"Anti-Amerikanismus ist kein Argument für Bush"

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unserer Vergangenheit, genauso wie wirklich sehr viel Quatsch über die Ereignisse im Nahen Osten, besonders im Irak, verbreitet wird. Zum Beispiel, dass es keinen islamistischen Terror ohne die Aktivitäten der USA im Nahen Osten gäbe. Die USA hätte den Islamismus geschürt, gesponsert ... - ich kann nur sagen: Quatsch, leider immer auch mit einem Quäntchen Wahrheit dabei.

Reiter: Ich halte nichts von den Verschwörungstheorien. Ich halte auch nichts von der europäischen Doppelmoral: Bush wirft man vor, dass er mit Putin gute Kontakte pflegt und den Tschetschenien-Krieg nicht kritisiert - das ist dann ein schlechtes Amerika. Wenn ein Chirac oder ein Schröder das Gleiche tun, dann ist das nicht dasselbe. Da sagt man nicht generell, Deutschland ist schlecht oder Frankreich. Wenn amerikanisches Handeln kritisierbar ist, dann wird der Staat als solcher zum Kritikobjekt und nicht die konkrete Regierung allein.

Gerlich: Man verfällt leicht dazu, dass man ein Land verantwortlich macht, für das, was eine bestimmte Regierung unternimmt. Intellektuell weiß ich auch, dass das Bush-Amerika nicht das ganze Amerika ist. Es gibt nach wie vor das Amerika, mit dem ich mich identifiziere und das ich immer als Vorbild gesehen habe. Aber augenblicklich ist das nicht da. Wobei das nicht nur bei mir so ist: Eine jüngst veröffentlichte Studie zeigt ja, wie sehr das Ansehen der USA in Österreich gesunken ist (siehe Seite 2 unten).

Pilz: Die Anti-Amerikanismus-Debatte in Österreich - ich muss sie versäumt haben. Ich hab sie nicht wahrgenommen. Ich hab einzelne Beiträge wahrgenommen, aber keine Debatte. Einige europäische Länder haben die (völkerrechtswidrige) Intervention der USA im Irak mitgetragen und unterstützt. Andere haben sie geduldet und ganz milde und ganz höflich kritisiert. Wer hinter dieser Kritik an den USA wegen des Irak-Kriegs Anti-Amerikanismus vermutet, macht es sich mit dem Wort "Anti" schon sehr leicht.

Reiter: Die Anti-Amerika-Debatte nehme ich täglich in persönlichen Kontakten wahr, ich nehme sie wahr in feindseligen Aussagen, die über Kritik hinausgehen.

Rabinovici: Auch an mir ist die Debatte nicht vorbeigegangen. Ich habe sehr wohl gehört, dass Rudolf Burger gesagt hat, die jüdische Lobby bestimme die US-Politik. Otto Habsburg hat gemeint, das US-Außenministerium sei in der Hand der Schwarzen und das Verteidigungsministerium in der Hand der Juden. Das ist eine Ethnifizierung von Politik, die eine lange Tradition hat.

Harrer: Es gibt sicher Hinweise auf eine Verschärfung der Debatte: Mein Kollege Eric Frey hat ein Buch über die USA geschrieben - über dieses "Schwarzbuch USA" (siehe Rezension unten) kann man debattieren, man kann sagen, es ist schlecht, es ist oberflächlich ... Aber Frey ist bestimmt kein Anti-Amerikanist. Trotzdem wurde er heuer beim amerikanischen Nationalfeiertag nicht mehr in die US-Botschaft in Wien eingeladen. Gewiss, jeder darf einladen, wen er will, aber ich halte es für demokratiepolitisch bedenklich, wenn kritische Leute nicht mehr eingeladen werden. Das sind Hinweise, dass man bei zu wenig Wohlverhalten sehr schnell bestraft wird.

Rabinovici: Ich finde es auch skandalös, dass Eric Frey nicht zu diesem Empfang eingeladen wurde. Hier wird der Begriff Freund falsch interpretiert: Bin ich ein Freund, wenn ich sage, dass mein Freund in allem, was er tut, Recht hat? Oder bin ich ein Freund, wenn ich ihn auf einen Fehler hinweise? Selbst auf die Gefahr hin, dass er meint, ich würde ihn zu heftig kritisieren.

