und der völligen Nichteinmischung des Staates in Sachen Religion, der Wettstreit unter diesen Gemeinschaften erst ermöglicht wurde. Es entstand ein marktähnlicher Bewerb, in dem sich die Religionen mit all ihren Kräften bemühen müssen, Mitglieder ohne jegliche staatliche Bevormundung zu gewinnen und zu halten. Die Verantwortlichen, aber auch die einfachen Gläubigen, müssen Einsatz zeigen und Mittel und Wege finden, ihre Religion auf diesem Marktplatz der Religionen wettbewerbsfähig zu machen.

Auch der Soziologe William Gentz vertritt die Auffassung, dass sich Religionen nur durch die Adaption und Verwendung von Werbemitteln (je nach ihrer Zeit) bei diesem Wettstreit behaupten können. Sobald eine Gemeinschaft es verpasst, Menschen anzusprechen, zu rekrutieren und bei sich zu behalten, läuft sie Gefahr, in diesem Platz voll von lauten, religiösen Marktschreiern unterzugehen.

Bereits kurze Zeit nach der Garantie der Religionsfreiheit in Connecticut schickte sich der calvinistische Prediger Charles Finney an, durch seine eigene Art der Predigt Menschen für seine Gemeinschaft zu gewinnen: Er veranstaltete "Camp-meetings", bei denen man sich über mehrere Tage in ländlichem Gebiet in Zelten mit der Bibel beschäftigte, höchst emotionale Predigten hörte und auch der Unterhaltungswert mit angeblichen Wunderheilungen nicht zu kurz kam. So betonte Finney in einer Ausbildung für Prediger: "Der Pastor muss wissen, welche Methoden verwendet werden müssen, damit die Menschen angesprochen werden und sich der Gruppe anschließen."

Der Grundton mag an die Werbewirtschaft unserer Zeit erinnern, doch zeigte dies auch bereits in der damaligen große Wirkung: Ausgehend von Connecticut zogen immer mehr Wanderprediger umher, veranstalteten ihre Bibel-Treffen und immer neue religiöse Gemeinschaften entstanden in diesen Gebieten.

So bezeichnet der Religionswissenschaftler Charles Lippy jene Gebiete rund um den Bundesstaat New York in der damaligen Zeit als den "Burnt-over-district", im Hinblick auf die immer vielfältiger werdenden religiösen Landschaften in diesem Bereich. In diese Entwicklung fallen auch die Blütezeit und schnellste Verbreitung der Methodisten, aber auch die Gründerzeit der Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage (Mormonen) oder der Milleriten.

Aufstieg der Fundamentalisten

Dass der religiöse Markt in den USA, so Finke und Stark, existiert und mit den Methoden einer jeden Zeit arbeiten muss, zeigt auch der Aufstieg fundamentalistischer Gemeinschaften in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die trotz ihrer antimodernen Haltung für die Medien der Zeit durchaus offen waren, um damit Mitglieder und Gläubige zu gewinnen. Die "Boxer"-Predigten eines Billy Sunday, die Radiopredigten eines J. Frank Norris oder Paul Rader in den 1920er und 1930er Jahren haben in den USA längst Kultstatus erreicht. Auch hier benutzten die religiösen Protagonisten zu Verfügung stehende Mittel, um die Menschen anzusprechen und für ihre Sache zu begeistern.

In dieser Zeit waren dies die gerade erst entwickelten und salonfähig gemachten Funktechniken mittels Radio. Diese Entwicklung setzte sich dann auch in Zeiten des Fernsehens und des Internets fort: Heute sind es die pfingstkirchlichen "Mega-Churches" in den Vereinigten Staaten, die enormen Zufluss unter den jüngeren Generationen verbuchen können und deren sonntägliche Meetings eher an Rock-Festivals (durchaus mit mehreren tausend Gläubigen) erinnern als an die traditionellen Liturgien katholischer, anglikanischer oder orthodoxer Prägung.

Warum Religion die Politik prägt

Lyman Beecher hat offenbar bereits 1818 erkannt, was durch Finke, Stark oder Gentz im 20. Jahrhundert wissenschaftlich formuliert und untermauert wurde: Durch die "Hands-off"-Politik der Gründerväter im Bezug auf die Religionen in der neu zu gründenden Nation entwickelte sich unter dem "Disestablishment" (Ablehnung der Bevorzugung einer bestimmten Religion) in den USA jener Bereich, den man heute noch getrost als Marktplatz der Religionen bezeichnen kann. Wie im freien Markt kapitalistischer Gesellschaften gilt hier: Wer wettbewerbsfähig ist und bleibt, überlebt, der andere wird Opfer ebendieses Systems, dessen Regeln er nicht gerecht geworden ist.

Die Globalisierung und Vernetzung der Welt, die neuen Medien und modernste Technik übernehmen heute die Rolle jener Methoden, die die methodistischen Wanderprediger im "Burnt-over"-Bezirk der USA im 19. Jahrhundert verwendet hatten. Finke und Stark betonen, dass "Religion in einer Gesellschaft stärker und prägender ist, je härter der Wettbewerb unter den einzelnen Religionsgemeinschaften ist."

Als Konsequenz aus den US-Gesetzen rund um das "First Amendment" aus 1789 und der kapitalistischen Grundausrichtung des amerikanischen Staates, so folgert Religionswissenschaftlerin Sandra Brooks, wird Religion in den Vereinigten Staaten -anders als in Staaten mit langer Tradition einer Landeskirche oder schwachem Markt der Gemeinschaften untereinander -weiterhin eine prägende Form in der Gesellschaft und Politik bleiben.

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