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Amtsbruder oder Amtsvorstand

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Die Erziehung zur Anpassung an die Anstaltsordnung und an die jeweiligen Mitbrüder erweist sich jedoch später, in der seelsorglichen Praxis, oft als unzureichend. Die Mehrheit der jungen Kleriker befindet sich bei Ausübung des Berufes in der Position von Partisanen und ist darauf angewiesen, ein Verhalten zu zeigen, für das es keine Verhaltensmuster gibt. Daher decken sich keineswegs immer Soll- und Istverhalten des jungen Klerus. Viele der petrifizierten Verhaltensmodelle sind einfach Unvollziehban Die Foi- * gen •sind….BftUepkonfy)ctej!jp { weilen ihre tragische und von der t Öffentlichkeit mit Genuß dramati- £ sierte Lösung im definitiven Exodus ‘ aus dem geistlichen Stand finden.

Beim Vollzug seiner Berufsauf- s gaben fehlt dem jungen. Priester , noch mehr als dem meist in seinem ] Berufskreis bereits verfestigten t älteren Seelsorger die fördernde ( Anteilnahme der Abstammungs- s familie oder eines Verwandtenkrei- . ses- Zumindest gilt das für die Welt- . priester. In einer Gesellschaft, die j sozial verdichtet und allseitig Infor- j mationen mit einer besonderen Hafttiefe ausgesetzt ist, haben Kirche und das Nahmilieu der Pfarrgemeinde nicht mehr die Qualität einer exklusiven und in Grenzsituationen schützenden Kleingesellschaft wie die Anstaltsfamilie des Seminars (und bedingt auch noch einzelner Klöster). Dem jungen Priester ist die Kirche anfänglich noch nicht eine „zweite Heimat“, in der er seinen gesicherten Stand hat. Es braucht eben seine Zeit und des Absterbens der Erinnerung an das Milieu der Jugend, bis sich ein junger Kleriker voll mit der Kirehe und seinen lokalen Aufgaben identifizieren kann, vor allem, wenn ihm die Kirche in einer ungebührlichen Weise nur in der Summe der Vorgesetzten sichtbar ist.

In den ersten Jahren der Berufsausübung besteht daher bei vielen jungen Klerikern so etwas wie eine Vatersehnsucht im weitesten Sinn, vor allem, wenn der Vorgesetzte kein Amtsbruder, sondern nur ein Amtsvorstand ist. Vater- und Familiensehnsucht führen dann oft zu positiven und negativen Substitutionen, zu einem emotional begründeten Engagement in der Jugendseelsorge (die stets nur vom pastoralen Eros leben kann) oder zur Ansiedlung in profanen Bereichen, zur Verinnerlichung von Hobbies, welche die Interessen junger Priester manchmal derart binden, daß es zu Formen eines priesterlichen Konsaimf etischis- mus kommt, ausgewiesen in den Grenzfiguren der Bindestrichkapläne, im „Auto-Kaplan“ oder im „Sport- Kaplan“. Im Rahmen einer von der Boulevardpresse gepflegten und von katholischen Gazetten übernommenen Üiberrepräsentation werden die Bindestrichkapläne mit dem jungen Klerus gleichgesetzt, wodurch es zu einer bedenklichen Verzeichnung der Kirche kommen kann.

