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Auf dem Weg zur Einheit

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P. Wenger — Eminenz, in diesen Tagen wurde die Woche der Einheit der Christen begangen. Außerdem befindet sich die Kirche am Vorabend eines Konzils, und alle Christen bitten den Herrn, daß es ihnen gewährt sein möge, ihre Einheit in einer einigen christlichen Kirche zu finden. Der Heilige Vater hat Ihnen die Leitung des Sekretariats für die Einheit anvertraut. Ich darf mir daher erlauben, Ihnen einige Fragen zu dem Thema der Einheit vorzulegen.

Kardinal Bea — Ich komme mit Vergnügen Ihrer Einladung nach, denn ich bin ebenfalls der Überzeugung, daß wir uns jetzt sehr eingehende Gedanken über diese Frage machen müssen, denn das Konzil muß vorbereitet werden und es muß sehr gut vorbereitet werden. Ich darf Sie daher bitten, Ihre Fragen zu stellen.

P. Wenger — Ich danke Ihnen sehr, Eminenz. Meine erste Frage ist sehr allgemein. Was ist die Rolle des zukünftigen Konzils in der Frage der Einheit?

Kardinal Bea — Es ist vielleicht nicht unangebracht, hervorzuheben, daß entgegen den Vermutungen einer Reihe von Leuten nach der Ankündigung des Konzils dieses keineswegs ein Unionskonzil sein wird. Das heißt, es wird nicht Aufgabe und Ziel des Konzils sein, unmittelbar mit der einen oder anderen christlichen Gemeinschaft über die Frage der Einheit zu verhandeln und zu einer Vereinbarung zu kommen. Allerdings kann das Konzil einen Schritt auf dem Wege der Einheit der Christen tun — und das hat ja der Heilige Vater selber unterstrichen —, indem es in Seiner Art, die Fragen anzugehen, ein Beispiel gibt für die Wahrheit, die Einheit und die Caritas, die innerhalb der Katholischen Kirche geübt wird. Das Konzil könnte also, so wie es der Heilige Vater hofft, für die getrennten Brüder eine sanfte Einladung sein, an den Wohltaten teilzunehmen, die die Kirche für ihre Kinder bereit hält.

; Außerdem kann das Konzil dazu beitragen, die Atmosphäre zwischen Katholiken und Nichtkatholiken zu verbessern und Bedingungen zu schaffen, die einer Einigung günstig sind. Auch können gewisse Probleme, die mit der Frage der Einheit Zusammenhängen oder die sich in der Beziehung mit der einen oder anderen Gruppe der getrennten Brüder stellen, einer Klärung zugeführt werden.

P. Wenger — Die Gemeinschaft der getrennten Brüder, das ist einmal die orthodoxe Kirche und dann die Glaubensgemeinschaften, die aus der Reformation hervorgegangen sind.

Welches sind nun die hauptsächlichsten Hindernisse auf Seiten der orthodoxen Kirche?

Kardinal Bea — Von der orthodoxen Kirche trennen uns vor allem doktrinäre Fragen, so insbesondere das Dogma vom Primat des Heiligen Vaters und das Dogma der Unfehlbarkeit. Außerdem noch eine Reihe von weiteren Dogmen, die nach der Trennung der orthodoxen Kirche von der katholischen Kirche (1054) festgesetzt wurden. Eine weitere Frage stellt sich im Zusammenhang mit dem Dogma vom Primat des Heiligen Vaters. Das ist die Frage nach der Aufgabe und dem Amt der Bischöfe. Es steht

fest, daß sowohl das Amt des Bischofs als auch seine spezifischen Aufgaben von dem göttlichen Gründer der Kirche gewollt waren. Diese Aufgaben sind nun in verschiedener Weise verstanden und verschieden in den beiden Kirchen gehandhabt worden.

Im Osten haben die Bischöfe zusammen mit den regionalen Versammlungen, die Synoden genannt werden, sehr ausgedehnte Befugnisse. Es versteht sich aus der Entwicklung heraus, daß der Osten das gerne bewahren möchte, was man ungefähr mit „lokaler Autonomie" bezeichnen kann. Hinzugefügt werden können noch weitere historische und praktische Hindernisse: die verschiedene Mentalität im Osten und im Westen; die noch lebendigen Ressentiments, deren Ursachen in so bedauernswerten historischen Ereignissen wie dem IV. Kreuzzug und der Errichtung des „lateinischen Kaisertums“ im 13. Jahrhundert in Konstantinopel zu sehen sind.

P. Wenger — Eminenz, die Gründe, die Sie soeben aufgeführt haben, beruhen auf Ereignissen, die vor der Reformation liegen Die Frage der Einheit wird sich also in verschiedener Form stellen, sobald wir auf die Christengemeinden zu sprechen kommen, die ihren Ursprung in der Reformation haben.

