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Antwort auf ein Krenn-Interview

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Ein Zeitdoicument: die Stellungnahme des Neutestamentiers Jacob Kremer zu Bischof Kurt Krenns Theologenkritik.

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Ein Zeitdoicument: die Stellungnahme des Neutestamentiers Jacob Kremer zu Bischof Kurt Krenns Theologenkritik.

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In seinem Interview in der Zeitschrift „II regno" (vergleiche Kathpress 27. Februar 1994) macht Bischof Dr. phil. Kurt Krenn unter anderem den österreichischen Theolo-jen schwere Vorwürfe, die eine Stel-ungnahme erfordern. Er bemerkt zu Beginn, daß er zu ihnen nicht die Beziehung habe, die er mit den deutschen Theologen hatte, als er in Regensburg war: „Da war ich mit Kardinal Ratzinger zusammen." Er verschweigt, daß diese Beziehung gar nicht so harmonisch war und viele über seine Abberufung nach Wien froh waren, wie ich aus Gesprächen mit Kollegen weiß.

Zu den Theologen in Österreich erklärt er, der außer seiner philosophischen Dissertation kaum eine eigenständige theologische Arbeit veröffentlicht hat, daß ihre Theologie „kein sehr hohes Niveau" habe. „Sie ist ein bißchen von den Humanwissenschaften beeinträchtigt: Psychologie, Soziologie und so weiter. Als Wissenschaft ist uns die Theologie aus der Hand geglitten." Wie unbegründet diese Behauptung ist, lehrt etwa die Ringvorlesung der Katholisch-Theologischen Fakultät im Wintersemester 1992/93, veröffentlicht mit einem Geleitwort von Kardinal König in: „Aufbruch des Zweiten Vatikanischen Konzils heute" (Innsbruck, Tyrolia Verlag 1993).

PAUSCHALE UNTERSTELLUNGEN

In dieser „Visitenkarte" der Katholisch-Theologischen Fakultät Wien ist kaum von Psychologie und Soziologie die Rede, viel aber vom Wort Gottes, vom Gottesdienst und dem erneuerten Kirchen- und Priesterverständnis, der Aufgabe aller Christen in der heutigen Welt und besonders der Ökumene. Der Moral-theologe Günter Virt zeigt dort übrigens, wie die Kritik Krenns an der Mariatroster Erklärung von einem vorkonziliaren Begriff des Gewissens ausgeht.

Krenn versucht seine pauschale Unterstellung mit folgender Behauptung zu begründen: „Nehmen Sie nur die Exegese. Sie sagt alles über die Geschichte, über die literarischen Gattungen und endet damit, nichts über das Wort Gottes zu sagen." (Diese Vorwürfe wiederholt er kurz darauf noch einmal: „ … die alles erklärt außer dem Wort Gottes.")

Das ist einfach eine Verleumdung und Diskriminierung der österreichischen Bibelwissenschaftler. Vermutlich hat Krenn schon lange nicht mehr eine bibeltheologische Veröffentlichung gelesen. Ich selbst behandle zum Beispiel in meinen Vorlesungen, Vorträgen, Predigten, Artikeln und Büchern immer wieder das Thema, wie die Bibel heute als Wort Gottes an uns zu verstehen ist.

WER BETRÜGT DIE LEUTE?

Dies zeigt doch schon der Titel meines in mehrere Fremdsprachen übersetzten Buches „Die Bibel -Gottes Wort an alle" (Leipzig 1988; eine Zusammenfassung der Bücher „Die Bibel lesen - aber wie?" und „Die Bibel - ein Buch für alle"). In meinen Kommentaren zum 2. Ko-rintherbrief (Stuttgart 1990) und zum Lukasevangeliimi (Würzburg 1992, zweite Auflage) folgt auf die Erklärung des bibhschen Textes je-

weils ein breiter Abschnitt über die Bedeutung der jeweiligen Perikope als Wort Gottes an die heutigen Leser. Wie ich, so lehren und schreiben auch meine Kollegen in Wien, Salzburg, Graz, Innsbruck und Linz.

Gegenüber den theologisch bestens ausgewiesenen deutschen Bischöfen Oskar Saier, Walter Kasper und Karl Lehmann, die neue Möglichkeiten zur Zulassung von Geschiedenen zu den Sakramenten aufzeigen (so wie Kardinal König), spielt sich Krenn als Verteidiger der

wahren kirchlichen Lehre auf und versteigt sich dabei zu der grotesken. Tausende Katholiken in Osterreich diskriminierenden Äußerung: „Die Wiederverheirateten sind im Zustand öffentlicher Sünde und wir geben diesen Leuten die Eucharistie?"

Jedem Theologen ist die Unterscheidung zwischen objektiver und subjektiver Schuld geläufig. Außerdem steht aus kirchenrechtlicher Sicht keineswegs fest, daß jede Erstehe auch gültig war und eine

Zweitehe verbietet.

Vor allem aber unterschlägt Krenn wie auch seine römischen Gewährsleute die wahre Aussage der Bibel und der kirchlichen Tradition. Jesu entschiedenes Verbot der Ehescheidung ist nämhch von Anfang an nicht als ein starres Gesetz aufgefaßt worden, das keine Ausnahmen kennt; dies belegen schon Mt 5,32 („ausgenommen den Fall der Unzucht^; ähnhch Mt 19,9) und 1 Kor 7,15f (Erlaubnis der Scheidung von einem ungläubigen Partner). Unter

Berufung darauf haben viele Kirchenväter des Ostens die Ehescheidung und Wiederheirat in Ausnahmefällen gestattet, wie dies auch heute noch in den Ostkirchen geschieht.

Die römisch-katholische Kirche hat auf dem Konzil von Trient bewußt auf die ostkirchliche Praxis Rücksicht genommen und sie nicht verurteilt, ja, auf dem Unionskonzil von Florenz (1439-45) hatte sie vorher schon diese Praxis den nunmehr mit ihr Unierten zugestanden. (Erst 400 Jahre später wurde sie unter Pius IX.) verboten.) Bekanntlich hat schließlich Rom auch unter Berufung auf 1 Kor 7,15 viele gültige Ehen mit Ungetauften geschieden (Privilegium Paulinum) und seit 1924 sogar dem Papst eingeräumt (Privilegium Petrinum), jede naturrechtlich zwar gültige, aber nicht sakramentale Ehe zugunsten einer Wiederheirat zu scheiden. (Die dabei vorausgesetzte Unterscheidung

zwischen Naturehe und sakramentaler Ehe ist der Bibel unbekannt.)

Die Lehre der Bibel und der katholischen Kirche ist also nicht so eindeutig und einheitlich, daß Bischof Krenn selbstsicher, aber theologisch unerleuchtet sagen kann: „Wenn wir jene, die in einer Zweitehe leben, zur Eucharistie zulassen würden, würden wir die Lehre verraten, ja die Leute betrügen." Ich frage mich, ob nicht Krenn derjenige ist, der mit seinen pseudotheologischen Behauptungen die wahre Lehre der Kirche verrät und die Leute betrügt. Jedenfalls stellen seine pauschalen Unterstellungen, Verleumdungen und emphatisch vorgetragenen unwahren Behauptungen, die mit dem Bischofsamt nicht vereinbar sind, Bischofskonferenz, Nuntius und Papst vor das Problem, daraus bald die notwendigen Konsequenz zu ziehen.

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