Antworten auf nie gestellte Fragen

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Aus Protest gegen die Novellierung des "Lehrplans 2000" trat der Vorstand des Interdiözesanen Amtes für Unterricht und Erziehung geschlossen zurück.

Matthias Scharer ist enttäuscht. Und mehr als das: Lange Zeit hat der Innsbrucker Professor für Katechetik und Religionspädagogik das Werden des "Lehrplans 2000 Religion" für die Hauptschulen und Unterstufen des Gymnasiums wissenschaftlich begleitet und in einem Lehrplan-Kommentar seine "theologisch-didaktischen Überlegungen" formuliert: Endlich würden die Schülerinnen und Schüler als "religiöse Subjekte" wahrgenommen, so Scharer - samt ihrer vordergründigen Gleichgültigkeit und ihrer "selbstgebastelten" Religiosität. Im März 1999 wurde das richtungsweisende Papier von der Bischofskonferenz approbiert, seit Herbst 2000 ist es in Kraft.

Heute, eineinhalb Jahre später, ist der noch nicht evaluierte Lehrplan so gut wie tot. In pluralistischen Zeiten wie diesen müsse im Religionsunterricht "wieder deutlicher von Gott und vom Evangelium geredet werden", hatte der zuständige Schulbischof Kardinal Christoph Schönborn befunden und nach eigenem Ermessen eine neue Arbeitsgruppe mit der Novellierung des Lehrplans beauftragt. Es folgte eine Welle der Empörung - zumal bei den Schulamtsleitern, die anders als bisher nicht mehr in diesem Gremium vertreten sind. Am 8. April kam es schließlich zum Paukenschlag: Aus Protest dagegen, dass man vom Kardinal "schwer getäuscht" und in einem zentralen Aufgabenbereich, der Erarbeitung von Lehrplänen, "kaltgestellt" worden sei, trat der von der Schulamtsleiterkonferenz gewählte Vorstand des Interdiözesanen Amtes für Unterricht und Erziehung (IDA) geschlossen ab. Insgesamt vier Schulamtsleiter - neben dem geschäftsführenden Vorsitzenden Hans Fink (Feldkirch) auch Willibald Rodler (Graz), Willi Rieder (Salzburg) und der bisherige Referent für Lehrplan- und Medienfragen in der Schulamtsleiterkonferenz, Oswald Spanger (Innsbruck) - legten ihre gesamt-österreichischen Funktionen auf Grund dieses "gravierenden Vertrauensbruchs" zurück. Die Wahl des neuen Vorstands soll bei der Konferenz der kirchlichen Schulamtsleiter am 13./14. Mai erfolgen.

Machtkämpfe

Auch Matthias Scharer, auf dessen wissenschaftliche Begleitung in der neuen Lehrplangruppe verzichtet wird, ist über die Vorgangsweise des Schulbischofs erzürnt: "Die Revision durch eine direkt vom Schulbischof eingesetzte Lehrplangruppe ist eine Desavouierung der gesamten Religionspädagogik, die nach dem Zweiten Vatikanum keine Entsprechung findet", macht sich der Universitätsprofessor Luft. Zudem sind seiner Ansicht nach nicht inhaltliche Fragen wie der "konstruierte Gegensatz zwischen Glaubenshilfe oder Lebenshilfe" Auslöser des Konflikts. Vielmehr handle es sich um einen "Machtkampf zwischen dem Schulbischof und dem Vorstand der Schulamtsleiterkonferenz".

Ein Befund, den auch der Leiter des Religionspädagogischen Instituts in Feldkirch, Reinhold Ettel, im Gespräch mit der furche teilt: "Innerlich hat die Bischofskonferenz dem Lehrplan nie zugestimmt und nutzt nun die Gelegenheit, eigene Macht auszuüben und ihn zu verändern." Ein wesentlicher Anteil im vorfindlichen Richtungsstreit komme der Wiener Schulamtsleiterin Christine Mann zu, ist Ettel überzeugt. Nicht zuletzt hätten ähnliche Konflikte schon 1998 zum Rücktritt des Wiener Weihbischofs Helmut Krätzl als Schulbischof geführt. (Bis Redaktionsschluss war Christine Mann für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.)

Im Gespräch mit der furche weist Erich Leitenberger, Pressesprecher von Kardinal Christoph Schönborn, den Vorwurf des "Vertrauensbruchs" jedenfalls zurück. Tatsächlich gehe es darum, im Religionsunterricht "auf den gesellschaftlichen Paradigmenwechsel" zu reagieren, sei es doch nicht zur ungebremsten Säkularisierung, sondern im Gegenteil zu einer Respiritualisierung gekommen. Schönborn selbst bedauerte gegen-über der Kathpress den Rücktritt des IDA-Vorstands, wiederholte jedoch sein Ziel, durch eine Novellierung dem katholischen Religionsunterricht in einer völlig veränderten Situation "deutlichere Konturen" zu geben. Zur Grundausrüstung eines jungen Menschen müsse es gehören, auch gegenüber Andersgläubigen "auskunftsfähig zu sein und den eigenen Standpunkt argumentativ zu vertreten".

Katechismuswissen

Wie dieses Glaubenswissen den Schülerinnen und Schülern so vermittelt werden soll, dass sie es in ihre eigenen Lebensbezüge integrieren können, bleibt die große Herausforderung. "Ich muss den Schüler als theologischen Ort ernst nehmen," mahnt Oswald Stanger, zurückgetretener Lehramtsreferent der Schulamtsleiterkonferenz: "Wir geben ja meist Antworten auf nicht gestellte Fragen, doch was der Glaube bedeutet, wird erst begriffen, wenn es mein Leben betrifft." In die selbe Kerbe schlägt auch Matthias Scharer: "Wir dürfen nicht mehr zurückfallen ins alte Katechismuswissen, dass man eine Frage hat, die Kinder nie stellen würden, und eine Antwort gibt, die Kinder nie verstehen würden. Das ist völlig losgelöst vom Leben." Worum es gehe, sei vor allem die Glaubwürdigkeit der Religionslehrer. Doch genau die werde heute im Schulalltag oft auf eine harte Probe gestellt, weiß Johann Hisch, Vorsitzender der Direktorenkonferenz der Religionspädagogischen Institute Österreichs: "Die gesellschaftliche Relevanz von Kirche spiegelt sich natürlich im Religionsunterricht wider. Da muss der Religionslehrer eine Verteidigungs- und Erklärungsfunktion einnehmen, die nicht in seiner Machbarkeit steht."

Ihn bei der Lösung dieser Aufgabe weitestgehend zu unterstützen - und ihm nicht etwa die Arbeit zu erschweren - ist nach Meinung Martin Jäggles das bescheidene Ziel eines Lehrplans. Als wissenschaftlicher Begleiter der neuen Lehrplangruppe - neben dem Wiener Dogmatiker Bertram Stubenrauch und dem Salzburger Religionspädagogen Anton Bucher - ist der Lehrbeauftragte an der Religionspädagogischen Akademie Wien auf der Suche nach einem Kompromiss: zwischen dem Verständnis des Religionsunterrichts als "Dienst am Menschen" (Helmut Krätzl) oder aber als Befähigung, die eigene Glaubenstradition der Kirche öffentlich verantworten zu können.

Noch ist Jäggle optimistisch: "Ich glaube, dass es eine Kompromiss- formel gibt - und dass sie im vorliegenden Lehrplan 2000 noch nicht zu 100 Prozent verwirklicht ist."

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