Priester und Umwelt

Der Konflikt gehört zur Natur der Gesellschaft — und jeder sozialen Gruppe. In der Gesamtgesellschaft ist an die Stelle des sozialökonomisch bestimmten Klassenkampfes, der seihe Radikalität allmählich verliert, der Kampf der Rassen und in den Lebensregionen -der industrialisierten Gesellschaften auch die Auseinandersetzung ‘der Generationen -ge- treten. In einzelnen Kulturbereichen scheint sogar die Auseinandersetzung der Generationen zum prägnantesten Konflikt und die Geschichte zur Geschichte von Generationenkonflikten zu werden. Allmählich greift die Unruhe unter der Jugend auf den jungen Klerus über (von Theologiestudenten gar nicht zu sprechen) und ist mit dem Hinweis auf den notwendigen Gehorsam allein nicht mehr zu disziplinieren. Die Formen, in welchen sich die innerkirchliche Unruhe darstellt, ist aber keineswegs die des Exzesses. Lokale Vorfälle, von der bürgerlichen Presse reichlich übertrieben, sind atypisch. Zum „profanen“ Exzeß fehlt die Agglomeration, die erst den Exzeß produziert, und die Rädelsführer. Die Unruhe unter dem jungen Klerus zeigt sich meist in einem diskreten Ungehorsam vor allem verbaler Art und in einem oft demonstrativen Abweichen von den konventionellen Verhaltensleitbildern, die davon ausgehen, daß der Priester altersneutral, wenn nicht ein synthetischer Mensch ist.

Wenn versucht wird, das oft erstaunliche Anderssein junger Priester mit dem Anspruch der Autorität zu disziplinieren, kommt es nicht selten zu einer bemerkenswerten Ablehnung der Autorität, vor allem dann, wenn sich diese Autorität nur durch den Anspruch des Amtes und nicht durch persönliche Qualitäten abzusichern weiß.

Wer mit Jugend zu tun hat, muß vermuten, daß dem Anspruchskomplex der Autorität in jeder geschichtlichen Situation ein anderer Inhalt zugemessen wird. Eine Gesellschaft, die so gut wie ausschließlich von älteren Erwachsenen geformt wird, entwickelt andere Inhalte von Autorität als eine Gesellschaft, in der die Jugend, vor allem die sogenannte „erwachsene“ Jugend, die Gesellschaft mitzugestalten vermag wie heute. Es gibt keine Disziplinierung, die es vermöchte, eine Umkehrung des Denkens der Jungen zu erzwingen. Das gilt auch für den jungen Klerus, dessen oft ursprüngliche Radikalität bei der Interpretation der christlichen Heilswahrheiten und beim Versuch, sie in die Praxis zu transportieren überdies von vielen Vätern auf dem Konzil übertroffen worden ist (wenn auch nur im Kollektiv!).

Ein Großteil des jungen Klerus zeigt- is derCjegenyöt- ein „Verfaß- ten, das dem konventionellen Vor- stellungsbild. über priesterliches. Verhalten nicht immer entspricht. Die Priesterrolle ist aber allzu lange verzeichnet und ohne Bedachtnahme auf das ohnedies nicht immer am richtigen Ort zitierte Naturrecht formuliert worden. Nun ist aber priesterliches Verhalten keine unabhängige Variable, sondern muß in unmittelbarer Beziehung zur Umwelt realisiert werden. Geschieht dies nicht, bleibt das angebotene Glaubensgut gleichsam auf „Lager“ liegen; es wird von den Adressaten nicht angenommen.

Die Basis bei der Formulierung der Priesterrolle’ (als einem von Kirche und Gesellschaft der Kirchentreuen zugemuteten Verhaltens-Soll) ist die Annahme des Vorhandenseins eines Charismas, einer durch Berufung und Weihe konstituierten Eignung des Priesters, auf die grundsätzliche Welt«, und Wertorientierung vön Menschen einen besonders qualififiekten -Einfluß ausüben »zu können. Das priesterliche Charisma ist aber kein Status und auch nicht undifferenziert. In ihrem Vollzug ist die Anlage des Charisma stets auch ein geschichtliches Phänomen, ein Provisorium insoweit es erst in der Relation zwischen einem geschichtlichen Menschen (dem Priester) und einer ihm zur Bewältigung angebotenen, einmaligen pastoralen Situation aktualisiert werden kann.