Kardinal Bea — Das Problem im Verhältnis zur Reformation stellt sich insbesondere unter zwei Gesichtspunkte. In erster Linie stellt sich die Frage unter dem der Lehre. Hier finden wir auf Seiten der reformierten Kirchen schon im Augenblick der Reformation eine Vielfältigkeit: Lutheraner, Kalvinisten, Zwinglianer. Trotz einer Reihe gemeinsamer Züge gab es also bei diesen Gruppen schon damals eine Reihe von Verschiedenheiten. Diese Spaltungen haben sich im Laufe der Jahrhunderte verschärft, und während sich in Europa die Zahl der Glaubensgemeinschaften in engen Grenzen gehalten hat, wenn sie auch beträchtlich ist, so zählt man in den Vereinigten Staaten mehr als zweihundert verschiedene Gemeinschaften, deren Unterschiede manchmal recht groß sind.

Die Lage wird noch verwickelter, wenn man auf den zweiten Aspekt der Frage zu sprechen kommt. Alle reformierten Kirchen leugnen grundsätzlich die Existenz einer mit Entscheidungsgewalt ausgestatteten Kirche, die Anspruch darauf hat, daß die Gläubigen ihr im Gewissen folgen. Hieraus entsteht ein schwieriges und beträchtliches praktisches Hindernis auf dem Weg zur Einheit. Die Frage, die sich nämlich der katholischen Kirche bei der Aufnahme von Beziehungen mit den verschiedenen Religionsgemeinschaften stellt, ist folgende: Wer ist in dieser Gemeinschaft ermächtigt, Verhandlungen über die Einheit zu führen und wer kann mit Recht von den Gläubigen verlangen, daß sie den geschlossenen Vereinbarungen auch nachkommen?

P. Wenger — Es handelt sich hier um eine Schwierigkeit, die mit dem Wesen des Protestantismus zusammenhängt. Aber was können unter diesen Bedingungen die Katholiken, was können die Christen tun, um eine Annäherung der getrennten Brüder zu erreichen?

Kardinal Bea — Lassen wir zunächst all das beiseite, was durch das Konzil selber getan werden konnte, und sprechen wir nur von den Maßnahmen, die außerhalb des Konzils getroffen werden können.

Ein erster, sehr wichtiger Schritt ist der von Gesprächen zwischen Theologen und Kennern der theologischen Fragen von beiden Seiten. Es empfiehlt sich dies vor allem deshalb, weil nur durch derartige Gespräche die tiefe Wurzel der Spaltung angegangen wer-

deiy k'ahji. Nur,o känn)diJ • Mentalität geändert werden und es können durch sie die Punkte der Doktrin geklärt werden, über die Mißverständnisse und falsche Interpretationen bestehen. Außerdem genießen diese theologischen Fachleute, die in der Regel Universitätsprofessoren sind, in der protestantischen Welt eine große Hochachtung, und sie sind es auch, die die zukünftigen protestantischen Pfarrer ausbilden.

Hinzuzufügen sind die günstigen Einflüsse einer gegenseitigen Bekanntschaft und der offenen Haltung eines gegenseitigen Verstehens, die daraus hervorgehen. Diese Haltung könnte in der Folge noch konkreter werden, in Gebieten, die nicht direkt den Glauben betreffen, so wie zum Beispiel die sozialen Werke, die Hilfswerke, die Verteidigung der menschlichen Werte, der Religionsfreiheit, des menschlichen Lebe®, des Friedens.

P. Wenger — Ich glaube, Eminenz, daß dies eine Frage ist, die die öffentliche Meinung heutzutage ganz besonders bewegt. Denken Euer Eminenz, daß eine gemeinsame Haltung der Christen in der Verteidigung des Friedens zur Aufrechterhaltung des Friedens in der Welt beitragen könnte?

Kardinal Bea — Ich denke wohl. Wenn ich dies sage, so will ich damit nicht eine formale Aufforderung aussprechen — es ist nicht an mir, dies zu tun —, sondern nur einen Tatbestand feststellen. Sie wissen, daß die katholische Kirche eine halbe Milliarde Bekenner hat, während die östlichen Christen 165 Millionen zählen und die Glieder der protestantischen Gemeinde 250 Millionen.

Zusammen zählen die Christen etwa eine Milliarde Menschen, die auf der ganzen Erde verteilt sind. Sie können also leicht ermessen, was es für die Menschheit bedeuten würde, wenn alle Christen einig wären über solche Fragen wie die Kernwaffen, die Abrüstung, den Frieden, und wenn sie in den Auseinandersetzungen zwischenJen veT" schiedenen Nationen die christlichen Prinzipien und ihre Folgen geltend machen würden.

