"Aufbrüche? Fehlanzeige"

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In einem Monat wird Papst Benedikt XVI. nach Österreich kommen. Die Furche, die einem unabhängigen Religionsjournalismus verpflichtet ist, widmet sich diesem Ereignis mit dem Anspruch, Hintergrundinformation und tiefgründige Auseinandersetzung zu bieten. In den kommenden Wochen werden dazu prominente Stimmen aus "verschiedenen Richtungen" - von Thomas Chorherr bis Ulrich H. J. Körtner - Analysen zur katholischen Kirche zu Papier bringen. Als erstes dazu nebenstehendes Gespräch mit Martin Maier SJ über die "Gezeiten" in der katholischen Theologie. Die Reihe Die katholische Kirche - einige Beobachtungen bildet den Auftakt zur Furche-Berichterstattung über die Pilgerreise Benedikts XVI. nach Wien, Mariazell und Heiligenkreuz. ofri

Martin Maier, Jesuit "zwischen" Europa und Lateinamerika, über den (Zu-)Stand der katholischen Theologie.

Die Furche: Pater Maier, Sie sind in Deutschland und auch in Zentralamerika tätig. Sie beobachten kirchliche Entwicklungen, auch die Entwicklung der Theologie. Wie beschreiben Sie das "theologische" Klima in der katholischen Kirche?

Martin Maier SJ: Es gibt in der Geschichte der Theologie immer unterschiedliche Phasen, Gezeiten sozusagen. Phasen von Neuaufbrüchen und von Kreativität. Das war in der katholischen Theologie etwa in der Mitte des 20. Jahrhunderts der Fall, als Theologen wie Karl Rahner in Deutschland oder Henri de Lubac, Yves Congar und Marie-Dominique Chenu in Frankreich wirklich neue Wege in der Theologie geöffnet haben. Sie waren entscheidende Wegbereiter für das Zweite Vatikanische Konzil.

Interessant ist, dass sie alle in den 50er Jahren mit dem Heiligen Offizium, wie die Glaubenskongregation damals hieß, große Probleme hatten, zum Teil Veröffentlichungs- und Lehrverbote bekamen, aber dann sozusagen im Konzil rehabilitiert wurden.

Derzeit habe ich den Eindruck, dass wir in einer anderen Phase sind: Es werden natürlich weiter theologische Bücher geschrieben und es gibt solide Theologen, aber ich nehme keine bedeutenden Neuaufbrüche wahr. Vielleicht hat das kirchenpolitisch auch damit zu tun, dass unter Johannes Paul II. den Theologen ziemlich enge Grenzen gezogen wurden. Es sind in diesem Pontifikat um die 100 Theologen - auch Theologinnen - gemaßregelt worden. Das hat nicht unbedingt ein Klima von Kreativität gefördert. Ich habe den Eindruck, es gibt zur Zeit eine Ängstlichkeit, ein Abwarten der jüngeren Theologen und Theologinnen, die sich eher bedeckt halten, weil sie Angst haben, keinen Lehrstuhl zu bekommen.

Nach der jüngsten Lehrverurteilung des Befreiungstheologen Jon Sobrino hat ja der Tübinger Dogmatiker und Ehrenpräsident der Europäischen Gesellschaft für Theologie, Peter Hünermann, eine sehr kritische Analyse der römischen Notifikation gegen die Christologie von Sobrino geschrieben, und er hat damit einen Aufruf für eine "intelligente Neugestaltung der Glaubenskongregation" verbunden. Er hat Theolog(inn)en eingeladen, diesen Aufruf zu unterschreiben - das haben bis jetzt um die 150 getan, was eine bemerkenswerte Zahl ist.

Aber es war zu beobachten: Jüngere halten sich da eher zurück und sind vorsichtig.

Die Furche: Sind die Theologinnen und Theologen heute weniger mutig als Rahner, Congar, die ja den Konflikt nicht gescheut haben mit der kirchlichen Autorität - die aber auch ganz andere Sanktionen erlebt haben: ein Teilhard de Chardin etwa konnte ja seine Hauptwerke zeitlebens nichts veröffentlichen.

Maier: Die Namen die Sie und ich erwähnt haben, sind interessanterweise alles Ordensleute. Wenn denen die Lehrbefugnis entzogen wurde, oder wenn sie nicht mehr publizieren konnten, dann wurden sie immer noch von ihren Orden aufgefangen.

