Peter_Ludwig_Berger - © Wikimedia / Felix Grünschloss / ZAK

"Amerika ist, normal religiös"

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Er gehört zu den großen Soziologen und hat auch die Religionssoziologie der letzten 50 Jahre entscheidend mitgeprägt: Peter L. Berger, 1929 in Wien als Jude geboren, 1938 nach Palästina emigriert und 1946 als Protestant in den USA angekommen, wo er heute noch an der Boston University lehrt. Ein Gespräch über Religion in den USA und in Europa.

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Er gehört zu den großen Soziologen und hat auch die Religionssoziologie der letzten 50 Jahre entscheidend mitgeprägt: Peter L. Berger, 1929 in Wien als Jude geboren, 1938 nach Palästina emigriert und 1946 als Protestant in den USA angekommen, wo er heute noch an der Boston University lehrt. Ein Gespräch über Religion in den USA und in Europa.

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DIE FURCHE: Herr Professor Berger, Sie haben intensiv über Religion in einer säkularen Gesellschaft geforscht. Ihr Befund ergab, dass in solchen Gesellschaften keine religiöse Tradition mehr fraglos gilt. Halten Sie diese Diagnose auch heute aufrecht?

Peter L. Berger: Ja. In einer modernen Gesellschaft, die fast notwendigerweise pluralistisch ist, kann Religion nicht mehr als selbstverständlich erlebt werden, sondern beruht auf einem Entschluss des Einzelnen. Das muss nicht unbedingt eine dramatische Bekehrung sein, aber kontinuierlich muss die religiöse Verbundenheit durch einen Entschluss oder eine Serie von Entschlüssen bestätigt werden. In diesem Sinn habe ich meine Meinung nicht geändert.

DIE FURCHE: Heute ist aber von einer Rückkehr der Religion in einen im weitesten Sinn politischen Kontext die Rede. Hat sich da etwas verändert?

Berger: Sie haben den Ausdruck "säkulare Gesellschaft" benutzt. Da würde ich heute ein Fragezeichen setzen, vielleicht mehr als früher. Einfach gesagt: Die Säkularisierungstheorie war falsch. Wenn man sich die Welt anschaut: Der Großteil ist heute genauso religiös wie eh und je, vielleicht sogar mehr - inklusive Amerika! Die große Ausnahme ist Europa, genauer: West- und Mitteleuropa. Da stimmt die Säkularisierungsthese noch. Da kann man wirklich von einer säkularen Gesellschaft sprechen. Von Europa aus gesehen ist Amerika etwas Merkwürdiges, wo diese vielen religiösen Typen herumlaufen. Wenn Sie es global anschauen, ist genau das Gegenteil der Fall: Amerika ist "normal" religiös wie die meisten Länder. Eines der interessantesten Themen der Religionssoziologie ist: Warum ist Europa da so anders?

DIE FURCHE: Ja warum?

Berger: Das kann man nicht schnell beantworten. Ich habe mit einer britischen Kollegin ein Buch dazu verfasst: Da ist sehr komplizierte Kausalität im Spiel, darunter das Verhältnis Kirche-Staat, die Form der Intelligenz, verschiedene Formen der Aufklärung, das Bildungssystem, politische Parteien.

DIE FURCHE: Wenn Europa und Amerika über diese "religiösen" Unterschiede ins Gespräch kämen: Könnte sich das Verhältnis zwischen den USA und Europa wieder mehr entspannen?

Berger: Das glaube ich schon - vor allem, wenn die Bush-Regierung weg ist. Aber die amerikanische Religiosität ist für Europäer merkwürdig - und umgekehrt. Von Amerika aus gesehen ist Europa dieses komische Land voller Atheisten. Diese Bilder voneinander sind übertrieben, denn Amerika ist nicht so religiös, wie man zuerst denkt, und Europa ist nicht ganz so säkularisiert, wie man sich das vorstellt. Aber es stimmt: Religion ist in Amerika viel wichtiger als in Europa - vor allem in der Öffentlichkeit.

