Auch in Japan: Die Wahrheit ist zumutbar

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Man kann nicht 130 Millionen von der Insel bringen. Daher ist vorsichtige Kommunikation in der japanischen Katastrophe ein Gebot der Stunde. Krisen-PR-Experte Harald Schiffl plädiert dennoch für Wahrhaftigkeit.

* Das Gespräch führte Otto Friedrich

Er ist Geschäftsführer einer Agentur für Krisenkommunikation und berät Firmen, die in Schwierigkeiten geraten sind: Harald Schiffl über die Kommunikationslage rund um Japan.

Die Furche: Die Beobachtung der Vorgänge in Japan hängen stark mit der Kommunikation darüber zusammen. Wie läuft diese?

Harald Schiffl: Es gibt mehrere Ebenen. Erstens ertragen wir schlechte Botschaften nicht lange. Die "Themenkarriere“ nimmt ab, weil wir nicht lang durchhalten. Zweitens können wir nur wenige negative Botschaften zugleich aufnehmen: Wir haben Libyen, Japan, das, was sich im arabischen Raum sonst abspielt - das überlagert einander ständig, und so nimmt die Dramatik der Botschaften ab. Als Drittes wird bei der Kommunikation alles getan, um die Dramatik in einen Normalzustand übergehen zu lassen.

Die Furche: Es wird verschleiert?

Schiffl: Es gibt eine Metaebene: Wir in Europa tun uns schwer, die japanische Seele zu verstehen. Wenn man bedenkt, dass es in Japan nicht üblich ist, Fehler zuzugeben, dass die Japaner, wenn es ein Problem gibt, die Lösung des Problems suchen und dann über die Lösung reden und nicht mehr über das Problem, wird manches verständlicher. Mich hat schon fasziniert, was alles unternommen wurde, von dem viele in Europa gesagt haben, das wird nichts bringen: Wasser vom Hubschrauber, um die Anlagen zu kühlen … Es ist allerdings offensichtlich, dass dieses Suchen nach der Lösung immer schwieriger wird.

Die Furche: Auch die Topografie …

Schiffl: … verlangt sehr vorsichtige Kommunikation: Panik zu erzeugen bringt nichts. Ich kann ja nicht 130 Millionen Leute evakuieren. Ich plädiere dennoch für Wahrhaftigkeit: Die Wahrheit kommt ans Licht gekrochen; wozu sie dann unter den Teppich kehren?

Die Furche: Nochmals: Ist es legitim, das Gefühl zu vermitteln, das alles sei nicht so dramatisch?

Schiffl: Vorsicht ist legitim. Die Grenze liegt dort, wo es unwahr und schöngeredet wird.

Die Furche: Wird nun schöngeredet oder vorsichtig kommuniziert?

Schiffl: Soweit man das aus Europa beurteilen kann, dürfte eine Mischung von beidem vorliegen. Dazu kommt aber sicher auch, dass die Leute vor Ort vieles selber nicht wissen. Weiß man schon, ob es nun eine Kernschmelze gibt oder nicht? Was will ich dann darüber kommunizieren?

Die Furche: Gibt es bei uns nicht auch wohlige Schauder: Wann kommt er endlich, der Super-GAU?

Schiffl: Das "Schöne“ ist ja, dass alles so weit weg ist. Die Gefahr, dass uns da etwas trifft, scheint relativ gering. Es gibt zweifelsohne eine Geilheit nach Katastrophen, wenn sie mich nicht betreffen.

Die Furche: Hinter allem stecken auch politische Fragen - etwa nach der Zukunft der Kernenergie.

Schiffl: Zum ersten Mal sind bei solch einer Katastrophe Live-Bilder weltweit verfügbar. Bei Tschernobyl 1986 gab es diese nicht. Die Rauchsäule über dem AKW haben wir alle quasi live gesehen. Das ist in die Köpfe auf Dauer eingebrannt. In dieser Situation zu handeln führt dazu, dass etwa Angela Merkel binnen Stunden ihre Atomenergiepolitik über den Haufen wirft - man wird sehen, wie nachhaltig. Politiker werden davon, was die Menschen "sehen“, getrieben. Das ist die dramatische Herausforderung für die Politik.

Die Furche: Aber was erzählen die Bilder tatsächlich? Dass Rauch aufsteigt, heißt noch nicht, dass da eine Kernschmelze stattfindet.

Schiffl: Nichts. Aber durch meine Wahrnehmung wird aus dem Bild eine Geschichte. Wir wissen nicht, was in Japan alles passiert ist. Wir sehen nur Segmente: zerstörte Häuser; Kinder in einer Schule, die seit einer Woche warten, dass die Eltern sie abholen …: Wir alle wissen nicht, was wirklich los ist.

Die Furche: Japan ist eine Demokratie, die Bilder sind leicht verfügbar. In China würde man alles tun, dass es keine Bilder gibt. Will ich mir als Entscheidungsträger Handlungsoptionen offenhalten, dann wäre es doch gescheiter zu schauen, dass es keine Bilder gibt.

Schiffl: Das wäre ein fataler Schluss - der ja auch probiert wird. Aber das funktioniert nicht mehr. Auch aus China kommen Bilder von Spaziergängern, die als Demonstration gewertet werden … Man kann heute nicht mehr dafür sorgen, dass es kein Bild gibt.

Die Furche: Es ist gescheiter, maximale Transparenz herzustellen?

Schiffl: Offene, klare, wahrhaftige Kommunikation und Transparenz lösen Probleme. Es ist vielleicht für die Betroffenen schwierig, eine dramatische Information zu erhalten, aber ich glaube, dass man damit umgehen kann. Ich halte es mit Ingeborg Bachmanns Satz, dass die Wahrheit dem Menschen zumutbar ist. Die Frage lautet eher, wie ich es sage.

Die Furche: Wie sieht es mit der ethischen Ebene aus? Wahrhaftigkeit ist ja eine ethische Prämisse.

Schiffl: Alle, die in der Kommunikation arbeiten, Agenturen, Medien täten sich mit diesem ethischen Anspruch leichter. Gerade in Ausnahmesituationen haben Menschen das Recht, die Wahrheit zu erfahren. Ich halte mich ans Bibelwort: Die Wahrheit wird euch frei machen. Ich verfechte einen ethischen Zugang, der den Menschen zutraut, mit Information, auch wenn sie nicht angenehm ist, umzugehen und richtige Schlüsse zu ziehen. Das können sie aber nur, wenn ich sage, was Sache ist.

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