An den Rändern des LEBENS

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Die Kleine Schwester Janine und Franziskanerbruder Fritz haben eines gemeinsam: Sie engagieren sich konkret für sogenannte "Randgruppen".

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Die Kleine Schwester Janine und Franziskanerbruder Fritz haben eines gemeinsam: Sie engagieren sich konkret für sogenannte "Randgruppen".

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"Morgen besuche ich einen Freund im Gefängnis", erzählt Schwester Janine Cogné mit ruhiger Stimme. Sie ist Kleine Schwester Jesu und lebt mit zwei Mitschwestern in einer einfachen Mietwohnung im Linzer Franckviertel. In den letzten 40 Jahren war sie als Freiwillige des Vereins "Soziale Gerichtshilfe" oft in Haftanstalten wie Garsten, Schwarzau oder Wien-Josefstadt: "Ich bin keine ausgebildete Sozialarbeiterin, ich möchte für die Inhaftierten einfach eine gute Freundin sein." Mittlerweile ist die gebürtige Französin 80 Jahre alt und will kürzer treten: "In Gefängnisse werde ich nicht mehr gehen. Viele haben wieder ein normales Leben und diese Freundschaften pflege ich weiter." Freundschaft ist für die Ordensfrau ein zentraler Begriff geworden. Im Gefängnis hat sie das getan, was jeder für Freunde tun würde: mitfühlen, Zeit schenken, zuhören, beistehen und kleine Dienste übernehmen.

Mit jedem verwandt

Mit einem Schmunzeln erzählt Schwester Janine vom allerersten Besuch im Gefängnis. "Es war 1976", weiß sie noch genau. Damals saßen einige Nachbarn aus dem Barackenviertel Haftstrafen ab und Schwester Janine wollte sie besuchen. Beim ersten und zweiten Mal wurde sie abgewiesen, weil sie keine Verwandte sei, beim dritten Versuch sagte sie einfach selbstsicher: "Ich bin eine Kleine Schwester Jesu und dadurch mit jedem verwandt." Man ließ sie hinein und die Gefängnisbesuche wurden ihr Herzensanliegen: "Die Begegnung von Mensch zu Mensch ist das Entscheidende. Die Häftlinge haben niemand und sind verachtet. Sie sind auch für mich zum Geschenk geworden."

Auf das Warum ihres Engagements mit Gefangenen sagt Schwester Janine: "Jesus war der Erste, der den Ausgestoßenen nahe war. Sie waren die Freunde Jesu." Die Sorge um die Armen und Kleinen ist Teil der DNA ihrer Ordensgemeinschaft, die sich auf Charles de Foucauld (1858-1916) beruft. Foucauld war französischer Soldat und nach einem Bekehrungserlebnis mit 26 Jahren wurde er Priester in einem Trappistenkloster. 15 Jahre lang lebte er als Einsiedler unter den Tuaregs in Algerien und bemühte sich um Dialog und Frieden, ehe er von Aufständischen 1916 erschossen wurde. Ganz in seiner Spur wollen die Kleinen Brüder und Schwestern denen Freunde werden, die keine Freunde haben. "Für mich war die Kirche weit entfernt von den Menschen", erinnert sich Schwester Janine an ihre Jugendzeit in Frankreich und war fasziniert von der Spiritualität des Charles de Foucauld. Mit 23 Jahren entschloss sie sich trotz Widerständen in der eigenen Familie zum Ordenseintritt bei den Kleinen Schwestern Jesu. Deren Gründerin Magdeleine Hutin (1898-1989) ist ihr zum Vorbild geworden: "Schwester Magdeleine hatte ein Herz für Menschen am Rand und immer wieder ziemlich verrückte Ideen, die dann auch in Erfüllung gingen. Sie hatte ein riesiges Gottvertrauen." Die Gründerin habe oft betont, wie wichtig die Präsenz in den Gefängnissen sei. Auch mit 80 Jahren denkt Schwester Janine nicht an Ruhestand: "Wenn ich ein paar freie Stunden habe, helfe ich bei der Flüchtlingsversorgung am Hauptbahnhof und sortiere Kleider oder gebe Essen aus."