DIE FURCHE: Ist diese öffentliche Religiosität in den USA so etwas wie "Zivilreligion"?

Berger: Nein …

DIE FURCHE: … was für eine Funktion hat dann die Zivilreligion?

Berger: Jede Gesellschaft hat eine Form von Zivilreligion im Sinn von Symbolen und Werten, die für die Gesellschaft bestimmend sind. Ein republikanisches Ethos wie in Frankreich ist eine Art "säkularer" Zivilreligion. Die amerikanische Zivilreligion ist im Grund genommen auch säkular: ein Bekenntnis zur Verfassung, zu den demokratischen Institutionen usw. Aber eben weil Amerika religiöser ist als Europa, ist diese Zivilreligion mehr von religiösen Themen und Motiven durchdrungen.

DIE FURCHE: Auch wenn die USA "normal" religiös sind, so ist aber die religiöse Konnotation in der Politik, auch das, was man als "religiöse Rechte" bezeichnet, stärker geworden.

Berger: Wichtig dabei ist, dass die Evangelikalen, die es in Europa kaum gibt, einen sozialen Aufschwung erlebt haben. Die Evangelikalen - konservative Protestanten - gab es immer. Aber ein viel größerer Teil davon ist nun Mittelklasse geworden mit höherer Bildung und dadurch auch politisch aktiver. Aber ich meine, mehr durch Zufall als durch natürliche Affinität sind die konservativen Protestanten wichtige Unterstützer für die Republikaner geworden. Das könnte sich auch ändern. Die so genannte christliche Rechte ist ein relativ kleiner Faktor. Wir haben da feste Daten durch Befragungen von Evangelikalen: Sie sind übers ganze politische Spektrum der USA verteilt - von linksliberal bis rechts.

DIE FURCHE: Wird die religiöse Rechte, die ja bei Bush & Co so hoch im Kurs steht, an Bedeutung verlieren?

Berger: Ich glaube schon. Auch viele Evangelikale sind über Bush und seine Politik so verärgert, dass das Bündnis zwischen den Evangelikalen und der Republikanischen Partei nicht verschwinden, aber geschwächt wird. Und die Demokraten bemühen sich ganz besonders um diese Gruppe.

DIE FURCHE: Seit etwa zehn Jahren ist auch der Islam ein Global Player. Wie schätzen Sie seine Rolle ein?

Berger: In Europa wichtiger als in den USA. Sie haben die "Rückkehr der Religion" angesprochen: Auch die gilt primär für Europa, in Amerika ist sie ja nie weggegangen. Schaut man sich religionssoziologische Daten an, ist in Europa ein leichter Aufschwung zu bemerken - mit Faktoren wie Kirchenbesuch, Aussagen über den eigenen Glauben etc. Das könnte zum Teil auch durch die Herausforderung des Islam verursacht sein. Nachdem in Europa eine wachsende islamische Präsenz da ist, kann man beobachten, dass viele beginnen, sich darauf zu besinnen: Ja, was ist eigentlich unsere Kultur und was ist die Rolle des Christentums in dieser Kultur? Nehmen Sie Nicolas Sarkozy, der bestimmt kein besonders gläubiger Mensch ist, und der auf einmal von den christlichen Wurzeln der westlichen Kultur spricht: Das ist für einen französischen Präsidenten ziemlich neu.

DIE FURCHE: Verstehen Sie die Ängste gegenüber dem Islam?

Berger: Ja. Diese Ängste sind zum Teil übertrieben, aber haben doch ihre Berechtigung. Ein ägyptischer Journalist hat vor nicht allzu langer Zeit geschrieben: Bestimmt nicht alle Muslime sind Terroristen, aber die meisten Terroristen sind Muslime. Die verschiedenen Terroranschläge sind kein Symptom eines Verfolgungswahns, sie haben wirklich stattgefunden - und die Gefahr besteht weiter. In dem Sinn sind die Ängste berechtigt. Unberechtigt ist, wenn man diese Auswüchse mit dem Islam überhaupt identifiziert.

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