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Anfang und Ende

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NATURWISSENSCHAFT UND KATHOLIZISMUS. Einheit und Widerspruch von Geist und Materie. Von Paul Chauchard. Walter.Verlag, Ölten. 175 Seiten. Preis 108.80 S. —

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NATURWISSENSCHAFT UND KATHOLIZISMUS. Einheit und Widerspruch von Geist und Materie. Von Paul Chauchard. Walter.Verlag, Ölten. 175 Seiten. Preis 108.80 S. —

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DAS ENDE DES TECHNISCHEN ZEITALTERS. Von Georg S i e b e r s. Verlag Karl Alber, Freiburg im Breigau, 1963. XXVIII und 860

Teilhard de Chardin hat ein in seiner Sicht großartiges, in seiner Formulierung aber torsohaftes Werk hinterlassen. Er ist übrigens nicht der einzige Naturwissenschaftler, dessen Verdienst in erster Linie in dem Impuls liegt, den er seiner Zeit gibt. In der Literatur bewirken Persönlichkeiten wie Teilhard immer eine Fülle von Sekun-däfwerken. In teilweise guter Meinung wird das Gedankengut in die Breite getrieben. Wie nachteilig die Folgen sein können, zeigt etwa der Fall Charles Darwin. Man möchte Teilhard de Chardin dieses Schicksal ersparen und nähme eine etwas langsamere Ausbreitung seiner Gedanken dafür gerne in Kauf.

Im Sinne Teilhards handeln, heißt sein Werk interpretieren, indem man es weiterdenkt und damit über die Sekundärliteratur hinauskommt. Auf dieser Linie liegt das Buch Paul Chauchards. Der Autor ist von Beruf Neurophysiologe, also Naturwissenschaftler. Aber er ist von seinem Beruf nicht nach Art vieler Gelehrter so besessen, daß er über die Grenzen nicht hinauszublicken vermag. Im Gegenteil: Sein Horizont ist weit, universal wie der Teilhards. Er hält die Kosmologie für einen Zweig der Naturwissenschaft und spricht von ihr in der entsprechenden Terminologie. Die andere Fakultät wird das zur Kenntnis nehmen müssen.

Es wird kaum einen Leser geben, der alle von Chauchard vertretenen Standpunkte akzeptiert. Es gibt zur Zeit zwischen Naturwissenschaft und Katholizismus ein Niemandsland. Es wegzuleugnen ist ebenso unehrlich, wie es feige ist, den Kopf erst gar nicht aus dem Graben zu stecken. Die richtige Haltung ist ein waches Vordringen, so weit, wie es Bildung, Mut und Gewissen erlauben. Man kommt so an eine bestimmte Stelle, an der man stehenbleiben und warten muß.

Die folgenden Gedankenschritte des Rezensenten kann man nicht unbedingt verallgemeinern: Chauchard beweist die Richtigkeit des biologischen Materialismus. Was wir Seele nennen, ist nur eine evolutiv entstandene Komplexität der Materie. Ein naturwissenschaftlicher Dualismus ist unhaltbar. Die Neurochirurgie liefert dazu Beweise. Falsch ist lediglich die Übertragung dieser Erkenntnis in den metaphysischen Bereich. Die saubere Scheidung der Bereiche bringt die Chance einer leichteren Verständigung mit dem dialektischen Materialismus. Der Thomismus erweist sich als aktuelle Philosophie. Wer so weit zu einem Nachvollzug bereit ist, hat schon viel gewonnen.

Die wirklich großen Fragen indes stellen sich jetzt erst. Es sind jene nach dem Determinismus und der Moral. Die Lösungen, welche hier angeboten werden, scheinen nicht annehmbar. Der biologische Bereich vermittelt durchaus nicht zwingend die von Chauchard dargestellten moralischen Normen. Das — wenn auch nicht sinnlose — Fressen und Gefressenwerden in der Natur dient zwar der Evolution, kann aber keine menschliche Ethik begründen. Der Versuch einer „biologischen Moral“ führt zu einer bestialischen Moral, für die die Opfer der nationalsozialistischen Ära ein Zeugnis sind.

Auch eine evolutionistische Sozialethik mit dem Ziel einer Art von Kollektivbewußtsein wird der Eigenständigkeit des Menschen nicht gerecht. Gewiß ist es richtig, den kon-r struktivan Beitrag des dialektischen* Materialismus zur neuen Gesellschaftsordnung nicht zu unterschätzen. Aber dieser Beitrag kann nur im Rahmen einer Freiheit möglich sein. Wenn man schon evolutio-nistisch denkt, warum sollte dann nicht auch die Freiheit — gerade die Freiheit! — eine biologisch notwendige Erscheinung der komplexen Materie sein? Wenn man schließlich Zugeständnisse der friedlichen Evolution an die Gewalt macht („Es gelingt uns noch nicht, die privilegierte Klasse von ihrer Besitzneurose zu überzeugen, und so müssen wir manchmal die Gefahr auf uns nehmen, einer Aggressivitätsneurose zu verfallen, um den Fortschritt zu sichern.“ Seite 151.), so wäre ein Zugeständnis an die Offenbarung doch wohl klüger und leichter. *

Im Gegensatz zu dem zukunftsoffenen Blick, der der evolutionisti-schen Schule zwangsläufig eigen ist, liegt auf der Studie von Georg Siebers ein etwas düsterer, pessimistischer Schleier, welcher — nach einem geheimnisvollen, aber überall gültigen Gesetz — auch auf die Sprache wirkt. Wer freilich nach Wahrheit sucht, die real nachvollziehbar ist, wird bei Siebers eine ergiebigere Ausbeute finden. Es geht hier nicht mit fliegenden Fahnen in eine im Punkt Omega auf alle Fälle gesicherte Zukunft, sondern in eine humane Sorge.

Geschichtsphilosophie und Wirtschaftspolitik bilden die Ausgangspunkte von stellenweise etwas trok-ken-akademischen Untersuchungen über das mögliche Ende der Technik. Der Autor sieht darin eine Chance für die Rettung des Wissens aus der Vorherrschaft der Macht, eine Entflechtung der Sphären zu einem menschenwürdigeren Dasein.

Das Werk fordert deswegen weniger Widerspruch und Diskussion heraus, weil es nach moralischen Konsequenzen nur in entfernterem Sinne verlangt. Die Gedanken sind jedoch erregend genug — und sie mögen auch als Beweis dafür dienen, daß der Evolutionismus zwar eine Weltschau ist, die das Gefühl beflügeln kann, aber kein unbedingt gültiges Patentrezept, außer dem man nicht mehr selig werden könnte. Oswald Spengler oder Teilhard de Chardin: das ist keine Alternative, sondern eine Pluralität!

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