Heute sind immer mehr Theolog(inn)en "Laien", und die hängen existenziell davon ab, dass sie ihren Beruf als Theologen ausüben können. Da ist verständlich, dass die vorsichtiger sind. Dennoch: Es wäre wahrscheinlich zu stark, von einem Klima von Angst zu sprechen, aber doch von einem Klima großer Vorsicht und Einschüchterung.

Eingeschüchterte Laien?

Die Furche: Diese Situation ist paradox: Denn einerseits sind ja Theologen, die keine Priester sind, für die bremsenden Strömungen in der Kirche "ungeliebte" Kinder. Anderseits - wenn Sie Recht haben - sind sie, weil sie Laien sind, von genau diesem System abhängig. Und das System erreicht, dass Ruhe im Haus ist.

Maier: Das ist richtig. Doch ich halte es für einen ganz wichtigen Fortschritt in der Kirche, dass zunehmend auch qualifizierte Laien auf theologische Lehrstühle kommen - in Wien übernimmt ja mit Sigrid Müller beispielsweise eine Frau den Lehrstuhl für Moraltheologie!

Die Furche: Wo aber gibt es dann interessante theologischeAnsätze?

Maier: Auf den deutschsprachigen Raum bezogen ist das nicht ganz einfach zu sagen. Ich denke, die Politische Theologie von Johann Baptist Metz ist einer dieser Ansätze. Auch eine Reihe von jüngeren Theolog(inn)en schreiben sich in diese Linie ein. Eine andere theologische Strömung, die ich wahrnehme, hat sich in Innsbruck um den vor drei Jahren verstorbenen Raimund Schwager gebildet, die sich mit dem schwierigen Thema von Religion und Gewalt auseinander setzt - vor allem anhand der Ideen des französischen Anthropologen René Girard. Und da ist natürlich die Auseinandersetzung mit Säkularisierung und mit Postmoderne - das ist wichtig und eine Herausforderung für die Theologie in Europa.

Aber wirkliche Neuaufbrüche? Da ist im Moment eher Fehlanzeige. Was, wie ich meine, auch für die Theologie immer wichtiger werden muss, ist die Frage von Schöpfung und Ökologie - Stichwort Klimaerwärmung. Was in der Profansprache die Umweltfrage ist, ist, theologisch gewendet, die Frage, wie gehen wir mit Gottes Schöpfung um.

Die Furche: Wie steht es in diesem Komplex um die Frage Schöpfung versus Evolutionstheorie?

Maier: Das ist ein weiteres Thema, wo vor allem in den USA eine Diskussion aufbricht von den so genannten Kreationisten her, die den biblischen Schöpfungsbericht fundamentalistisch lesen, wo auch von europäischen Theologen eingegriffen wurde. Ich denke, das ist ein Beispiel, wo Theologie durchaus in aktuelle Diskussionen einsteigt und eingreift.

Außereuropäische Theologie

Die Furche: Wenn Sie über den europäischen Kulturkreis hinausschauen: Da sind ja auch in den letzten Jahrzehnten neue theologische Konzepte entstanden - etwa die Befreiungstheologie.

Maier: Die Theologie der Befreiung, die in Lateinamerika als erste nichteuropäische Theologie entstanden ist, hat sich weltweit ausgebreitet: Es gibt indische Formen, die versuchen, Theologie im Sinn der Option für die Armen in Indien zu betreiben. Und das sind dort in besonderer Weise die Dalits, die Unberührbaren - da hat sich auch eine "Dalit-Theologie" gebildet. Ähnliches könnte man für Afrika sagen, wo eine afrikanische Form von Theologie der Befreiung entstand.

Ich bin der Überzeugung, dass sie nach wie vor auch für uns in Europa von Bedeutung ist. Eine andere großer Herausforderung, die ich sehe, ist die des interreligiösen Dialogs. Die Weltreligionen müssen dem Schlagwort des "Clash of Civilizations" das Modell einer Verständigung zwischen den Religionen entgegensetzen.

J. Ratzinger & Benedikt XVI.

Die Furche: Der jetzige Papst ist auch ein Theologe, der eine bestimmte theologische Richtung vertritt, sie auch als Chef der Glaubenskongregation forciert hat. In den Bereichen, die Sie jetzt angesprochen haben, war er ein Exponent der "Bremser".

