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An der Spitze des Kollegiums

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Erlauben Sie mir zum Schluß einen ganz konkreten Versuch. Ich muß ihn in einer etwas technischen Sprache vornehmen, wenn ich nicht in den eben getadelten Fehler fallen will. Ich bin mir auch bewußt, daß damit ein Ausschnitt geboten wird aus den Verhandlungen über das zweite Kapitel. Das vorausgesetzt, fragen Sie, vermute ich, wie wird nun nach Newmans Wort die im ersten Vatikanum festgelegte Stellung des Papstes durch das zweite ergänzt? Nehmen Sie die Session IV vom 18. Juli 1870. Dort finden Sie am Ende des ersten Kapitels das erste Anathem. Es besagt, positiv ausgedrückt: „Christus der Herr setzte den sel. Apostel Petrus zum Fürsten über alle Apostel und zum sichtbaren Haupt der ganzen sichtbaren Kirche.“

Wenn alle Voten der Konzilsväter berücksichtigt werden und die Zweidrittelmehrheit dem zustimmt, obendrein der Papst selbst es bekräftigt, käme ungefähr folgende Ergänzung heraus: „Christus setzte den Apostel Petrus zum sichtbaren Haupt über das Apostelkollegium und damit auch zum Haupt über die ganze Kirche.“ Während im ersten Fall Petrus als isoliert den anderen gegenüber zu stehen scheint, wird er jetzt in das Kollegium einbezogen als dessen Spitze. Während im ersten Fall Petrus direkt und unabhängig vom Kollegium der Apostel als Haupt der ganzen Kirche erscheinen könnte, ist er jetzt direkt Haupt des Apostelkollegiums und kann Haupt der gesamten Kirche (genau gesprochen) nur indirekt ge nannt werden, insofern er nämlich Haupt des Kollegiums ist.

Nehmen Sie jetzt das Ende des dritten Kapitels. Wiederum ein Anathem. Positiv ausgedrückt: „Der römische Pontifex hat nicht bloß das Amt der Inspektion und Leitung, er besitzt die volle und höchste Jurisdiktionsgewalt über die ganze Kirche “ Dieser Satz würde insofern eine Ergänzung erfahren, als man nunmehr erklärt: Das heißt nicht, daß alle Jurisdiktionsgewalt von ihm ausgeht. Jeder Bischof hat kraft seiner Bischofsweihe direkt von Gott her, insofern er dadurch dem Bischofskollegium einverleibt ist, eine wahre Hirtengewalt mitsamt dem Kollegium, dessen Spitze der Papst ist, über die ganze Kirche, welche ihm auch der Papst nicht nehmen kann. Ebenso muß er seine Jurisdiktion für die Diözese, über die er (nicht notwendig vom Papst) gesetzt ist, nicht unbedingt vom Papst erhalten, wenn auch dieser das Recht hat, sie ihm, des Allgemeinwohles wegen, sei es einzuschränken, sei es zu nehmen.

Endlich lesen Sie im vierten Kapitel die als Glaubenssatz verkündete Unfehlbarkeitserklärung: Wenn der römische Pontifex ex cathedra spricht, daß heiRt, wenn er seines Amtes als Hirt und Lehrer aller Christen waltend mit Einsatz seiner obersten apostolischen Autorität eine Lehre über Glaubensoder Sittenfragen als eine von der ganzen Kirche zu haltende erklärt, dann besitzt er durch den göttlichen Beistand, der dem Petrus zugesagt wurde, jene Unfehlbarkeit, die der göttliche Erlöser seiner Kirche geben wollte, wenn sie eine Glaubensoder Sittenfrage de|iniert. Daher sind solche Definitionen des römischen Pontifex aus sich selbst (ex sese) und nicht aus der Zustimmung der Kirche unwiderruflich! Dieses „ex sese“ könnte und hat den Anschein erweckt, als könnte der Papst nach eigenem Gutdünken oder Gewissen Glaubenswahrheiten definie-

ren, ohne Rücksicht auf den Glauben der Kirche. Jetzt würde dies dahin ergänzt, daß der Papst bei einer feierlichen Definition nicht die Zustimmung der Bischöfe einholen müsse, daß er aber als Haupt des Kollegiums nicht definieren könne, was nicht zuvor schon von diesem geglaubt wird. Etwas, was kein Bischof für geoffenbart hält, kann auch der Papst nicht als geoffenbart erklären. Damit wird das Haupt der Kirche, das vom Körper wie getrennt schien, deutlich wieder auf den Leib gesetzt.

Sie sehen, durch die Aufnahme des Kollegiums der Bischöfe in das zweite Kapitel des Kirchenschemas wie durch die Betonung der Sakramentalität der Bischofsweihe, aus der nicht bloß die Weihegewalt, sondern auch eine Regierungsgewalt, ja eine Jurisdiktion (was nicht dasselbe ist) erfließen kann, ergeben sich schon weite Perspektiven, die für die Reform der Kirche wie auch in ökumenischer Hinsicht gegenüber den Orthodoxen und auch den Evangelischen von größter Bedeutung sein können. Sie verstehen auch, daß die Bischöfe hier nur zögernd folgen und jedenfalls sehr klar wissen wollen, was sie nun beschließen. Ich vermerke. daß manche, die das Bischofskollegium bejaht haben, trotzdem an der Ansicht festhalten wollen, daß der Papst die einzige Quelle der Jurisdiktion bleibe, wie das in der westlichen Welt heute Brauch ist. Andere aber waren nicht dieser Meinung. Vom Diakonat und von der Kirche der Armen habe ich nun nichts geschrieben. Ich denke, Sie wurden über diese beiden Punkte schon hinreichend informiert. Fast mit Sicherheit wirft eine dritte Sitzungsperiode schon ihre Schatten voraus, allein um das Kirchenschema unter Dach zu bringen. Hingegen spricht man jetzt doch davon, daß nach der Verabschiedung des Liturgie-Schemas, die (trotz der Verzögerungen, welche keineswegs Rückfälle bedeuten!) vor der Tür steht, das Verkürzte und verbesserte (?) Schema über die Massenmedien zur Abstimmung kommen soll. Wenn nach Allerheiligen die Simultananlage in Aktion tritt, welche Kardinal Cushing bezahlt hat, werden nun auch die Amerikaner stärker zur Geltung kommen. Der Strom hat Zug. Aus: „Orientierung", Zürich

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