P. Wenger — Das wäre in der Tat

ein großer Schritt in Richtung auf den Frieden hin. Eure Eminenz sprachen eben von einem Zusammentreffen zwischen katholischen und protestantischen Theologen. Mir scheint aber, daß darüber hinaus noch etwas getan wird. Das Sekretariat für die Einheit ist eine Institution, die nach dem Willen des Heiligen Vaters ein Näherkommen der getrennten Christen begünstigen soll. Dieses Sekretariat ist Euer Eminenz anvertraut worden. Können Sie uns sagen, in welcher Richtung und in welchem Geist das Sekretariat

für die Annäherung der Christen arbeitet?

Kardinal Bea — Der erste praktische und nützliche Schritt könnte von unserer Seite sein, daß wir den getrennten Brüdern behilflich sind, die Arbeiten des Konzils zu verfolgen. Das kann geschehen, indem sie sowohl mit sicheren Nachrichten über den Ablauf des Konzils versorgt werden oder aber auch, indem das Sekretariat ihre Wünsche und Anregungen empfängt, prüft

und an die zuständigen Stellen des Konzils weiterleitet. Eine derartige Arbeit würde erlauben, mehr als nur ein Mißverständnis aus dem Wege zu schaffen, und man könnte auf diesem Wege zu Lösungsvorschlägen für Fragen kommen, die mit der Einheit Zusammenhängen oder die die eine oder andere christliche Gemeinschaft im besonderen betreffen.

Hier ein Beispiel: Mehr als einmal ist die Frage angerührt worden, inwieweit die Wünsche der getrennten Brü-

der in Fragen der Disziplin und des Kultus befriedigt werden können, und zwar in den Gebieten/ die nicht den Glauben betreffen und inwieweit ihre Einrichtungen und Gebräuche respektiert werden sollen: der Gebrauch der Muttersprache im Kultus, die volkstümlichen Gesänge, die Kommunion in beiden Formen. Das sind Fragen, die zu wiederholten Malen in Veröffentlichungen bewegt und diskutiert wurden. Das Sekretariat könnte gegebe- nenflals Aussprachen und Meinungen zu diesen Fragen sammeln, sie den zuständigen Stellen zur Prüfung überreichen und so einen Diskussionspunkt vorbereiten, der auf dem Konzil behandelt werden könnte.

P. Wenger — Das sind sehr konkrete und praktische Vorschläge, Eminenz. Wäre es denkbar, daß durch das Se-

kretariat Kontakte zwischen Katholiken und dem Ökumenischen Rat der Kirchen hergestellt werden könnten?

Kardinal Bea — Ich glaube, daß keine prinzipiellen Schwierigkeiten bestünden, insoweit, als der Ökumenische Rat keine dem katholischen Glauben entgegengesetzte Doktrin verficht. Das heißt, daß eine Zusammenarbeit durchaus möglich erscheint, obschon in dieser Feststellung keine Einladung enthalten ist. Eine Zusammenarbeit auf den Gebieten, die nicht den Glauben direkt betreffen, könnte durchaus fruchtbar werden. Es handelt sich um die Gebiete, von denen wir eben gesprochen haben: soziale Werke, Hilfswerke, Verteidigung der menschlichen Werte und ähnliche Tätigkeiten.

P. Wenger — Eminenz, kürzlich stattete der Erzbischof der Anglikanischen Kirche, Dr. Fischer, bei seinem Romaufenthalt dem Heiligen Vater und Ihnen selbst einen Besuch ab. Ich glaube, daß dieser Besuch sicherlich dazu beigetragen hat, das Verhältnis zwischen der anglikanischen Kirche und Rom zu verbessern.

Kardinal Bea — Das kann ohne Rückhalt bejaht werden, wie ich es auch in einem Artikel gesagt habe, der kürzlich in Civilta Cattolica erschien und dem Besuch gewidmet war. Es liegt auf der Hand, daß wir keine unmittelbaren und spektakulären Ergebnisse im Gefolge dieses Besuches erwarten können, aber es wird an ihm doch offensichtlich, daß sich ein Wechsel im Klima der Beziehungen angebahnt hat, der durch diesen Besuch noch betont wird. Dieser Besuch stellt eine wichtige Episode im Rahmen des großen Werkes der Vereinigung aller Getauften dar, das der Heilige Geist langsam, aber unaufhaltsam in den letzten Jahrzehnten vorbereitet.

Es ist Aufgabe aller Getauften, zu ihm beizutragen durch Gebet, die Heiligkeit ihres Lebens und durch ihre Opfer, damit der göttliche Jesus Christus, Gründer und Herr der Kirche, dieses Werk zum guten Ende führen kann.

P. Wenger — Ich bin sicher, daß das Gebet aller Christen dazu helfen wird. Ich danke Ihnen, Eminenz.

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