Der gefaltete weiße Zettel, den der Papst wie ein gläubiger Jude in eine Ritze der Klagemauer steckte, ist mehr als ein Fernsehbild, das in Erinnerung bleibt. "Wir wollen uns erinnern, aber wir wollen uns mit einem bestimmten Ziel erinnern, nämlich dafür zu sorgen, daß solches Böse nie wieder die Überhand gewinnt, wie es für Millionen unschuldiger Opfer der Nazis der Fall war."
In seiner Rede in Yad Vashem, der Holocaust-Gedenkstätte, hat der polnische Papst die methaphysische Dimension des Judenmordes angesprochen, die Frage, welcher Wert der Religion angesichts des Massenmordes an Unschuldigen zukommt.
Die Rede des Papstes kann das Schweigen seines Vorgängers Pius XII. und die 2000 Jahre lange Tradition des christlichen Antisemitismus zwar nicht aufheben, aber sie setzt am Beginn des neuen Jahrhunderts das Zeichen eines Neubeginns, im Verhältnis zwischen Kirche und jüdischem Volk, zwischen Vatikan und Israel. Ohne Pius XII. zu nennen, hat Johannes Paul II. vor seiner Israel-Reise ein öffentliches Schuldbekenntnis der Kirche abgelegt, in dem er die Verfehlung von Christen an Juden beklagte. Schon kurz nach seiner Installierung hatte er die Konzentrationslager von Auschwitz und Majdanek besucht und damit den schwierigen Prozeß der Aussöhnung zwischen Kirche und Judentum begonnen.
Wer Versöhnung predigt, kann in der aktuellen Nahostpolitik nicht schweigen. Daß der Papst ein Flüchtlingslager besuchte und öffentlich das Recht der Palästinenser auf Heimat bestärkte, mag manchen in Israel weniger gefallen haben, der Papst Seite an Seite mit PLO-Chef Arafat - auch dies ein Bild, das noch vor wenigen Jahren undenkbar war.
Der Papst hat an der Wiege der drei Religionen in Jerusalem zum Frieden zwischen den Religionen aufgerufen. Käme es zur Internationalisierung der Altstadt von Jerusalem, wäre dies ein echter Beitrag zur friedlichen Lösung im Nahen Osten. Die "rein religiöse Pilgerreise" könnte dann vielleicht auch einen wichtigen Schritt zum weltlichen Frieden darstellen.
Trautl Brandstaller ist ORF-Journalistin und Dokumentarfilmerin.
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