An der Wiege des Christentums

Werbung
Werbung
Werbung

Spurensuche auf den Wegen, die der Apostel Paulus in Kleinasien durchschritten hat.

Weltgeschichte ereignet sich oftmals im Kleinen, in Gesten, Symbolen, in Nebensätzen - so auch im Fall des Christentums: Eine unscheinbare Stelle in der "Apostelgeschichte" dokumentiert wie keine andere Stelle im Neuen Testament den Ort und den Umstand des Ursprungs dieser religiösen Bewegung: In Antiochia nannte man die Jünger zum ersten Mal Christen (Apg 11,26), heißt es da. Vorausgegangen sind dieser Aussage zahlreiche Predigten vor Juden, Heiden, Einwohnern der Region - auch Streitigkeiten, Verfolgung und letztlich die Sammlung einer kleinen, jedoch stetig wachsenden Gemeinde. Und immer dreht sich die Geschichte des Anfangs, die zugleich die Geschichte des ersten Globalisierungsschubs des Christentums ist, um einen Namen: den Apostel Paulus. Will man sich auf seine Spur begeben, so führt die Suche in den äußersten Süden der Türkei, nach Kilikien.

Ausgangspunkt der Spurensuche ist Antakya, das antike Antiochien, nahe der syrischen Grenze. Antakya präsentiert sich als lebendige, pulsierende Stadt; von Straßenhändlern, Autos und flanierenden Menschenmengen verstopfte Straßen, aus jeder Gasse quellen Musik und exotische Gerüche hervor. Hier also wurden Christen zum ersten Mal als Christen bezeichnet. Heute zählt die katholische Gemeinde von Antakya nur mehr rund 70 Gläubige, in der gesamten Türkei gibt es nicht mehr als 30.000 Katholiken.

Einige verkündeten, als sie nach Antiochia kamen, auch den Griechen das Evangelium … (Apg 11,20)

In einer Seitengasse von Antakya weist ein verrostetes Schild auf eine katholische Kirche hin. Hinter einem baufälligen Torbogen öffnet sich ein weitläufiger Hof. Aus den geöffneten Fenster eines Seitengebäudes dringen vertraute Klänge: "Laudate omnes gentes". Rund 15 Jugendliche sitzen in einer kleinen Kapelle, lauschen der Gitarre von Pastoralassistentin Barbara Kallasch und intonieren Taizé-Gesänge. Seit über 30 Jahren lebt und arbeitet sie hier und hat geschafft, was selbst in vermeintlich liberalen Gesellschaften als Balanceakt gilt: Woche für Woche sammelt sie orthodoxe, katholische und muslimische Jugendliche zu einem ökumenischen Friedensgebet. "Wer miteinander singt, Andacht hält und anschließend zu Tisch sitzt, übt keine Gewalt", weiß sie zu berichten.

Bei einem anschließenden kleinen Empfang im Innenhof des Pilgerzentrums ist das Interesse an den fremden Besuchern groß. Stolz präsentieren Jean-Pierre, ein junger syrisch-orthodoxer Christ, und Mustafa, ein Alewit, eine weitere Frucht der Arbeit Barbara Kallaschs: sie sprechen deutsch und tuscheln aufgeregt, wenn sie eine Antwort nicht gleich verstehen. Dass hier das Zusammenleben der Religionen besser gelingt als andernorts, führt Kallasch auf die einzigartige Lage Antakyas zurück - die Region war immer schon Umschlagplatz zwischen Europa und dem Nahen Osten und Ort des Zusammentreffens von Ethnien und Religionen. Die kemalistische Religionspolitik hat die Religionen in die Defensive und ins Private gedrängt: "Diese erzwungene Gleichheit hat aber auch zusammengeschweißt."

Paulus antwortete: Ich bin ein Jude aus Tarsus in Kilikien … (Apg 21,39)

Die Spur des Heiligen Paulus führt weiter zu seiner Geburtsstadt, dem rund 200 Kilometer entfernten Tarsus. Ein Schild am Stadteingang informiert darüber, dass hier heute 229.921 Einwohner leben - von ehemals über 10.000 Christen ist kein einziger mehr übrig. Entsprechend gering ist hier das Interesse an dem berühmten Sohn der Stadt. Dabei galt Tarsus bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts als eine der wichtigsten christlichen Städte Kilikiens. Jetzt erinnert nur mehr wenig an Paulus: Ein einfaches Plakat am Eingang der kleinen Fußgängerzone, ein archäologischer Park mit ausgegrabenen angeblichen Überresten des Wohnhauses des Paulus, ein "Paulusbrunnen".

