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„Arbeiterpriester“

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Uber dię Stellung des Priesters zur Welt und in der Welt ist schon viel geschrieben und diskutiert worden. Auf allen Gebieten der Wissenschaft und Kultur scheinen Namen berühmter Männer auf. Es war um die Jahrhundertwende, als man der Seelsorge in den Großstädten und Industriezentren mit ihren eigenen Schwierigkeiten und neuen Aufgaben besondere Beachtung zu schenken begann. In Wien trat damals Prälat Dr. Heinrich Swoboda mit seinem aufrüttelnden Werk „Großstadtseelsorge“ hervor; alljährlich pflegte er die Theologen des letzten Jahrganges geschlossen als Hospitanten in die Lehrlingskatechesen des Wiener Arbeiterapostels P. Schwarz, des Gründers des Wiener Arbeiterordens der Kalasantiner, zu führen. Auf Anregung von Prälat Swoboda schrieb der Kalasantiner Pater Dr. Zimmermann vor 25 Jahren sein Werk über die Abendmesse, in dem er die Bedeutung eines Sonntagabendgottesdienstes für das arbeitende Volk darlegte. Das Werk begegnete damals scharfen Kritiken und schien, als zu revolutionär angesehen, ad acta gelegt. Aber der Autor konnte es nocHerleben, daß die Abendmesse in den vergangenen Jahren Wirklichkeit wurde.

Manche glauben, das Problem der Arbeiterseelsorge sei schon damit gelöst, daß in Industrieorten und Proletariervierteln Gottessiedlungen entstehen. Das Problem liegt aber wohl tiefer. So wichtig Gottessiedlungen sind, so erwartet doch die Arbeiterschaft von der Kirche mehr, nämlich klare Antworten zu ihren Lebensproblemen. Am 4. Dezember 1947 hatten wir im Pfarrsaal der Kalasantiner, Wien, XV., die erste öffentliche Diskussion über das Thema „Arbeiterkanzel". Die lebhafte Teilnahme an dieser Aussprache zeigte von einem großen Interesse und mußte wegen der vorgerückten Stunde abgebrochen werden.

Am schwierigsten ist wohl die Auseinandersetzung auf dem Gebiete der Sexualethik. Das trostlose Dasein der Nadikriegs- zeit und der Mangel jeder soliden Weltanschauung bei der werktätigen Jugend haben zur Folge, daß der Sinn und Zweck des Lebens in Tanz und Zügellosigkeit gesehen werden. Sie gelten als einziger Ausweg aus der lähmenden und abschnürenden Enge lichtloser Lebensverhältnisse, als das „Recht der Jugend". Sich „richtig“ freuen, das hat diese Jugend nie gelernt. Sie weiß gar nicht, was das ist. Und gerade für diese Jugend bedürfte es einer Welt von Freude, um all den Jammer aufzuwiegen.

Hier klafft wohl der größte Abgrund zwischen den „modernen“ Anschauungen und der Lehre der Kirche. Ich besitze ein reiches Archiv von Arbeiterbriefen zu diesem Thema, die beweisen, daß man mit den Arbeitern darüber reden kann. Doch ‘ darf man nicht von vorneherein die mit moraltheologischen Auseinandersetzungen bestürmen, denen vielfach der Begriff der Sünde überhaupt verlorengegangen ist. Die Kirche hätte aus ihrer Metaphysik der Geschlechter so wesentliche Erklärungen zu geben, nur müßten sie dem Menschen von heute zeitgemäß interpretiert werden. Aufgabe einer modernen Pastoralmedizin wird es sein, zu zeigen, wie weit die Grundsätze der Kirche in dieser Frage der natürlidien Ordnung entsprechen. Gerade dem Arbeiter soll man darauf hinweisen, wie weit grundlegende Fragen des individuellen und sozialen Lebens noch einer Lösung durch ihn selbst harren. Mit geistvollen Aperęus kann über die Probleme nicht hinweggegangen werden, weil hier die tiefsten Persönlichkeitsfragen angeschnitten werden müssen. Zu deren Behandlung gibt es für den Arbeiterpriester kein Rezept. Die Theorie der Moraltheologie allein genügt nicht, sie bedarf einer Ergänzung durch gründliche Erkenntnis aus der Moralpsychologie, wie auch Pastoralmedizin durch die Pastoral- psychiatrie ergänzt werden sollte.

In manchen Arbeiterpfarren wird innerhalb der Pfarrjugend der Versudi einer sexuellen Aufklärung gemacht. Dies geschieht fast immer durch Ärzte und Ärztinnen und bedeutet einen Fortschritt gegenüber der früheren Einstellung zur Behandlung dieser schwierigen Frage.

Auch im Bereich der Liturgie wird der Arbeiterseelsorger auf Schwierigkeiten stoßen. Ein bekannter Religionspädagoge wies einmal auf die Schwierigkeit der Meßerklärung in der Schule mit der Bemerkung hin: „Zweitausend Jahre Kirchengeschichte sind in ihrer Liturgie enthalten.“ In den letzten Jahren blühte vielfach ein gewisser liturgischer Historismus. Das Verständnis der inneren Echtheit des Meßvollzuges hat darunter oft gelitten. Die Jungarbeiter aber vor allem müßten aus der Kraft und dem Sinn der Messe leben. Es wäre auch zu erwägen, ob nicht die Volksandachten in diesem Sinne zu revidieren wären. So manche nur überkommene Form wird weitergeschleppt aus vergangenen gemächlichen Zeiten.

Das Wesentlichste aber ist beim Arbeiterpriester seine missionarische Hal tung. Sie verlangt, daß man viel Überkommenes, besonders manche ' bürgerliche Vorurteile aufgäbe. Die für Österreich speziell notwendige Methode ist noch nicht getunden worden. Daß sich die Kirche bei uns von der reinen Parteipolitik distanziert hat, war gewiß nicht zu ihrem Schaden. Allein auch in diesem Punkt hat man noch mit vielen Mißverständnissen zu rechnen. Beim Besuch eines Betriebes mit 2000 Arbeitern, stellte der Obmann des Betriebsrates sich und seine Kameraden so vor: „Hochwürden, wir sind 16 Betriebsräte, 14 SPÖ, 2 KPÖ. Ihre Riditung ist leider nicht vertreten.“ Bezüglich meiner Begleitung beim Rundgang durch die Fabrik wurde entschieden: „Es geht mit dem Herrn Pfarrer durch den Betrieb einer von der SPÖ, einer von der KPÖ und ein „Christlicher“.

In einer Fabrik kam ich auf die religiöse Weltanschauung zu sprechen, als deren Vertreter ich gekommen war. Dabei erzählte ich von den Arbeiterpriestern Frankreichs und stellte die Frage, ob auch in Österreich dies der richtige Weg de- Kirche zur Arbeiterschaft wäre. Ich erhielt die Antwort: „Es würde nur den einzigen Zweck erfüllen, daß der Priester das Milieu des Arbeiters und seine Mentaliät kennenlernt. Solches mag für Frankreich geeignet sein, weil dort der Arbeiter zum Teil auf einer viel tieferen sozialen und kulturellen Stufe steht. Französische Gäste waren über das hohe kulturelle und soziale Niveau der österreichischen Arbeiter überrascht." — Praktisch gesehen, ist der „Arbeiterpriester“ in den Produktionsprozeß eingeschaltet und hat als soldier keine Gelegenheit zur näheren Fühlungnahme und Aussprache. Und einer, der nur von religiösen Dingen spräche, ist zur Mission nicht geeignet, denn davon kann nur zu gegebener Zeit und beim rechten Anlaß und da mit Klugheit gesprochen werden.

Meiner persönlichen Meinung nach, wirkt ein kluges, überzeugtes Wort eines katholischen Arbeitskameraden mehr als das eines Arbeiterpriesters. Vom Priester verlangt man hiezu keinen besonderen Bekennermut, denn man setzt eine religiöse Gesinnung bei ihm als selbstverständlich voraus. Andererseits bedarf es beim Arbeiter, der in diesem Sinne auftritt, eines sehr großen Mutes, weil er in einer ganz anders gearteten Umgebung ständig durchzuhalten hat. Der Pfarrschwester einer Industriepfarre sagte fch einmal: „Ich' bin acht Tägfe hier und war Schon in allen Fabriken Ihrer Pfarre und Sie waren noch nicht dort.“

Drauf gab sie mir zur Antwort: „Sie habet) es bedeutend leichter, denn Sie gehen in den Betrieb hinein und sind bald wieder fort. Wir aber müssen dableiben."

Als Schluß in der Überlegung dieser Frage gilt wohl: wir Priester können kein Zeugnis als Arbeiter geben, sondern nur ein Priesterzeugnis. Der Arbeiter, verlangt vpp uns nicht das Beispiel des Arbeiters, sondern das. Beispiel des Priesters.

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