Gerlich: Darin besteht ja die generelle Problematik: diese Unterscheidung zwischen Anti-Amerikanismus und der Kritik an der Bush-Administration.

Rabinovici: Ich habe das Buch von Eric Frey gelesen. Und ich fand es merkwürdig, einen Sündenkatalog über ein Land zu erstellen. Das kann ich mir über ein anderes Land so gar nicht vorstellen. Der erste Satz lautet: "Amerika könnte ein wundervolles Land sein" - und danach kommt das ganze Sündenregister der USA - von der Vietnam-Politik bis zu den Essensgewohnheiten. Ein interessanter Punkt: Es gibt viele Dinge, die wir an anderen Ländern kritisieren. Aber wir sagen nicht: Italien könnte ein wunderbares Land sein, wenn da nicht a, b, c, ... Sondern wir sehen: Länder und ihre Bewohner sind unterschiedlich. Und wir sagen sogar: Andere Länder, andere Sitten. Bei den USA geht das nicht, und es geht von Anfang an so nicht. Es ist ja nicht so, dass wir diese Kritik erst seit Bush haben. Seitdem es die USA gibt, sind die USA zweierlei: Paradies, Eldorado, Hoffnungsträger oder das Schrecklichste an sich. Wir Europäer sind den USA anders böse als anderen Ländern.

Pilz: Es stimmt, Italien wird im Großen und Ganzen anders wahrgenommen als die USA. Ich habe aber die Vermutung, dass das vor rund 2000 Jahren anders war. Das hat etwas mit Macht und mit Übermacht zu tun.

Rabinovici: Es gibt einen Anti-Amerikanismus, der ist älter als die Supermacht-Stellung der USA. Was hat Heine, was hat Lenau dazu geschrieben - letztlich sind das Dinge, die man vor hundert Jahren an den USA kritisiert hat. Und die Ostküste ist ein Begriff, den hat schon Lueger verwendet. Das sind Kontinuitäten.

Gerlich: Wenn man irgendwelche zwei Länder nimmt, Andorra und Liechtenstein z. B., dann lässt sich in Andorra ein Anti-Liechtensteinismus und umgekehrt nachweisen. Über die Zeit gibt es immer Äußerungen und immer Unzufriedenheit. So ähnlich ist das, wenn man auf die lange Tradition des Anti-Amerikanismus in Europa hinweist, der viel Anlass für Dissertationen und gelehrte Bücher bietet, aber wenig darüber aussagt, was aktuell wichtig ist.

Rabinovici: Anti-Amerikanismus verortet das Böse an einem Ort: Die USA sind das Grundübel, aus den USA kommt das Grundübel. Amerika gibt es immer nur im Plural. Diesen Plural zu sehen und aufzuzeigen halte ich für wichtig, auch wegen der Hoffnung, dass sich die Politik in den USA eventuell doch bald ändert.

Harrer: Mir gefällt sehr, was Doron über das Nicht-Verorten des Bösen sagt. Aber gerade diese Rhetorik von Gut und Böse, dieses Auseinanderdividieren ist ja eine Erfindung der Bushies und nicht der Anti-Amerikanisten.

Reiter: Man sollte die Situation nicht nur aus dem Augenblick heraus beurteilen, das verschließt den Blick für vergangene und zukünftige Entwicklungen. Die USA haben den Völkerbund gegründet, dann waren sie die treibende Kraft für die Vereinten Nationen - ein Verdienst, der nicht hoch genug bewertet werden kann. Die Frage ist aber, ob Europa die globale Ordnungspolitik weiterhin den Amerikanern überlässt, die das einfach tun. Und mir ist es lieber, die USA tun es als ein anderes Land. Aber mir wäre es noch lieber, wenn sich die Europäer stärker einbringen. Die Amerikakritik zeigt doch, dass wir mit vielem nicht zufrieden sind. Nicht zufrieden sein sollte aber die Konsequenz haben, dass sich Europa als Akteur mehr einbringt.

Das Gespräch hat Wolfgang Machreichmoderiert und zusammengefasst.

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