Neue Heimat im Kloster

Schauplatzwechsel. Das Shalomkloster Pupping 30 Kilometer weiter ist ein offener Ort für Gäste. Im Kloster leben seit Anfang des Jahres zusätzlich zur franziskanischen Gemeinschaft und Dauergästen auch zehn Asylwerber. "Das ist etwas Einmaliges in Österreich", erzählt Bruder Fritz Wenigwieser, der seit dem Neubeginn 1998 in Pupping ist und das Kloster leitet. Er renoviert gerade mit einigen Hausbewohnern einen neuen Gemeinschaftsraum. Die weißen Wände und der Holzboden sind schon fertig, es ist ein einladender Raum geworden. Bruder Fritz betont, wie wichtig handwerkliches Arbeiten für die Integration geflüchteter Menschen ist. Erfolgserlebnisse seien schnell sichtbar und das Gewaltpotenzial sinke. An den Nachmittagen kommen Lehrkräfte für den Deutschunterricht ins Haus. Die Asylwerber hätten sich schnell eingelebt, erzählt Bruder Fritz: "Es sind Christen und Muslime - bei der Adventkranzsegnung haben sie die Musik und die Fürbitten übernommen." Eine Herausforderung sei weiterhin die psychische Belastung durch Krieg und Flucht, in einem Fall konnte ein Therapieplatz vermittelt werden. Bruder Fritz: "Entscheidend ist Beziehung. Und die wächst durch das gemeinsame Essen und Arbeiten."

Barmherzigkeit konkret

Gefangene besuchen und Fremde aufnehmen zählen zu den Werken der Barmherzigkeit, die Jesus in Matthäus 25 aufzählt. Papst Franziskus hat Barmherzigkeit zum Leitbegriff der katholischen Kirche zumindest für die kommenden zwölf Monate ausgerufen, indem er am 8. Dezember ein Heiliges Jahr eröffnete. In Misericordiae vultus, dem Einladungsschreiben zum "Jahr der Barmherzigkeit", lädt er alle Christinnen und Christen ein, über die leiblichen und geistigen Werke der Barmherzigkeit im persönlichen Leben zu reflektieren. Vor dem "Drama der Armut" laufe unser Gewissen Gefahr einzuschlafen, so Franziskus.

"Not muss berühren", sagt Bruder Fritz in Bezug auf die Ankunft tausender Flüchtlinge. Er sieht den Auftrag der Franziskaner darin, an den heutigen Bruchstellen des Lebens präsent zu sein: "Ich war freiwillig als Pilger unterwegs und frage mich: Wie würde es mir gehen, wenn ich mich auf die Flucht begeben müsste?" Für den Franziskanerbruder geht es um das Brückenbauen zu den Menschen, die auf der Flucht vor Krieg und Gewalt nach Österreich gekommen sind. Besonders das Erlernen eines friedvollen Miteinanders mit Muslimen sei wichtig. Durch das gemeinsame Leben und Arbeiten im Kloster kennt Bruder Fritz die zehn Gäste aus dem Nahen Osten mittlerweile gut. Er denkt auch schon an den übernächsten Schritt. Wird Asyl gewährt, brauchen sie einen Job und eine Wohnung. Sein Plan: "Wir suchen kaputte Wohnungen in Linz, die wir dann selbständig renovieren."

Experimentieren für morgen

Inspiration für sein Tun hat Bruder Fritz von einem amerikanischen Ordensbruder bekommen, mit dem er in Assisi mehrere Jahre zusammengearbeitet hat: "Bruder Paul besitzt außer der umgehängten Tasche nichts. Er lebt wirklich radikal." Gemeinsam führten sie dort ein Aufnahmezentrum für Menschen in Not und pilgerten in den Wintermonaten auf dem Jakobsweg nach Santiago: "Auf dem Weg haben wir Obdachlosigkeit und Gastfreundschaft erfahren." Er erzählt, dass sie von fremden Leuten einmal sogar um Mitternacht aufgenommen wurden. Mit diesen Erfahrungen kam Bruder Fritz 1998 nach Österreich zurück und gründete das Shalomkloster Pupping, das bereits ab 1476 ein Franziskanerkloster war.

Die Aufnahme von Flüchtlingen direkt in die Klostergemeinschaft in Pupping ist für Bruder Fritz ein Experiment. Seiner Ansicht nach sollten gerade Ordensleute noch viel mehr experimentieren. Ein Pfarrer könne das aufgrund seiner Verpflichtungen nicht, aber gerade Ordensgemeinschaften hätten den nötigen Freiraum um neue Wege zu versuchen. Diese Lernerfahrungen könnten dann in Kirche und Gesellschaft zurückwirken. Bruder Fritz: "Wer wenn nicht wir? Es geht um die Kirche von morgen."

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