Auf dem falschen Weg?

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Zu Beginn fasziniert Kardinal Ratzingers jüngstes Buch über die Liturgie. Später wirkt es wie eine Zensur liturgischer Aufbrüche.

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Zu Beginn fasziniert Kardinal Ratzingers jüngstes Buch über die Liturgie. Später wirkt es wie eine Zensur liturgischer Aufbrüche.

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Kardinal Ratzinger hat schon öfter die nachkonziliare Erneuerung in der Liturgie beklagt. Zu Beginn dieses Jahres präzisierte er seine Kritik im Buch "Der Geist der Liturgie". Er will darin das Wesen der Liturgie aufzeigen. Ein solcher Versuch ist wichtig, da nun auch die liturgische Erneuerung zu einem Streitthema in unserer Kirche geworden ist. Die Thesen bekommen einen fast offiziellen Charakter, weil sie vom Präfekten der Glaubenskongregation stammen.

Ich habe das Buch mit wachsender Begeisterung zu lesen begonnen. Ratzinger entwirft ein faszinierendes Bild vom Wesen des Kultes. Kult reicht weit über die liturgische Aktion hinaus und umfasst die Ordnung des ganzen menschlichen Lebens auf Gott hin. Kult ist im Letzten Anbetung. Und diese ist konstitutiv für die rechte menschliche Existenz, weil sie den Menschen über das Alltagsleben hinaushebt. Der Kult ist etwas Universales, ja Kosmisches, hat die "Vergöttlichung der Welt" zum Ziel. Kult ist auch immer schon Vorwegnahme der "himmlischen Liturgie". Dieses Kultverständnis ist schon im Exodus Israels aus Ägypten grundgelegt, als das Volk frei werden sollte, um Gott in der von ihm selbst gewollten Weise zu verehren. In Jesus Christus ist der "neue Tempel" da, in ihm ist Verehrung Gottes und Anbetung ein für allemal geschehen. Jeder spätere Kult lebt vom Tun Jesu Christi und ereignet sich im Blick auf ihn, den Gekreuzigten, Auferstandenen, im Blick nach Osten als dem Zeichen der aufgehenden Sonne.

Soweit der erste Teil des Buches, der viel Bedenkenswertes auch für heutige Liturgie bietet. In den folgenden Teilen des Buches überprüft Ratzinger an seinen Thesen den heutigen Stand liturgischer Erneuerung. Und da wuchs meine Enttäuschung. Die tiefen theologischen Gedanken kamen mir in ihrer Anwendung auf einmal sehr verkürzt vor, die Kritik wirkt bisweilen ungerecht verallgemeinernd, sogar polemisch. So kritisiert Ratzinger die "Zelebrationsrichtung", also den Volksaltar, der ja heute, wie er meint, "geradezu als die eigentliche Frucht der liturischen Erneuerung" erscheint. Gemeinde würde aber dadurch "zu einem in sich geschlossenen Kreis" geformt, der Priester zum eigentlichen Bezugspunkt des Ganzen, anstatt gemeinsam mit dem Volk weiterhin "gegen Osten" gerichtet, oder zumindest zum Kreuz hin zu feiern. Die Betonung des gemeinschaftlichen Mahles wird bemängelt, da doch die Eucharistie der Christen mit dem Begriff "Mahl" überhaupt nicht zulänglich beschrieben werden kann. Der wunderbare Gedanke, dass Liturgie als Ganzes Anbetung ist, wird nun im Konkreten auf die Anbetung der Eucharistie im Tabernakel verkürzt, obwohl diese Art der Verehrung erst im zweiten Jahrtausend entstanden ist. "Einflussreichen Kreisen" wirft Ratzinger vor, uns das Knien auszureden, weil es nicht zu unserer Kultur passe. Das aber wäre eine Kultur, die sich vom Glauben entfernt hat. Und in der "tätigen Teilnahme", die das Konzil ja anmahnt, "wird vom Leib viel mehr verlangt als das Herumtragen von Geräten oder Ähnlichem", nämlich sein ganzer Einsatz im Alltag des Lebens, "es wird verlangt, dass er ,auferstehungsfähig' werde", auf das Reich Gottes hin orientiert. Schließlich wird vor der modernen Musik in der Liturgie gewarnt, da zum Beispiel in der Popmusik "ein Kult des Banalen" stecke und "Rockmusik" vielfach Ausdruck elementarer Leidenschaften sei, die den Menschen in sich zerrissen machen.

Ratzinger will keine wirkliche Erneuerung, sondern Wiederentdeckung der alten Liturgie. Sie ist für ihn wie ein wertvolles Fresko, das im Lauf der Jahre übertüncht wurde und nun freigelegt werden soll. Ob das dem Auftrag des Konzils, Liturgie neu zu ordnen, entspricht?

Mir fehlt in diesem Buch die Übersetzung des Wesentlichen der Liturgie in die Kultur, die Sprache, das Lebensgefühl des modernen Menschen, besonders der Jugend. Mir fehlt ein Lob für jene, die gegen allen üblichen Ritualismus Liturgie verlebendigen, aktualsieren, und gerade dadurch Gottes Nähe erfahrbar machen wollen. Mir scheint das Buch die große Krise nicht wahrnehmen zu wollen, in die die Liturgie in unserer säkularen Gesellschaft geraten ist; es anerkennt aber auch nicht die vielen wertvollen Aufbrüche im Geist des Konzils. Das Buch in der vorliegenden Form wirkt wie eine Zensur und wird die noch ausstehende liturgische Erneuerung nicht direkt fördern. Es wird aber hoffentlich eine kritische Diskussion über das Wesentliche in der Liturgie anregen. Das täte allen gut, die Erneuerung ohnehin nicht wollen, aber auch denen, die in der Liturgie nur äußerlich, oft ohne Grundwissen, experimentieren. Vielleicht hat der Präfekt der Glaubenskongregation gerade diese Auseinandersetzung provozieren wollen.

Der Autor ist Weihbischof in der Erzdiözese Wien DER GEIST DER LITURGIE. Eine Einführung. Von Joseph Kardinal Ratzinger. Verlag Herder, Freiburg 2000.208 Seiten, geb., öS 263,-/e 19,11

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