An Gott "nach Auschwitz" glauben

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Seit dem Jahr 2000 feiern alle Kirchen in Österreich jeweils am 17. Jänner den "Tag des Judentums" als Lehr-und Lerntag für die Kirchen. Die Initiative dafür geht auf die Zweite Europäische Ökumenische Versammlung 1997 in Graz zurück. Es ist der Tag vor der Weltgebetswoche für die Einheit der Christen. Vor aller Verschiedenheit der Kirchen steht damit die Erinnerung an die Verwurzelung des Christentums im Judentum und die geschwisterliche Gemeinschaft mit dem Volk Israel. Am 27. Jänner begeht Deutschland den Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, der 1996 von Bundespräsident Roman Herzog proklamiert worden ist. Es ist der Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz-Birkenau durch die Rote Armee 1945. Damit steht der Januar in einem eigentümlichen Spannungsfeld. Nach der Schoa, dem Erdbeben, das alle herkömmlichen Messinstrumente zerstörte (Jean François Lyotard), stand jede Theologie auf dem Prüfstand. Jüdische Theologie im Besonderen stand vor der Aufgabe, den Glauben an einen Gott "nach Auschwitz" sinnvoll darzustellen. Wesentliche Grundlagen vor allem der modernen jüdischen Theologie waren durch den Holocaust in Frage gestellt: der Glaube an den innerweltlichen moralischen und sozialen Fortschritt; die Aufklärungsidee von der Perfektibilität des Menschen; und der Universalismus, der Juden und das Judentum in den Horizont der Fragen und der Geschichte aller Menschen stellte. Damit markiert die Schoa eine Zäsur in der Reflektion über ein jüdisches Gottes-, Welt-und Menschenbild und in der Auseinandersetzung mit dem Christentum. Das macht die Besetzung des ersten konfessionsgebundenen Lehrstuhls für "Jüdische Religionsphilosophie der Neuzeit" bedeutungsvoll. Die "School of Jewish Theology" der Universität Potsdam gibt damit 2014 der geistigen Neubesinnung des Judentums eine wichtige Plattform im deutschsprachigen Raum.

Der Autor ist Rabbiner und leitet das Abraham-Geiger-Kolleg in Berlin

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