An der Zensur vorbei beten

Werbung
Werbung
Werbung

Das Recht auf freie Religionsausübung ist in Vietnam nach wie vor nicht garantiert.

Mit verschwörerischer Miene und verschmitztem Lächeln kramt Pater Chan Tin aus einem versperrten Schrank in seinem Ein-Zimmer Wohnschlafbüro direkt neben der Kirche Duc Me einen Packen dünner Broschüren hervor. "Das ist die Zeitschrift, die ich mache", sagt er, nicht ohne einen raschen Kontrollblick durch die offene Terrassentür nach draußen zu machen, "sie heißt Letter From Home." "Und wissen Sie, wie wir sie machen?" fragt der Pater spitzbübisch.

Ohne eine Antwort abzuwarten, erklärt der 81-Jährige den Besuchern aus dem Westen dann, wie in Zeiten elektronischer Kommunikationsmittel an der Zensur vorbei publiziert wird: Er habe einen Freund hier in Ho-Chi-Minh-Stadt, der einen Internetanschluss habe. Über dessen E-Mail schicke er einem anderen Freund in Australien die Texte für die Zeitschrift. Der Australier wiederum sorge für den Druck und schicke ihm mit der normalen Post ein Exemplar.

Das sei bis jetzt immer noch gut und ohne Beschlagnahme angekommen, nimmt der Pater die Frage vorweg. Der Rest sei Kopierarbeit und ein Netzwerk guter Kontakte. Denn hier in Vietnam verteile er dann Kopien von Letter From Home unter rund 500 Gleichgesinnten, die wiederum Kopien herstellten und weitergäben. Dieses Produktions- und Verteilungssystem funktioniere gut, strahlt Chan Tin und ist sichtlich stolz darauf, den Behörden eins ausgewischt zu haben.

Wenig verwunderlich, dass die verbotene Schriftstellerin Duong Thru Houng, deren Bücher auf vietnamesisch nicht erscheinen dürfen, zu den Autorinnen gehört, die in seiner Zeitschrift publizieren. "In dieser Ausgabe hier hatten wir den etwas anderen Bericht zu einem Besuch Bill Clintons in Vietnam", zeigt Chan Tin auf einen Artikel: "Der offizielle Dolmetscher hat nämlich die Fragen Clintons nach den Menschenrechten nicht übersetzt!" Die Zeitschrift ist sein Beitrag zu mehr Pressefreiheit. Sei doch selbst das katholische Magazin "Union of Catholic Patriots" regierungstreu.

Menschenrechte, Presse- und Meinungsfreiheit sowie die Freiheit der Religionsausübung sind denn auch die Themen, um die es dem katholischen Priester immer gegangen ist. Chan Tin gehört dem Redemptoristenorden an. Und dieser gehört zu jenen in Vietnam, die nicht vom Staat sanktioniert sind. Volle Freiheit der Religionsausübung genießen in Vietnam nur die Mitglieder dieser offiziell genehmigten und in einem Naheverhältnis zur kommunistischen Partei stehenden Kirchen.

Alle anderen seien immer wieder behördlicher Willkür bis hin zur Verhaftung ausgesetzt, so auch der jüngste Bericht von Amnesty International. Erst im Mai dieses Jahres wurde wieder katholische Priester Thadeus Nguyen Van Ly wegen angeblicher Regimekritik festgenommen: Er habe wiederholt das sozialistische Vietnam verunglimpft, die Partei- und Staatspolitik gestört und Revolutionsführer Ho Chi Minh beleidigt. Im Oktober wurde Ly zu einer 15-jährigen Haftstrafe verurteilt.

Und auch Pater Chan Tin kann ein Lied von Problemen mit den Behörden singen. Seine dunklen Augen funkeln, wenn er in holprigem Englisch seine Geschichte erzählt. In den siebziger Jahren war er die wichtigste Informationsquelle über die Situation der politischen Gefangenen des von den USA gestützten diktatorischen Regimes in Südvietnam. Ausländische Journalisten, Vertreter der Anti-Kriegsbewegung in den USA und Menschenrechtler klopften bei ihm an.

Nur aufgrund seiner Bekanntheit entging er damals einer Verhaftung. Nach dem Krieg waren es dann die Kommunisten, die seine Offenheit, Menschenrechtsverletzungen anzuprangern und Religionsfreiheit zu fordern, nicht ertragen konnten. Als er Anfang der neunziger Jahre in drei Fastenpredigten vor Ostern die Regierung wegen der Verletzung von Menschenrechten kritisierte, verbannte ihn diese in ein kleines, sehr armes Dorf im Mündungsgebiet des Saigon River. Drei Jahre lang stand er unter Hausarrest, durfte das Dorf nicht verlassen, nicht mehr predigen oder die Messe halten. Bis heute stehe er unter polizeilicher Beobachtung, sagt er. Predigen dürfe er zwar, doch habe er kaum Gelegenheit dazu - der Vorgesetzte in der Kirche erledige das lieber selbst.

