Auf der Suche nach Größe

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In Kairo wird der türkische Premier Erdogan für seine antiisraelischen Töne gefeiert, doch die Offensive könnte zum Bumerang werden, meint "Die Welt“.

Wie ein Messias wird Recep Tayyip Erdogan am Flughafen von Kairo begrüßt. Erdogan ist in Ägypten ein Star, seitdem er die Israelis offen herausfordert. Auf den Türken projizieren viele Araber ihr neues Selbstbewusstsein seit Beginn des "arabische Frühlings“, und genau um diesen Effekt auszunutzen, ist Erdogan nun zu seinem PR-Feldzug aufgebrochen.

Schon vor seinem Aufbruch hatte Erdogan dem arabischen Sender al-Dschasira erklärt, es liege nur an der "Großmut der Türkei“, dass man Israel nicht schon im vergangenen Jahr den Krieg erklärt habe. In Ägypten, Tunesien und Libyen wird er "türkische Größe“ demonstrieren, wie es sie seit dem Osmanischen Reich nicht mehr gab. Das Mittel dazu ist vor allem Säbelrasseln gegen Israel. Auch wenn er vor der Abreise noch einmal seinen Respekt vor dem Säkularismus betonte, scheinen die Zeiten vorbei, in denen sich der Premier des EU-Bewerbers als Freund westlicher Werte gab.

Doch in Wahrheit ist der neue Erdogan ein Abbild des Mannes, der er vor 15 Jahren war. Er wurde groß in der vehement antiisraelischen, eigentlich antisemitischen Islamistenbewegung Milli Görüs, die wirtschaftliche Modernisierung unter den Bannern des Islam predigte. Erdogan trennte sich davon. Die "Größe“ der Türkei wollte er ab der Jahrtausendwende unter Beweis stellen mit Kooperation auch mit Israel, und durch die Aufnahme der Türkei in die EU.

Osmanische Träume

Dass der neue Erdogan der größte Feind Israels zu werden scheint, und offenbar nicht mehr von einem EU-Beitritt, sondern von einem neuen Osmanischen Reich träumt, war vielleicht nicht unausweichlich. Zwei Wendepunkte prägten seine Haltung seit 2006: Der eine war die Erkenntnis, dass die EU ihn nicht wirklich wollte - Bedingungen wurden gestellt, die auf einen Verzicht auf türkische Größe hinausliefen, etwa eine Preisgabe des türkischen Nordzypern, Referenden wurden in manchen EU-Ländern gefordert, als Bedingung für einen türkischen Beitritt. Der zweite Wendepunkt kam, als es Erdogan misslang, sich als Mittler zwischen Israel und Syrien zu profilieren.

Israels schärfster Kritiker

Von da an wurde Erdogan zum entschlossenen Gegner des Judenstaates. Nicht durch Verhandlungen, sondern durch Macht will er den Nahost-Konflikt nun lösen. Türkische Kriegsschiffe, so kündigte er unlängst an, würden die Gaza-Blockade brechen und Israel daran hindern, Erdgasvorkommen im Mittelmeer auszubeuten.

Aber Erdogan könnte auf Widerstand treffen, den er womöglich unterschätzt. Ägypten selbst hat sich von jeher als Führungsmacht im Nahen Osten verstanden. Ein Erdogan als Symbol palästinensischer Einheit und Freiheit, das kann Kairo nicht gefallen. Vor allem auch, weil er mit seiner Haltung die Massen bewegt. Mit Feldmarschall Hussein Tantawi, der De-facto-Leiter der Amtsgeschäfte Ägyptens, wird Erdogan auch über den Gaza-Streifen und eine mögliche Einreise über Ägypten in den von Israel abgeriegelten Streifen am Mittelmeer gesprochen haben. Den Feldmarschall müssen die Ambitionen Erdogans in eine unangenehme Zwickmühle zwischen Volksmeinung und strategischen Interessen bringen, schließlich liegt dem ägyptischen Militär viel daran, den Status Quo und die guten Beziehungen mit Israel aufrechtzuerhalten. Eine Verschlechterung des Verhältnisses ist da langfristig eine Gefahr, denn der Friedensvertrag mit Jerusalem garantiert dem ägyptischen Militär indirekt auch eine jährliche Finanzhilfe der US-Regierung von etwa zwei Mrd. Dollar.

Die Welt, 14. September 2011

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