Anpassung ans Heute

Wenn in einer nicht selten leichtfertigen Weise von einem „Heutigwerden“ der Kirche die Rede ist, dann muß dieses „Heutigwerden“ als ein Postulat verstanden werden, dessen Erstadressaten die in der Seelsorge befindlichen Priester und unter diesen ganz besonders die jungen Priester sind. Noch vor kurzer Zeit selbst sogenannte „Laien“ gewesen, sind die jungen Kleriker relativ bestens geeignet, in einer Welt, die in Stil und Denken von den Jungen innerhalb der Erwachsenen beherrschend geprägt ist, die Wahrheiten des Evangeliums sachkonform anzubieten. Die „Entdek- kung der Kirche“ ist nicht der Effekt eines Automatismus, sondern benötigt jeweils besondere Bedingungen, auf deren Produktion die Seelsorge zu achten hat, will sie „heutig“ sein. Daher bedarf der Seelsorger eines zeitangemessenen Berufswissens. Wie in anderen Berufen verliert aber auch im priesterlichen Bereich das berufliche Wissen (etwa die pädagogische Technik) relativ rasch seinen Wert für die Praxis. Denken wir daran, wie sich die Strukturen in der Region der Freizeit gewandelt haben oder wie anders der Inhalt des Gebildes „Familie“ als Folge seiner Entfunktionalisierung geworden ist. Wer seine Erziehung noch vor dem ersten Weltkrieg erhalten hat — das gilt für nicht wenige unter den obersten Amtsträgern der Kirche —■ interpretiert die pastorale Situation, dai „Heute“, mit dem die Seelsorge konfrontiert ist, Verständlicherweise anders als ein junger Priester, der in einer von technischer Perfektion und Konsumneurosen weitgehend bestimmten Welt aufgewaohsen ist und sich an das Heute eher akklimatisiert hat als ein älterer Amtsbruder.

Das Instrument der Pensionierung von kirchlichen Amtsträgern ist geeignet, die an sich von der menschlichen Natur bestimmten und von der Dynamik unseres gegenwärtigen Lebens geförderten innerklerikalen Generationenkonflikte zu entschärfen. Tnvrelen FällÄi ist der Genemi- nenkonflikt im Klerus, der den feudalen Konflikt zwischen einem Hohen Klerus, der oft an profane Herrschaftsstrukturen gebunden gewesen war, und dem „niederen“ Klerus, abgelöst hat, durch zu große Altersunterschiede zwischen denen, die vorgesetzt sind, und den Jungen an der Front der Seelsorge begründet. Häufig ist der Altersabstand zwischen den (meist dispositiv tätigen) alten und den jungen Klerikern zwei Generationen. Kein Wunder, daß es zuweilen zu einer Enkelpsychose der Jungen kommt, die der Ansicht sind, daß sie über Gebühr von Personen diszipliniert und geführt werden, denen das Verständnis für das „Heute“ vielfach fehlt In der profanen Arbeitsgesellschaft ist der Generationenkonflikt lediglich ein solcher zwischen Jungen und Erwachsenen. Es gibt kaum mehr eine Gerontökratie. Die „Alten“ (im Sinn der Bestimmungen des Rechtes der Sozialversicherung) sind aus der weltlichen Arbeitsgesellschaft weitgehend exkorporiert und, wenn es sich um Angehörige des Manage- mentes handelt, in Aufsichtsräten angesiedelt, was bedeutet, daß sie nicht mehr ostentativ führen.

Führung in der Kirche ist jedenfalls nicht allein Anzeiger eines Charismas, sondern auch funktionell konstituiert. Das gilt auch für die stabilisierte und jetzt in Rom über Gebühr betonte Amtsführung. Anderseits gibt es das, was die Kirche in einer sehr bedenklichen Weise immer noch Hierarchie nennt, also institutionalisierte Führung, in jeder Gruppe, die sich durch Satzung und Eigenrecht als ein soziales Kontinuum verstanden wissen will. Kirche ohne die sogenannte Hierarchie, ohne einen Stufenaufbau der Träger von Amtsmacht ist undenkbar und wäre bestenfalls eine Freikirche, wobei nicht übersehen werden soll, daß auch Freikirchen so etwas wie Hierarchie haben. Die Führung in der Kirche vorweg und ohne Bedachtnahme auf die sachliche Rechtfertigung ihrer Konstitution bekämpfen, zeugt von einem Denken, das dem utopischen und inhumanen Anarcho-Syndikalismus bedenklich nahe kommt.

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