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Der ORF und die österreichische Debattenkultur.

Die derzeit wieder besonders lautstark geäußerte Kritik an der ORF-Information, namentlich an Info-Direktor Gerhard Draxler, vor allem aber an Chefredakteur Werner Mück, muss unvoreingenommenen Beobachtern in vielem überzogen scheinen. Die ZiBs etwa oder der Report, Herzstücke dieses Bereichs, werden grosso modo ihrem öffentlich-rechtlichen Informationsauftrag und dem damit verbundenen Objektivitätsgebot (einschließlich der Analysen von Mück, Hans Bürger & Co.) durchaus gerecht.

Wer freilich am letzten Sonntagabend (vielleicht erstmals wieder nach langer Zeit, weil die Sendung seit Peter Rabls Zur Sache immer entbehrlicher wurde) bei Offen gesagt landete, mochte alles, was über das "System Mück" im Umlauf ist, für bare Münze nehmen. "Wie sicher ist Österreich wirklich?" stand zur... Nun, wie sollen wir es nennen? Diskussion? Ein kurzer Blick auf die Teilnehmerliste könnte weiterhelfen.

Da war einmal der Innenminister (der über dieses Thema sicher lieber redet als beispielsweise über seine Asylpolitik); dann ein Oberpolizist, der etwas umständlich die zentrale Botschaft an die Zuseher brachte, dass Ernst Strasser der größte Polizeireformer aller Zeiten ist (wenn Strasser der Meinung war, dass das nicht hinreichend deutlich wurde, ergriff er ohnedies selbst das Wort); als Betroffene ein Einbruchsopfer, deren einbruchsmäßige Betroffenheit allerdings aus den 70er-Jahren herrührt (was praktischerweise Strasser die Gelegenheit gab, auf das Versagen der - damals amtierenden - roten Innenminister hinzuweisen); der Justizminister, der "offen sagen" wollte, was ohnedies alle anderen auch die ganze Zeit sagten: dass das Unsicherheitsgefühl der Menschen um sich greife; weiters Erich Haider, der als Bewahrer der reinen Lehre vielen in der SPÖ als Hoffnungsträger gilt, seit sein VOEST-Populismus von den oberösterreichischen Wählern und Wählerinnen entsprechend honoriert wurde: Haider brachte vor allem oö. Lokalkolorit ein, bestätigte, dass man die Probleme, die es bundesweit gibt, auch im Vierviertelland kennt und - Achtung, Opposition! - kritisierte das Versagen der Bundesregierung und des Innenministers, weil sie dem Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung nicht Rechnung trügen; last not least der Experte, der so vornehm war, die erste halbe Stunde überhaupt nichts Expertenhaftes von sich zu geben.

Warum das hier so ausführlich geschildert wird? Weil es für die demokratische Befindlichkeit einer Gesellschaft nicht unerheblich ist, wie es um die zentrale politische Diskussionssendung der öffentlich-rechtlichen TV-Anstalt des Landes steht. Weil sich darin ein erschreckendes Niveau öffentlicher Debattenkultur manifestiert. Weil so heikle Themen wie "Sicherheit" äußerster Behutsamkeit bedürften und gerade hier der ORF mit einer Sendung wie Offen gesagt brillieren müsste.

Natürlich gehören die verantwortlichen Politiker ins Studio; natürlich auch Betroffene - das Letzte, was dem Diskurs förderlich wäre, ist das Lächerlich-Machen oder Diskreditieren von Ängsten -, aber solche, denen man ihre Rolle abnimmt, wie die vielzitierte Frau, die sich am Abend nicht allein aus dem Haus traut. Dann aber will man auch andere Perspektiven eingebracht haben: etwa die, dass Sicherheit in einem globalen - ökonomischen, ökologischen, sozialen - Kontext gesehen werden muss, wie das Helmut Schüller in dieser Ausgabe ("Zeitgespräch", Seite 5) thematisiert. Oder, philosophisch-anthropologisch ebenso zu erörtern wie soziologisch, die Frage nach dem Spannungsverhältnis zwischen Sicherheit und Freiheit: Wie viel Sicherheit braucht die Freiheit - und wie viel verträgt sie? Ab wann kippt Freiheit bzw. Sicherheit jeweils in ihr Gegenteil? Hier würden Grenzen überzogenen Sicherheitsdenkens schnell sichtbar, ebenso wie die Notwendigkeit der Einbettung individueller Freiheitsansprüche in den sozialen Kontext.

In solchen und ähnlichen Konfrontationen könnte der ORF seiner Rolle als Leitmedium verantwortungsvoll gerecht werden, sein Profil schärfen. Hier, nicht bei kurzfristigen Quoteneinbrüchen, derer man mittels Aufmotzung von Studios und Personal begegnen will, liegen die wahren Probleme der "größten Medienorgel des Landes".

rudolf.mitloehner@furche.at

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