Auf den Ruinen der alten Synagoge

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Am 9. November, genau 62 Jahre nach den Novemberpogromen 1938, erhält die Israelitische Kultusgemeinde Graz wieder eine Synagoge. Anlass zu Hoffnung - und einem kritischen Blick auf den christlich-jüdischen Dialog.

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Am 9. November, genau 62 Jahre nach den Novemberpogromen 1938, erhält die Israelitische Kultusgemeinde Graz wieder eine Synagoge. Anlass zu Hoffnung - und einem kritischen Blick auf den christlich-jüdischen Dialog.

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Zwölf Säulen tragen das gläserne Gewölbe. Zwölf Säulen - Symbol für die zwölf Stämme Israels als Träger der Verheißung. Zwischen Säulenpaaren spannen sich Bögen und kreuzen sich am Höhepunkt der Kuppel zum Davidstern. In den Glasfeldern der Kuppel schließlich sandgestrahlte Texte aus der Tora - ein gläsernes Firmament als Gebet.

Die neue, auf den Grundfesten der alten wiedererrichtete Synagoge am Grazer Grieskai ist schon in ihrer Architektur voll Symbolkraft. "Aus den Ruinen der alten soll eine neue Synagoge emporwachsen", erklärt Architektin Ingrid Mayr die gemeinsam mit ihrem verstorbenen Mann Jörg gefasste Idee, die freigelegten Grundmauern der am 9. November 1938 zerstörten Synagoge als Umfriedungsmauern des Neubaus zu erhalten. Keine Rekonstruktion des 1892 erbauten Gotteshauses sollte es werden, vielmehr ein Anklang an die Ereignisse der Novemberpogrome 1938, der so genannten "Reichskristallnacht" - und zugleich eine Art Neubeginn.

Wenige Juden zurück Bis es so weit kommen konnte, musste viel Wasser die Mur hinunterfließen. Nur wenige der einst 1.700 Grazer Jüdinnen und Juden waren nach den Schrecken des Nazi-Regimes zurückgekehrt und hatten 1946 die Israelitische Kultusgemeinde Graz gegründet. Nach einem jahrelangen Provisorium erhielt die Gemeinde erst 1969 einen neugestalteten Betsaal am Grieskai.

Wieder Jahre später wurden 1983 auf Initiative des Grazer Künstlers Fedo Ertl die Grundmauern der niedergebrannten Synagoge freigelegt. 1988 schließlich, ein halbes Jahrhundert nach den Novemberpogromen, stiftete die Stadt Graz einen Gedenkstein und machte den Platz neben den Grundmauern zum "Synagogenplatz".

Einer, der die Zerstörungen der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 miterlebte und noch im selben Jahr aus Graz vertrieben wurde, kam 1988 zu späten Ehren: David Herzog. Nach dem 1946 in Oxford verstorbenen Universitätsprofessor und Landesrabbiner benannte die Karl-Franzens-Universität Graz einen Fonds zur "Förderung des interkulturellen Verstehens und Lernens speziell in Beziehung auf jüdische Kultur".

Die Toleranz war in jener "Reichskristallnacht" längst tot, wie David Herzog in seiner Autobiographie "Erinnerungen eines Rabbiners 1932-1940" schildert: "Am Nachmittag maßen Ingenieure und die Feuerwehr die Räume aus, wie man den Tempel, ohne die anstoßenden Gebäude zu gefährden, in Schutt und Asche legen könnte [...] Gegen 8 Uhr abends waren zahlreiche Petroleumfässer in den Tempelhof gebracht und dort über das Gebäude gegossen worden, nicht ohne dass vorher alles, was darin von Silber war, entwendet worden wäre [...] Schlag 12 Uhr nachts erschien der Bürgermeister Kaspar [...], entzündete eine Fackel und setzte das Gebäude unter ohrenbetäubendem Jubelgeschrei der Anwesenden in Brand."

60 Jahre später ist die "Stadt der Volkserhebung" um moralische "Wiedergutmachung" bemüht: Am 21. Oktober 1998 beschlossen alle im Grazer Stadtsenat vertretenen Parteien, die zerstörte Synagoge wieder zu errichten - nach dem Wiederaufbau der Zeremonienhalle am Israelitischen Friedhof der notwendige zweite Schritt.

Ein 14-köpfiges Kuratorium zur Wiedererrichtung der Synagoge war schon lange zuvor ins Leben gerufen worden, darunter der damalige steirische Landeshauptmann Josef Krainer, der Grazer Bürgermeister Alfred Stingl, Vertreter der orthodoxen, evangelischen und katholischen Kirche und der langjährige Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Graz, der Geschäftsmann und britische Honorarkonsul Kurt Brühl. Auch über die Verteilung der Baukosten von knapp 60 Millionen Schilling kam man überein: 30 Millionen stellte die Stadt Graz zur Verfügung, 15 Millionen das Land Steiermark, die restlichen 15 Millionen der Nationalfonds der Republik Österreich für die Opfer des Nationalsozialismus. Rechtzeitig vor der feierlichen Übergabe an die Kultusgemeinde am 9. November soll die Synagoge fertig sein.