Politische Dissidenten und religiös motivierte Kritiker der Regierung, darunter ehemalige gewaltlose politische Gefangene, würden nach wie vor von den Behörden schikaniert und in ihren friedlichen Aktivitäten behindert, so die Menschenrechtsorganisation Amnesty International.

Betroffen davon sind demnach nicht nur die katholischen Redemptoristen, sondern vor allem auch die Mitglieder der Vereinigten Buddhistischen Kirche von Vietnam. Deren Vorsitzender Thich Quang Do, 83, wurde im Berichtszeitraum von Amnesty in seinem Kloster in Ho-Chi-Minh-Stadt ebenfalls von der Polizei überwacht; seine Bewegungsfreiheit war stark eingeschränkt. Spektakulär war im September der tragische Tod eines Mitglieds der Buddhistischen Kirche in Zentralvietnam: Der 61-jährige Ho Tan Anh hatte sich aus Protest gegen die Unterdrückung seiner Gruppierung selbst verbrannt.

Unliebsame Kritiker unter Hausarrest zu stellen, sei neuerdings eine sehr beliebte Methode, erzählt Pater Chan Tin. Ihre Telefonleitungen würden gekappt, sie selbst unter polizeiliche Bewachung gestellt und völlig von ihrer Umwelt isoliert. Das halte die Zahlen politischer Häftlinge niedrig.

Als im Oktober 1998 der UN-Sonderberichterstatter für religiöse Intoleranz Vietnam besuchte, unterstand auch er einer strengen Kontrolle und Überwachung. Ein geplantes Treffen mit einer Reihe religiöser Gefangener und Dissidenten wurde von den Behörden verhindert. Im März 1999 publizierte der UN-Sonderberichterstatter einen Bericht. Die vietnamesischen Behörden reagierten mit der Feststellung, dass "Individuen oder Organisationen, die nach Vietnam kommen, um hier Aktivitäten im Zusammenhang mit Menschenrechten oder Religion durchführen und sich dabei in die inneren Angelegenheiten des Landes einmischen, fortan nicht mehr akzeptiert würden."

Tatsächlich sind Schreiben von Amnesty International an die vietnamesische Regierung bis dato unbeantwortet geblieben. Menschenrechtsbeobachter aus dem Ausland erhalten weiterhin keine Einreiseerlaubnis.

Der Argwohn, den die Regierung in Hanoi so mancher Kirche entgegenbringt, wird indes aus der Geschichte des Landes heraus etwas verständlich. Der Katholizismus etwa erlebte just unter der französischen Fremdherrschaft eine Blütezeit. Die Behandlung der Katholiken war ein wichtiger Vorwand für die französische Intervention. Viele der Flüchtlinge, die während des Befreiungskrieges in den fünfziger Jahren in den Süden - und damit in den antikommunistischen Einflussbereich flohen, waren Katholiken. Lange Zeit sah die Regierung in Hanoi daher in den Katholiken westlichen Kulturimperialismus.

Die buddhistischen Hoa Hao wiederum, deren Mitglieder immer wieder verhaftet werden, unterhielten vor der Vereinigung des Landes 1975 eigene bewaffnete Truppen, waren sehr politisch - anti-kommunistisch - ausgerichtet und sollen gute Verbindungen zum US-gestützten Regime im Süden gehabt haben. Nach Jahrzehnten des Krieges und der Fremdbestimmung ist die heutige Regierung übersensibel gegenüber allem, was auch nur im entferntesten nach einer Rückkehr in eine unselige Vergangenheit aussehen könnte.

Uum Thema: Rom und Hanoi

Erstmals seit der kommunistischen Machtübernahme durften dieser Tage alle vietnamesischen Bischöfe zum Ad-limina-Besuch nach Rom reisen. Schon im Juli konnte der Papst drei neue Bischöfe ernennen. Ein Nachfolger für den 82-jährigen Erzbischof von Hanoi, Kardinal Joseph Pham -Dinh Tung, ist aber noch nicht in Sicht.

Es scheint Bewegung in die Beziehungen zwischen dem Vatikan und Hanoi zu kommen; immerhin sind 10 Prozent der Vietnamesen katholisch. ofri

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung