Kirche SW - © Foto: Pixabay

Arnold Angenendt: "Ich habe nur repetiert, was auf den Tisch gekommen ist"

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Hexenverfolgung bis zur Inquisition: Der Kirchenhistoriker Arnold Angenendt ist auf Einladung der Theologischen Kurse in Wien. Das Gespräch führte Otto Friedrich.

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Hexenverfolgung bis zur Inquisition: Der Kirchenhistoriker Arnold Angenendt ist auf Einladung der Theologischen Kurse in Wien. Das Gespräch führte Otto Friedrich.

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Sein Buch "Toleranz und Gewalt. Das Christentum zwischen Bibel und Schwert" erlebt gerade seine 5. Auflage. Der Münsteraner Kirchenhistoriker Arnold Angenendt versucht darin, die großen geschichtlichen "Sünden" der Kirche durch eine differenzierte Betrachtungsweise näher an die historische Wahrheit zu bringen.

Die Furche: Herr Professor Angenendt, unter den vielen Themen zur Kirchen- und Religionsgeschichte, die Sie in ihrem Buch "Toleranz und Gewalt" aufgreifen, sind auch die Hexenverfolgungen, die landläufig als besonders grausame Kapitel der Kirchengeschichte gelten. Sie haben da neue Erkenntnisse gewonnen …

Arnold Angenendt: Eben nicht, eben nicht ...

Die Furche: ... sondern?

Angenendt: Ich habe nur repetiert, was allgemein auf den Tisch gekommen ist: Vor einigen Jahren gab es in Berlin die große Ausstellung "Hexenwahn". Da steht wörtlich drinnen: Die Masse der Hexenprozesse sind nicht vor Kirchengerichten geführt worden. Das waren weltliche Gerichte. Nur bei den Fürstbischöfen kommt etwas anderes heraus. So hat etwa Ferdinand I. von Köln im 16. Jahrhundert im Sauerland eine schaurige Verfolgung zugelassen - von weltlichen Richtern vor Ort. Der Kollege, der die Berliner Ausstellung gestaltet hat, vertritt die These: Es waren die weltlichen Richter, und die Zentralregierung in Köln konnte sich nicht durchsetzen. Der Kollege hat diese Erkenntnisse in einer Katholischen Akademie in Nordrhein-Westfalen referiert - und ist vom Publikum beinahe davongejagt worden! Man kann diese Erkenntnisse nicht herüberbringen! Denn das rührt ganz tief ans Selbstbewusstsein der sich emanzipierenden Frauen. Ich kann das ja verstehen. Denn in Europa fielen 50.000 der Hexenverfolgung zum Opfer - die Zahl gilt heute als ziemlich sicher.

Die Furche: Sie schreiben auch, einer der beiden angeblichen Autoren des "Hexenhammers" hatte mit diesem Buch, das die Hexenverfolgung legitimierte, nichts zu tun.

Angenendt: Man liest immer noch in der Literatur, dass es zwei Dominikaner verfasst haben - dabei hatte Jakob Sprenger damit nichts zu tun. Auch die Bulle, die im Buch vorangestellt steht, ist keine nachträgliche Billigung des Hexenhammers durch den Papst, sondern eine allgemeine Bulle, die der Autor Heinrich Kramer so davorgesetzt und vermischt hat, dass man gar nicht sah, wie das gewesen ist. Auch das Gutachten der Kölner Theologischen Fakultät, die den "Hexenhammer" legitimieren soll, ist gefälscht. Und der effektivste Protest gegen die Hexenverfolgung kommt von einem Kirchenmann, dem Jesuiten Friedrich von Spee.

Die Furche: Eine anderer Themenblock im Buch ist die Inquisition, die als dunkelstes Kapitel der katholischen Kirchengeschichte gilt. Auch das sieht bei Ihnen anders aus.

Angenendt: Die Inquisition als Rechtsprozess war ein immenser Fortschritt. Das Rechtsverfahren im frühen Mittelalter war das Gottesurteil: Jeder Pfarrer hatte in seiner Dorfkirche die Geräte dafür - Pflugscharen. Der Beschuldigte musste die glühenden Pflugscharen vom Dorfbrunnen bis zum Altar tragen. Nach drei Tagen wurde nachgeschaut, ob die Wunde heilt oder schwärt. Schwärte sie, war er schuldig. Gott hat gesprochen … In dieser Situation sagte Papst Innozenz III.: Wir müssen das machen wie im römischen Recht. Das muss untersucht werden. Alle Indizien, alle Aussagen auf den Tisch und ein Urteil ist nur bei Geständnis oder ganz evidenten Umständen möglich. Nur bei Geständnis - das hatte schon in der Antike zur Folge, dass man die Folter anwandte. Als das moderne Verfahren der Inquisition - d. h. Untersuchung! - aufkam, wurde auch die Folter reaktiviert. Die Kirche hatte bis dahin die Folter immer abgelehnt. Ob bei der Inquisition in Südfrankreich überhaupt je gefoltert worden ist, ist bis heute nicht erwiesen. Wir haben keine Quelle. Das war der erste Schritt: Es muss untersucht werden - und nicht ein Gottesurteil herbeigeführt werden. Das IV. Laterankonzil verbot Gottesurteile. Als zweiten Schritt führte Innozenz III. bestallte Untersucher und Ankläger ein. Ein Bischof hatte die gerichtliche Oberhoheit in seiner Diözese. Wenn etwas gegen ihn vorlag, so gab es oft keinen Prozess. Da sagte Innozenz: Da müssen offizielle Untersucher her und die Möglichkeit haben, Anklage zu erheben. Das ist die Erfindung des Staatsanwalts. Das ging durch Friedrich II. sofort ins süditalische Recht ein, von dort nach Frankreich. Wissen Sie, wann die Institution des Staatsanwalts im Deutschen Reich eingeführt wurde?

Die Furche: Nach der Revolution von 1848, schreiben Sie im Buch.

Angenendt: Das ist das Moderne an der Inquisition. Die Entgleisung kommt dadurch: Der Dominikanerorden wurde bestellt zu untersuchen und zu predigen. Doch der Papst erlaubte ihnen, gleichzeitig Untersucher und Richter zu sein. Das war das Problem. Aber es gibt Rechtshistoriker, die sagen, die Inquisition sei immer noch viel rechtsbewusster gewesen als das säkulare Recht. Außerdem war die Inquisition nicht in ganz Europa verbreitet: In England, Skandinavien gab es sie nicht, in Deutschland kam sie nie zum Erfolg. In Deutschland gab es im 15. Jahrhundert nur einen Theologen, den die Inquisition mundtot machte.

Buch

Toleranz und Gewalt

Das Christentum zwischen Bibel und Schwert

Von Arnold Angenendt. Aschendorff Verlag, Münster 2009.

5. Auflage.800 Seiten, geb., € 25,50

Arnold Angenendt,

geb. 1934, ist em. Professor für Kirchengeschichte an der Universität Münster (li.). Er hält am 15. Mai, 18.30 einen Vortrag, am 16. Mai einen Studientag zu den Themen seines Buches ab. Ort: 1010 Wien, Stephansplatz 3. www.theologischekurse.at

geb. 1934, ist em. Professor für Kirchengeschichte an der Universität Münster (li.). Er hält am 15. Mai, 18.30 einen Vortrag, am 16. Mai einen Studientag zu den Themen seines Buches ab. Ort: 1010 Wien, Stephansplatz 3. www.theologischekurse.at

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