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Aufgaben nachkonziliarer Theologie

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DIE KIRCHE IN DER WELT VON HEUTE. Kommentar zur Pastoralkonstltution „Gaudium et Spes“. Herausgegeben von Guilherme Baran na, Otto-Müller-Verlag, Salzburg. 570 Seiten S 300.-.

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DIE KIRCHE IN DER WELT VON HEUTE. Kommentar zur Pastoralkonstltution „Gaudium et Spes“. Herausgegeben von Guilherme Baran na, Otto-Müller-Verlag, Salzburg. 570 Seiten S 300.-.

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Von allen Konzilsdokumenten bedarf keines so notwendig eines seinen Werdegang aufhellenden, seine theologischen Voraussetzungen klärenden, seine Tendenzen erläuternden, seine Einzeith emmen und Kapitel analysierenden, auf seine Mängel und Kompromisse hinweisenden Kommentars, wie gerade die „Paisto- ralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute“. Mit G. Barau- nas Buch liegt ein solcher Kommentar vor, der mehrere der genannten Aufgaben zu bewältigen versucht, Denn in dem, unter der Herausgeberschaft des brasilianischen Kon- zilstheolögen vorgelegten Werk,

wird von 25 Mitarbeitern verschiedener Fachrichtungen nicht nur den einzelnen Kapiteln des Textes selbst ausführlich nachgegangen (S. 141 bis 468), sondern auch eine historische und theologische Einführung in den Hintergrund des Dokuments gegeben (S. 15 bis 137), während ein dritter Teil die „ökumenischen Gesichtspunkte der Konstitution“

(S. 461 bis 544) behandelt. Ein Ver zeichnis der Bibelstellen und der Konzilstexte, sowie ein ausführliches Sachregister schließen den Band ab.

Besonders wichtig erscheint der erste, einführende Teil. Mit den „Historischen Bemerkungen zur

Konstitution“ (McGrath), eine Untersuchung ihrer biblischen Grundlagen (Lyonnet) und einer ausführlichen Theologie der irdischen Werte (Tillard) macht er auf die historischen Bedingtheiten und theologie- geschichtlichen Voraussetzungen des Konzils textes aufmerksam. Dieser erweist sich als ein unter großem Zeitdruck entstandenes Dokument, daß in seiner endgültigen Fassung nicht frei ist von Unklarheiten, Unausgeglichenheiten und unbeantworteten Fragestellungen. Sehr hart ins Gericht mit der Konstitution geht G. Alberigo wenn er „Die Konstitution in Beziehung zur gesamten Lehre des Konzils“ untersucht. Er verweist vor allem darauf, daß der Text nicht die Aussagen der Kirchen- und Liturgiekonstitution aufnimmt und weiterführt, die auf besserer theologischer Grundlage stehen. Die Weltgeöffnetheit und -zugewandtheit der Kirche, ihr Dienst in der und für die Welt wird nicht als eminent wichtiger Aspekt des Themas „Kirche" gesehen, sondern in einer mehr geselilschaftlich- juridischen Sicht des Verhältnisses zweier getrennter Größen abgehan- delt. Damit mildert die Konstitution zwar die traditionellen Vorstellungen von der Kirche als „societas perfecta“, durchbricht sie aber nicht grundsätzlich, um die innere Gestalt der Kirche und ihre Funktion grundsätzlich als zwei Seiten derselben Sache zu sehen. J. M. R. Tillard gibt in seinem Beitrag „Die Kirche und die irdischen Werte“ nichts anderes als eine aus der patristischen Besinnung vor allem der französischen Theologen erwachsene „Inkamationstheologie“, aus deren Geist auch die Konstitution spricht. Die Grenzen dieses Ansatzes werden besonders deutlich, wenn man an die mit J. B. Metz und J. Moltmann verbundene „Theologie der Hoffnung“ denkt, die vor allem die politische, eschatologisch ausgerichtete, in Auferstehungsereign,is begründete Verantwortung des Christen und der Kirche in den Mittelpunkt stellt. Das Fehlen dieses letzten Aspekts wurde schon während des Konzils immer wieder von den Vätern und Theologen der orientalischen Kirchen kritisiert.

