Auf die Freiheit vergessen

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"'Humanae vitae' erweist sich weit über das eigentliche Thema hinaus als Ausgangspunkt einer dauerhaften Beschädigung der Autorität des Lehramts."

Wir waren 18 Personen, die sich am 11. August 1968 in der Wohnung des Dr. Helmut Erharter in der Südstadt bei Wien versammelten -zweieinhalb Wochen nach dem Erscheinen der Enzyklika "Humanae vitae". Erharter, Theologe, damals Generalsekretär des Österreichischen Pastoralinstituts und davor einer der Schriftleiter des "Lexikon für Theologie und Kirche", hatte zur Diskussion über die neue Enzyklika eingeladen. Das Ergebnis war ein von allen Anwesenden unterzeichneter Brief an Kardinal König: Nach einem langen Gesprächsabend über die Enzyklika Humanae vitae halten wir es für unsere Pflicht, unser Befremden über die Aussagen dieser Enzyklika Ihnen als unserem Bischof zum Ausdruck zu bringen. Wie viele katholische Ehepaare haben wir in jahrelanger Auseinandersetzung mit den Problemen verantwortbarer Empfängnisverhütung mit allen medizinisch geeigneten Mitteln unsere Gewissenentscheidung längst getroffen; wir sehen uns außerstande, sie auf Grund der Entscheidung des Papstes, die keine neuen Argumente bringt, umzustoßen.

Ein merkwürdiges Jahr dieses 1968. Im April war Martin Luther King ermordet worden, zehn Tage nach unserem Brief an Kardinal König marschierten die Russen in Prag ein. Es hatte den Anschein, als sollten alte Zustände wiederhergestellt werden, mit militärischer oder pontifikaler Gewalt. Und auch ein späterer Papst wechselte in diesem Jahr die Spur.

Eine Kommission dazu war schon von Johannes XXIII. eingesetzt worden und lieferte endlich Paul VI. ihre Ergebnisse. Mehrheitlich war sie der Meinung, dass die Methoden der Empfängnisregelung den Eheleuten überlassen werden sollten. Eine Minderheit um Kardinal Wojtyła verschaffte sich Zutritt zum Papst und bestimmte ihn, gegen jede Art "künstlicher Empfängnisverhütung" Stellung zu nehmen. Die Anti-Baby-Pille war seit 1960 in Gebrauch und verschaffte der Enzyklika den Spitznamen "Pillen-Enzyklika".

BREITE ABLEHNUNG

Vorsichtige und verklausulierte Widerworte gegen die Enzyklika lieferten am 30. August die deutschen Bischöfe in der "Königsteiner Erklärung", am 22. September folgten die Bischöfe Österreichs mit ihrer "Mariatroster Erklärung". Vorsichtig wurde an das Gewissen erinnert. Noch war nicht abzusehen, dass mit dieser Enzyklika die Jahre der Verdrängung des Konzils begonnen hatten.

Wojtyła war zehn Jahre später als Johannes Paul II. selbst Papst und verfolgte einen zwiespältigen Kurs. Er scheute sich nicht, Synagogen und Moscheen zu besuchen und er rief das interreligiöse Gebetstreffen in Assisi ins Leben. Aber in der kirchlichen Innenpolitik kannte er kein Pardon. Er hatte als polnischer Bischof zwei Diktaturen überstanden und daraus gelernt, dass nur ein strenger innerer Zusammenhalt die Kirche überleben ließ. In seiner eigenen Enzyklika "Evangelium vitae" bestätigte er 1995 "Humanae vitae" und rückte die Empfängnisverhütung in unmittelbare Nähe zur Abtreibung.

Der römischen Kurie kam die neue Strenge gerade recht, und sie behinderte jede Weiterentwicklung der Anstöße, die das Konzil gegeben hatte. Johannes Paul II. war 26 Jahre Papst und sein Nachfolger, Benedikt XVI., fügte der Ära noch acht Jahre bis zu seinem Amtsverzicht hinzu. Auch seine Politik war ein Ergebnis des Jahres 1968. Er hatte als aufgeschlossener und reformfreudiger Konzilstheologe begonnen, aber die Studentenrevolten stießen ihn so sehr vor den Kopf, dass er die Universität wechselte und eine starre konservative Theologie entwickelte.