Bis es so weit ist - und darüber hinaus - sorgt ein üppiges Rahmenprogramm für interreligiöse Anreize. Katholisches und Evangelisches Bildungswerk, die Grazer Urania, das Kulturzentrum bei den Minoriten, die Katholische Hochschulgemeinde und verschiedene Grazer Pfarrgemeinden organisierten Projekte: vom Hebräisch-Kurs über das Kaddisch-Gebet bis hin zum Vortrag über die Kabbala (siehe Kasten rechts).

Ist nun mit der Rückgabe der Synagoge die moralische "Wiedergutmachung" am Ziel? "Ich hasse schon dieses Wort", stößt sich Richard Ames, Kantor und Kultusrat für Religion und Kultur der jüdischen Gemeinde in Graz, an diesem Begriff. Nicht schlechtes Gewissen dürfe heute für Christen der Motivationsgrund sein für Engagement im christlich-jüdischen Dialog. Zum Glück gebe es aber auch "jene Christen, die immer mehr draufkommen, dass ihre Wurzeln im Judentum sind, und die daher erfahren wollen, was das Judentum wirklich ist."

Indes versucht Ames, als Vizepräsident des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Wien und als Mitglied des christlich-jüdischen Komitees in der Steiermark die beiden Religionen ins Gespräch zu bringen.

Im Grazer Bildungshaus Mariatrost wird dieser Dialog schon seit 1982 gepflegt: Im Zwei-Jahres-Rhythmus finden hier Anfang Juli die christlich-jüdischen Bibelwochen statt. "Wir versuchen gemeinsame Wurzeln herauszufinden, um den latenten Antijudaismus überwinden zu helfen", formuliert Bildungshaus-Direktor Karl Mittlinger ein Hauptziel der Veranstaltung. Rund 100 Teilnehmer konnten die Bibelwochen jedesmal verzeichnen.

Kaum größer als diese Schar Bibelinteressierter ist die Israelitische Kultusgemeinde Graz insgesamt. Kann die Wiener Kultusgemeinde, die auch Niederösterreich und das nördliche Burgenland umfasst, etwa 7.000 Mitglieder verzeichnen, so zählt die Grazer Kultusgemeinde in ihrem Zuständigkeitsgebiet Steiermark, Kärnten und den burgenländischen Bezirken Oberwart, Güssing und Jennersdorf nur rund 120 Mitglieder. "Die jüdischen Gemeinden in diesen Bundesländern - außer Graz - bestehen seit langem nicht mehr, lediglich Friedhöfe sind stumme Zeugen ihrer ehemaligen Existenz", schrieb der Präsident der Kultusgemeinde, Kurt Brühl, schon 1988.

Zu große Synagoge?

Die Situation wurde nicht besser: Heute kann die Kultusgemeinde in Graz auf kein einziges burgenländisches und nur ein engagiertes Kärntner Mitglied in Wolfsberg verweisen - die zum Judentum konvertierte einstige Katholikin Friederike Habsburg-Lothringen. Obwohl der Grazer Kultusgemeinde zugehörig, sind ihre Bande nach Wien enger geknüpft -aus gutem Grund: Bisher fand sich in Graz nur bei jüdischen Festen das für einen Gottesdienst nötige Zehnerquorum an Männern (Minjan) ein. Mit der neuen Synagoge soll das anders werden.

Auch der rituelle Beschneider (Mohel) der Gemeinde, der Kinderarzt und Leiter der Arbeitsgruppe für Psychosomatik und Psychotherapie an der Grazer Kinderklinik, Peter Scheer, hat für die Zeit nach dem 9. November einen großen Wunsch: "Ich fürchte mich sehr, dass uns die Synagoge zu groß ist. Ein noch größeres Vergnügen als ihre Wiedererrichtung wäre ein regelmäßiger Gottesdienst."

TV-Tipp Späte Einsicht ... Eine Zeitreise zur Grazer Synagoge.

Ein Film von Regina Strassegger.

kreuz& quer, Dienstag, 14. November, 23.05 Uhr, 23.05 Uhr, ORF 2 Buchtipp Es gibt nur einen Gott und eine Menschheit. Graz und seine jüdischen Bürger. Von Wolfgang Sotill (Text) und Christian Jungwirth (Fotos). Verlag Styria, Graz 2000. 280 Seiten, zahlr. Abb. und Karten. öS 350,-/ e 25,44 - Erhältlich Mitte Dezember. Bestellungen an: Kuratorium für die Wiedererrichtung der Synagoge, p.A. H. Beiglböck, 8010 Graz, Bischofpl. 4

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