Der zweite Teil umfaßt Beiträge zu den einzelnen Kapiteln (und Themen) der Konstitution. Die verschiedenen Verfasser bedingen manche Überschneidungen, die vielleicht besser redigiert hätten werden können.

Aus den Einzelkommen,taren zu dem grundsätzlichen Teü der Konstitu- ! tion sind jene von P. Smulders zum Kapitel „Das menschliche Schaffen in der Welt von heute“ hervorzuheben. Smulders nennt die grundsätz- . lieh positive Sicht der irdischen . Wirklichkeiten, betont aber auch, daß die Frage nach dem Verhältnis von innerweltliicher Entwicklung und endzedtlicher Vollendung, von Zukunft der Welt und Heilserwartung des Christen ungeklärt bleibt. Chenu , spricht weniger von den Aufgaben der Kirche, als nochmals von der theologischen Grundlegung der Weltzugewandtheit der Kirche in der Einheit von Schöpfungs- und Erlösungsordnung, die in der Inkarnation ihren höchsten und bleibenden Ausdruck findet. So wie der zweite Hauptteil der Konstitution vielfach als der bessere bezeichnet wurd, sind auch die Kommentare zu den „wichtigeren Einzelfragen“ engagierter, prägnanter und auch kritischer.

Insgesamt hätte man von den Beiträgen dieses Teils — von den hier nicht genannten noch mehr — deutlicher Kritik und stärkere Konfrontation mit der Kirche der Gegenwart erwarten können, so daß von daher Anstöße für einen Neuaufbruch in der Theologie und im kirchlichen Leben kommen. Dies ist aber nicht nur ein Problem konziliärer Kommentare, sondern die Gefahr einer nachkonziliaren Epoche überhaupt, der zum Beispiel die nachtridenti- nische Zeit weithin erlegen ist. Aus allzu großer Treue zum Wortlaut der Dokumente wurde (und wird) auf den geschichtlich-funktionalen Charakter eines Konzils vergessen, und anstatt einer Phase des weltergehenden Aufbruchs und der Erneuerung folgt eine der Sterilität und Restauration, aiuf das Vaticanum II folgt ein Vakuum II, wie es ein amerikanischer Geistlicher formuliert hat.

Vielleicht ist die einzige Möglichkeit dieser Gefahr zu entgehen, tatsächlich jene, die — auf den ersten Blick erstaunlich — der vorliegende Kommentar eiinschlägt: die ökumenische Arbeit in den Mittelpunkt zu stellen. Dabei stellen die Beiträge von O. Rousseau „Die Botschaft der Konstitution und die ökumenische Bewegung“ und von L. Vischer „Die Bedeutung der Konstitution für öku- mensche Bewegung“ heraus, daß der schon bestehenden Spracheinheit (Rousseau) nun eine Handlungseinheit aller Kirchen folgt, das drängende Anliegen der Gegenwart, schlechthin. Daß sich dabei jede der Kirchen, und so auch die Konzilskonstitution, erweiternde und konstruktive Kritik gefallen lassen muß, machen die Beiträge van seiten der orthodoxen Theologie deutlich. Von ihr wird vor allem der Mangel an der vom Ostermysterium ausgehenden Kraft des Evangeliums, in seiner prophetisch-pneumatologischen, auf die Vollendung zustrebenden Dimension, die die Einheit von Kirche und Welt auch und vor allem als „Weltlichkeit der Kirche“ sieht, vorgeworfen.

Hier liegen die entscheidenden Aufgaben nachkonziliarer Theologie und gegenwärtigen kirchlichen Lebens: die Anstöße der Konstitution aufnehmend weiterzugehen um, wie es B. Häring im Schlußwort formuliert, achtend auf die „Zeichen der Zeit“, den Menschen ernstnehmend, die alte Botschaft des Evangeliums andauernd neu reflektiert und neu formuliert zu verkünden.

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