Ein interessantes symbolisches Anschauungsobjekt stellt hingegen die Pauluskirche in Tarsus dar. Nach den kemalistischen Enteignungen diente der schlichte Sandsteinbau zunächst als Munitionsdepot, später wurde er restauriert. Heute dient er als Museum. Als die Diskussion um eine Rückgabe des Gotteshauses an die Kirche anhub, erklärte man zunächst, eine solche Maßnahme sei nicht notwendig, weil die Kirche ohnehin für Gottesdienst und Gebet frei zugänglich sei - freilich erst nach Lösung eines Eintrittsbillets. Mittlerweile ist Bewegung in die Diskussion gekommen - ein eigener Kirchenbau scheint in erreichbare Nähe zu rücken und für die Zeit des Paulusjahres hat man sich bereit erklärt, auf die Eintrittsbillets für Gottesdienste zu verzichten.

Sie selbst wanderten von Perge weiter und kamen nach Antiochia in Pisidien … (Apg 13,14)

Das antike Antiochia in Pisidien, nahe dem heutigen Yalvaç, muss einst eine prächtige Stadt gewesen sein. Am Horizont des Hochplateaus schimmern die schneebedeckten Gipfel des wildromantischen Taurusgebirges, jenes mächtigen Gebirgszuges, der die gesamte Südküste der Türkei bestimmt. Von der Bedeutung der Stadt zeugt unter anderem die umfangreiche Predigttätigkeit des Barnabas und Paulus, der übermäßig viel Platz in der Apostelgeschichte eingeräumt wird: wer ein Destillat der neutestamentlichen Botschaft sucht, in den Versen aus Antiochia in Pisidien wird er es finden.

Die stummen Zeugen dieser großen Vergangenheit werden mittlerweile sanft von tief rotem Mohn und Gräsern umschmeichelt. Wer jedoch den Fuß in die erhaltenen Fundamente der Apsis der Pauluskirche setzt, kann ihn vielleicht noch spüren: den Geist des Aufbruchs und der weltgeschichtlichen Umwälzung, die hier ihren Ausgang genommen haben.

Sie schüttelten den Staub von ihren Füßen und zogen nach Ikonion … (Apg 13,51)

Als Paulus und Barnabas ob ihrer Predigttätigkeit um ihr Leben fürchten mussten, zogen sie weiter nach Ikonion, dem heutigen Konya. Was die Apostelgeschichte in wenigen Sätzen schildert, will auch heute noch erkämpft werden, sind doch von Antiochia bis Konya nicht weniger als 500 Kilometer und unzählige Pässe und Serpentinen zu überwinden. Konya präsentiert sich dem Besucher als moderne Großstadt, dominiert von hässlichen Betonbauten und breiten Straßenzügen. Vom Geist oder gar von historischen Zeugnissen des Apostels ist hier nichts übriggeblieben als eine kleine Backsteinkirche, liebevoll gepflegt von zwei italienischen Schwestern, die mit vereinzelten christlichen Pilgern Andachten halten. Mission - dieses große Wort will hier niemand in den Mund nehmen. Es geht einzig darum, im Kleinen Präsenz zu zeigen.

Auf den Spuren des Apostels Paulus reisen heißt heute nicht nur, durch eine der abwechslungsreichsten Landstriche Europas zu reisen, es bedeutet auch eine theologische Besinnung: Nachfolge bedeutet Pilgerschaft, bedeutet staubige Füße und wachen Geist. Sie bedeutet aber auch die Notwendigkeit, den eigenen Glauben stets aufs Neue befragen zu lassen - von den anderen, den Weggefährten, den Fremden. Sie verlangt nach dialogischer Offenheit und der Fähigkeit, die eigene Überzeugung durch Widerstände hindurch zu bewahren. Vielleicht ist es gerade dieser Zauber des Anfangs, dem es im kommenden Paulusjahr nachzuspüren gilt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.