Maier: Die Aufgabe von Kardinal Ratzinger als Präfekt der Glaubenskongregation war naturgemäß die, Grenzen zu ziehen und theologische Entwicklungen auch kritisch zu beurteilen. Nachdem er Papst geworden ist, hat er sich durchaus von dieser Rolle verabschiedet - und nicht mehr die Funktion eines Glaubenswächters, sondern die des obersten Hirten eingenommen. Ihm war es zu Beginn seines Pontifikats ein Anliegen, das Positive des christlichen Glaubens ins Licht zu rücken.

Die Furche: Aber auch der Fall Sobrino gehört zu seinem Pontifikat!

Maier: Das ist richtig und steht im Widerspruch zu dem, was man meinte, in den ersten zwei Jahren wahrnehmen zu können. Nicht umsonst wurde gefragt: Vollendet hier Benedikt XVI. nicht etwas vom früheren Kardinal Ratzinger?

Die Furche: Es fällt aber auf, dass die Verurteilungen Sobrinos im Vergleich zu ähnlichen Vorgängen, schaumgebremst ausgefallen ist.

Maier: Es ist bemerkenswert, dass mit dieser Notifikation keine Sanktionen verbunden waren. Dennoch handelt es sich um eine sehr harte Disqualifikation der Christologie von Sobrino, da ist von "Irrtümern" und von "gefährlichen Aussagen" die Rede: Das ist in der Sprache der Glaubenskongregation eine Lehrverurteilung.

Eine "hellenistische" Kirche?

Die Furche: Bei diesem Konflikt ist einer der Knackpunkte, der dieses Pontifikat theologisch bestimmt, angesprochen, nämlich dass es um eine ganz starke Verteidigung der "Hellenisierung" des Christentums geht.

Maier: Das ist eine Dimension des Problems. Papst Benedikt XVI. und auch der Theologe Joseph Ratzinger vertreten, dass die Begegnung der hellenistischen Kultur und der griechischen Philosophie der ersten Jahrhunderte mit dem Evangelium sozusagen eine normative Symbiose hergestellt hat. In diese Zeit fallen die wichtigen ökumenischen Konzilien, wo tatsächlich die entscheidenden dogmatischen Formulierungen des christlichen Glaubens ihre Form gefunden haben.

Jon Sobrino sagt: Natürlich sind das auch für mich die entscheidenden Bezugspunkte - die Heilige Schrift, die kirchliche Tradition mit ihren Konzilien und dogmatischen Definitionen. Aber, so Sobrino, das ist ja nicht etwas, das einfach so im Raum steht, sondern wir müssen das heute aus unterschiedlichen Situationen neu lesen, neu verstehen. Für Sobrino ist eben die Situation, von der her er das kirchliche Überlieferungsgut lesen und reflektieren möchte, die Welt der Armen.

Das wurde in der Glaubenskongregation nicht verstanden. Denn einer der Vorwürfe lautet ja, Sobrino würde die kirchliche Tradition durch die Kirche der Armen ersetzen. Das ist bei Sobrino aber nicht der Fall. Das ist nicht nur das Problem von Jon Sobrino, das ist das große Problem der Inkulturation des christlichen Glaubens. Inkulturation bedeutet ja den Prozess einer Symbiose: Dahinter steht die Frage der Inkarnation, weil Menschwerdung hieß ja, dass Gott sich auf eine ganz bestimmte konkrete Kultur einlässt: auf Israel vor 2000 Jahren.

Es muss sich in gewisser Weise immer wieder neu ereignen, dass das Evangelium, der christliche Glaube in neue geschichtliche Situationen, neue kulturelle Verhältnisse neu eingepflanzt und lebendig wird. Es ist völlig klar: Wir können nicht so leben wie vor 2000, 1000 oder 500 Jahren.

Das II. Vatikanum war in diesem Sinn das große Ereignis einer neuen Inkulturation des christlichen Glaubens in die moderne Welt. Wir spüren bis heute, dass das ein durchaus schwieriger Prozess ist.

Das Gespräch führte Otto Friedrich.

Nächste Woche: Walter Homolka ver-sucht einen jüdischen Blick auf die katholische Kirche. Das jüdisch-katholische Verhältnis hat sich seit der Konzilserklärung Nostra aetate völlig verändert. Wie stellt sich dieses heute dar?

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