Auf Bektasch Velis Spuren

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Albaniens Muslime sind mehrheitlich Anhänger des Bektaschismus - eine tolerante Glaubensrichtung im Islam: Kein Schleier für Frauen, Alkohol ist erlaubt, und das Gebet muss nicht in Richtung Mekka verrichtet werden.

Der Muezzin ruft morgens und abends. Doch niemand kniet nieder zum Gebet. "Warten Sie, kommen Sie herein, gerne, nein, keine Umstände, nehmen Sie mein Hemd", der Mann am Eingang der Moschee im Zentrum Tiranas zieht sein Hemd aus und hält es der Besucherin hin. Mit dem Hemd die nackten Knie verdeckend betritt sie das Gotteshaus. "Bitte, kommen Sie, fotografieren Sie, das ist nicht der Petersdom. Warum keine Frauen in kurzen Röcken, meinen Sie etwa, dieser Gott sei kein Mann?" Der Wärter der Moschee ist höchst erfreut, jemandem sein Gotteshaus zeigen zu können.

"Sie haben dem Islam mehr Veränderungen aufgezwungen als umgekehrt", schreibt Renzo Falaschi, ehemaliger italienischer Botschafter in Albanien, über die Religiosität der Albaner. Obschon der erste albanische Präsident, Sali Berisha, einst offiziell verkündete, dass Albanien ein muslimisches Land sei, ist sein Volk da etwas anderer Meinung. Seit Abschaffung des atheistischen Staates Anfang der Neunziger bekennen sich große Teile der Bevölkerung zum griechisch-orthodoxen oder römisch-katholischen Glauben. Der englische und in Griechenland verstorbene Dichter Lord Byron (1788-1824) hat das schon entdeckt. "Die Griechen sehen sie als Christen. Die Türken wiederum betrachten sie als Muslime, tatsächlich aber sind sie eine Mischung aus beidem und manchmal sind sie ganz etwas anderes."

Zwölf muslimische Apostel

Die albanischen Muslime sind in der Mehrheit Anhänger des Bektaschismus, einer liberalen muslimischen Glaubensrichtung, die den Frauen den Schleier nimmt und den Betenden zwölf Apostel gibt, nur sind es ganz andere als die der Christen. Der Bektaschismus, in dem sich Ähnlichkeiten zum Buddhismus und zu vorislamischen Heiligenkulten findet, sieht sich als Abspaltung des Alevismus - einer der Hauptkonfessionen des Islams -, lehrt jedoch in vielen Punkten genau das Gegenteil von dem, was gemeinhin mit dem Islam verbunden wird. Im 16. Jahrhundert aus der Lehre des persischen Scheichs Haddschi Bektasch Veli hervorgegangen, vertreten die Bektaschi eine pantheistische Philosophie, offen und tolerant im krassen Gegensatz zu Fanatismus und Dogmatik.

Viele Albaner konvertierten während der vom 15. Jahrhundert an fünfhundert Jahre lang andauernden osmanischen Besatzung zum Islam, da sie als Christen steuerlichen Nachteilen ausgesetzt waren. Das historische gewachsene Nebeneinander verschiedener Religionen im Land war wohl unter anderem ein Grund dafür, dass sich in Albanien viele dem toleranten Derwisch-Orden des Haddschi Bektasch Veli anschlossen.

Die Rosinen herausgepickt

Die Bektaschi sind ungemein tolerant gegenüber anderen Religionen, Alkohol ist erlaubt, Frauen müssen sich nicht verhüllen, und beim Gebet muss sich der Gläubige nicht in Richtung Mekka wenden. Daneben sind Bescheidenheit, Brüderlichkeit, Einfachheit und praktische Wohltat zentrale Prinzipien. Als Bektaschi konnten die konvertierten Albaner die Vorteile der Religionszugehörigkeit zum Islam genießen, ohne nach den strengen Regeln der Muslime leben zu müssen.

Vom Gründer des Ordens, Haddschi Bektasch Veli, ist nicht viel bekannt. Er wurde im 13. Jahrhundert in Persien geboren, soll dann als einer der Anführer die Türken nach Kleinasien geleitet haben. Seine Spuren hat er insbesondere als religiöser Anführer, eine Art Heiliger, hinterlassen. Die alevitische Überlieferung lässt ihn als jungen Mann von Horasan auswandern. Eine große Weltreise führte ihn über Irak, Medina, Mekka, das heilige Land und Syrien nach Anatolien, wo er im Dorf Karacahöyük (südöstlich von Ankara, mittlerweile Haci Bektas) sein Quartier aufschlug. Er war ein sehr gelehrter Mann, und soll gigantische Wunderkräfte besessen haben, wie sie damals großen Derwischmeistern zugeschrieben wurden. Bektasch sammelte eine große Schülerschar um sich, die seine Lehre in Anatolien ausbreitete. Es war eine ungewöhnliche Lehre, weil sie Sunna und Scharia wegließ und das Türkische zur Kultsprache machte, etwas Ungeheures, für den Islam, der nur das Arabische als Kultsprache gelten ließ.

In Albanien übernahmen die Bektaschi oft führende Rollen im öffentlichen Leben, wie auch albanische Bektaschi im Rest des osmanischen Reiches bedeutende Posten innehatten. Während der "Rilindja", der nationalen Wiedergeburt Albaniens Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts, waren die Derwisch-Klöster Treffpunkte der Nationalisten. Die Frashëri-Brüder, literarische und politische Propagandisten der Unabhängigkeit des Landes, waren ebenfalls Bektaschi. Der bekannte albanische Dichter Naim Frashëri, der an der Anerkennung des Albanischen als Kultsprache beteiligt war, setzte sich für eine Trennung des Ordens vom anatolischen Mutterkloster ein. Diese Trennung erfolgte 1922. Sieben Jahre später wurde das Bektaschitum vom Staat als autonom innerhalb der muslimischen Gemeinschaft anerkannt.

Mit der Gründung der Türkischen Republik 1923 wurden in der Türkei sämtliche Derwisch-Orden verboten. Die Bektaschi konnten seither nur noch im Untergrund tätig sein. Das Zentrum der Bektaschi lag fortan in Tirana, was die Bedeutung des Orden in Albanien weiters steigerte. "Sie schufen einen Islam mit der Überlegtheit des Orients und der Dynamik des Westens", schreibt Renzo Falaschi.

Vor der Errichtung des atheistischen Staates unter Enver Hoxha, gab es in Albanien rund 300 Klöster und Tekken (Religionshäuser der Bektaschi). Die Tekken sind äußerlich meist schlicht, im Inneren aber oft üppig ausgestattet. Die bekanntesten Tekken, die das Religionsverbot überlebten, sind die Mohammed-Tekke im Zentrum Berats und die "Teqeja e Dollmes" in der Burg von Kruja. Der Führer einer Tekke oder eines Klosters wird Derwisch genannt. Die Geistlichen der Bektaschi heißen "Baba".

Das geistliche Oberhaupt aller Bektaschi lebt bis heute in Tirana. "Baba Reshati" genannt, sitzt er im langen grünen Kleid im Nebengebäude einer auf einer Hochebene hinter der Hauptstadt ganz neu errichteten Moschee. "Hoffnung" heißt seine Empfangsdame. Ein Diener bringt Zuckerl mit Fruchtgeschmack. Neugierig schauen die Augen Baba Reshatis, durchdringend und gerade, blau. Sein Gang ist noch recht stabil, trotz seines Alters und seines Bauches. Der Gesundheit scheint diese Religion jedenfalls recht zuträglich.

Derwisch als Drachentöter

Eine der ältesten Tekken des Landes soll bereits im 13. Jahrhundert vom Derwisch Sari Sallteku gegründet worden sein, nachdem er bei Kruja einen Drachen getötet hatte. Das Gotteshaus befindet sich in einer Grotte, hoch oben im Gebirge hinter der Stadt Kruja und ist nur über einen schmalen Steig erreichbar. Mit bunten Handtüchern dekorieren die Bektaschi ihr Heiligtum, daneben ein rot umrandetes Strandbett mit dem Bild eines Küken darauf, die weiße Kalkschale noch am Kopf, dann eine Katze, schwarz-braun getigert. Direkt in die Augen starrt sie jedem, der die Quelle besucht, bewacht ihr Küken, zwischen den Tatzen. Mitten durch die Kapelle fließt ein Bach. Das Wasser schmeckt gut, wie alle Gebirgsquellen, frisch, eiskalt. Von der Decke der Grotte tropft es den Pilgern auf den Kopf. Teppiche, bunte Stofffetzen sind mit Plastikfolien abgedeckt. Eine Inschrift im Stein erwähnt die tapferen Arbeiter, die hier, nach der Befreiung von den Kommunisten Anfang der neunziger Jahre, die fein bemalten Säulen wieder aufgestellt haben. Und ganz hinten, eine Felsnische, da brennt seither wieder Öl in Tonschalen.

Die Autorin ist Albanien-Expertin.

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