Antisemitismus bis "Causa Groer"

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Der katholische Kirchenhistoriker Maximilian Liebmann und der evangelische Oberkirchenrat Michael Bünker zur Schuld der Kirchen des Landes.

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Der katholische Kirchenhistoriker Maximilian Liebmann und der evangelische Oberkirchenrat Michael Bünker zur Schuld der Kirchen des Landes.

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Harte Worte in bezug auf die Vergangenheitsbewältigung der katholischen Kirche fand der Grazer Kirchenhistoriker Maximilian Liebmann beim Jour Fixe des Verbandes katholischer Publizisten in Wien. Liebmann nannte dabei vier Bereiche, bei denen Aufarbeitung dringend nottut: 1.) der Antisemitismus des katholischen Lagers, 2.) das historische Misstrauen der katholischen Hierarchie in die Demokratie, 3.) der Umgang mit den Opfern des Nationalsozialismus, 4.) die "demonstrative Wiederwahl" des gravierender Vergehen beschuldigten Kardinals Hans Hermann Groer zum Vorsitzenden der Bischofskonferenz am 4. April 1995.

Rohracher im Ornat Liebmann plädierte dabei nicht für eine Vergebungsbitte nach dem Vorbild des Papstes, sondern sprach sich für gründliche Forschungsprojekte aus. In Bezug auf den christlich-sozialen Antisemitismus seien nicht in erster Linie die Bischöfe gefragt, sondern die Laien, aus deren Reihen der Antisemitismus besonders propagiert worden sei. Besonderes Anliegen ist Liebmann die Bewusstmachung, wie wenig die Katholiken mit den Opfern des NS-Regimes zu tun haben wollten: Er habe bis jetzt nur zwei Pfarren ausfindig gemacht, die nach 1945 ihren Pfarrer, der aus dem KZ kam, freudig und feierlich empfangen hätten; und ihm sei kein einziger Fall bekannt, wo ein Priester, der die Hölle der NS-Unmenschlichkeit überlebt habe, von der Kirtche offiziell bedankt oder geehrt worden sei. Dahingegen habe der damalige Salzburger Erzbischof Rohracher ehemalige NS-Funktionäre, die im Lager Glasenbach interniert waren, aufgesucht - und zwar "im vollen Ornat".

Bis heute, so Liebmann, wirke auch das Führerprinzip in der Kirche nach und ein fundamentales Misstrauen der Hierarchie gegen die Demokratie und gegen demokratische Strukturen im eigenen Bereich. Zum Verhalten der katholischen Bischöfe in der Anfangsphase der "Causa Groer" bemerkte Liebmann, sie hätten damit bis in die Kernschichten der Katholiken Ansehen, Vertrauen und Autorität verloren. Bis zum heutigen Tag seien die Bischöfe für dieses Verhalten eine Erklärung schuldig geblieben.

"Nazi-Kirche" der 30-er Auch in der evangelischen Kirche Österreichs sei das Verhalten zur Nazi-Zeit noch zu wenig aufgearbeitet, erklärte Oberkirchenrat Michael Bünker beim Jour Fixe der Katholischen Publizisten: Die evangelische Kirche habe in Österreich schon in den dreißiger Jahren als "Nazi-Kirche" gegolten. Nach dem Krieg habe man sich um "Systemsicherung" bemüht und sich strikt von der Politik fern gehalten. Dadurch habe die evangelische Kirche ihr Verhältnis zur Demokratie nicht genügend geklärt; der Konflikt um die Superintendentin Gertraud Knoll habe diese Defizite deutlich gemacht.

Allerdings, so der Oberkirchenrat, habe das "Schuldbekenntis" der evangelischen Kirche aus dem Jahr 1998 einen Durchbruch dargestellt, weil darin die Synode die Mitschuld der Kirche an der Judenverfolgung erklärt habe. Zur Frage, ob eine Kirche als ganze schuldig werden könne, erinnerte Bünker daran, dass schon für Martin Luther die Kirche die "größte Sünderin" war. Diese Tradition sei aber auch in seiner Kirche rasch verlorengegangen und erst beim deutschen protestantischen Theologen und NS-Märtyrer Dietrich Bonhoeffer wieder aufgetaucht.

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