Erst Papst Franziskus erinnert häufig wieder an das Konzil und er scheut sich, doktrinäre Festlegungen zu treffen. Noch nie in der Geschichte ließ ein Papst die Gläubigen weltweit zur Vorbereitung einer Bischofssynode befragen. 2015 beim Thema Ehe und Familie war das eine naheliegende Premiere. Dabei stellte sich heraus, dass sich an die 80 Prozent der Katholiken und Katholikinnen nicht an die Weisungen von "Humanae vitae" gebunden fühlen.

46 eng beschriebene Seiten umfasst die Zusammenstellung von Reaktionen auf Humanae vitae, die im Zuge der Umfrage eingegangen sind. Sie zeigen -weit über das unmittelbare Thema der sogenannten "Pillen-Enzyklika" hinaus -wie kraftlos die amtskirchliche Autorität geworden ist. Hier eine kleine Auswahl, die sich um viele zornige Stellungnahmen vermehren ließe:

Wie sollen alte Männer (ausschließlich Männer), die nie eine Familie hatten und sich auch nie um ihre Existenz sorgen mussten, Regelungen treffen, die für das alltägliche Leben der Familie eine Hilfe sein könnten? / Zu viel Einmischung, zu viel Bevormundung, zu wenig Herz und Verständnis / Ich glaube, dass sich in diesem Bereich ohnehin keiner mehr an die kirchlichen Vorschriften hält / Es sieht faktisch niemand in meinem Umfeld einen Verstoß gegen das kirchliche Verbot von künstlichen Empfängnisverhütungsmitteln als Sünde an und geht deswegen auch nicht zur Beichte, aber ganz selbstverständlich zur Kommunion. / Meine Frau und ich haben uns als jung verheiratet sehr intensiv mit Humanae vitae auseinandergesetzt und kamen zu dem Schluss, dass der damalige Papst sich als beratungsresistent erwiesen hat und dass er seine fachliche und sachliche Kompetenz überschritten hat.

VERTEIDIGER BIS HEUTE

Im März 2008,40 Jahre nach dem Erscheinen von "Humanae vitae", hielt der Wiener Kardinal Schönborn vor Mitgliedern des Neokatechumenats eine bemerkenswerte Predigt, und das an einem prominenten Ort: im sogenannten Abendmahlssaal in Jerusalem. Er sorgte sich um die Entvölkerung Europas. Die Bischöfe Deutschlands und Österreichs hätten mit ihren Erklärungen das Ja zum Leben geschwächt: Die Ablehnung von "Humanae vitae" sei eine "Sünde des europäischen Episkopats".

So erweist sich die Herausgabe von "Humanae vitae" weit über das eigentliche Thema hinaus als Ausgangspunkt einer dauerhaften Beschädigung der Autorität des Lehramts. Papst Franziskus scheint verstanden zu haben, was vor fünfzig Jahren angerichtet worden ist. Folgerichtig zitiert "Amoris laetitia", sein nachsynodales Schreiben, zwar "Humanae vitae", vermeidet aber jedes Verbot bestimmter Mittel der Empfängnisverhütung. Schwierigkeiten bereitet ihm aber sein Vorgänger Johannes Paul II. Die heftigen Gegner des gegenwärtigen Papstes argumentieren mit den Festlegungen des Vorgängers, insbesondere bei Scheidung und Wiederverheiratung. Aber die Wirkung autoritärer Festlegungen ist vorbei. Schon 1994 sagte Kardinal König: "Der Vatikan hat vergessen, dass das II. Vatikanische Konzil sich für die Freiheit ausgesprochen hat." Auch für die Gewissensfreiheit des Lebens in der Ehe.

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