Auseinandersetzung abseits medialer Hypes

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Erscheinungen auf dem Buchmarkt zum Islam, dem "politischen" Themenkomplex Nummer eins, gibt es zuhauf. Dabei ist der Blick auf Auseinandersetzungen abseits eines medialen Hypes wie jenes rund um Thilo Sarrazins Aufreger "Deutschland schafft sich ab" hilfreich. Es sind oft die gut aufbereiteten (Lebens-)Geschichten über geglückte Integration oder deren Mühsal, die mehr zum Verständnis der Lage beitragen als das Zusammenpflücken von Datenmaterial zur Untermauerung eigener Thesen (so lautet bekanntlich der Hauptvorwurf gegen Sarrazins Thesen).

Ein Beispiel in diesem Sinn ist der autobiografische Bericht "Mein Abschied vom Himmel. Aus dem Leben eines Muslims in Deutschland" von Hamed Abdel-Samad, der seit Kurzem auch als Taschenbuch vorliegt. Abdel-Samad, gebürtiger Ägypter, breitet darin sein auch persönlich schwieriges Heimisch-Werden in Europa aus: Die rigide, teilweise doppelbödig von der Religion bestimmte Gesellschaft in Ägypten spielt dabei ebenso hinein wie die libertäre Gesellschaft in Deutschland, die für Abdel-Samad einen Kulturschock nach dem anderen bereithält. Diese persönliche Geschichte spart auch die psychischen Probleme nicht aus, die den Autor mehrmals in stationäre Behandlung treiben. Dabei entpuppt sich Abdel-Samad nicht als der "Islamkritiker", zu dem er von Medien vereinfacht gestempelt wird: Er schildert vielmehr seinen Weg von einem Kind traditioneller ägyptischer Verhältnisse zu einem kritischen Intellektuellen in Deutschland, der sich von einer simplen, allzu traditionellen Sicht des Islam verabschiedet. Dass der Autor dabei auch sein Sexualleben ausbreitet, mag zu hinterfragen sein; aber man muss dem wirklich gut geschriebenen Buch zugute halten, dass auch mit diesen Darstellungen die Abgründe einer in vielem religiös dominierten, vormodernen Gesellschaft plastisch und drastisch klar werden.

Dem "Islam mit europäischen Antlitz" widmet sich der gleichnamige Sammelband, der sich rund um die "Deklaration europäischer Muslime" des Großmufti von Sarajewo, Mustafa Ceri´c aus 2005. Ceri´c, der als gestandener Vertreter eines traditionell "europäischen" Islam gilt, versucht in dieser von ihm selbst als "Diskussionsgrundlage" bezeichneten Erklärung, zwischen der Europäischen Union, den Muslimen in Europa und der muslimischen Welt Brücken zu bauen und Kriterien dafür zu formulieren. Im Band werden dazu "Antworten" aus katholischer, evangelischer und muslimischer Perspektive angeboten. Auch ein Kapitel über den Islam in Österreich aus der Feder des Münchner katholischen Religionspädagogen Stephan Leimgruber findet sich darin: Hier zeigt sich aber, dass tiefere Analyse aus einer intimeren Kenntnis der islamischen Lage in Österreich notwendig gewesen wäre.

Eine wissenschaftliche, aber dennoch lesbare Textsammlung zu islamfeindlichen Tendenzen in Europa bietet schließlich das erste "Jahrbuch für Islamophobieforschung", das der junge Politikwissenschafter und Mitarbeiter des Instituts für Rechtsphilosophie, Religions- und Kulturrecht an der Universität Wien, Farid Hafez, herausgebracht hat. (ofri)

Islam mit europäischem Gesicht

Hg. Benjamin Idriz, Stephan Leimgruber, Stefan J. Wimmer. Butzon & Bercker 2010, 275 S., e 18,40

Jahrbuch für Islamophobieforschung 2010

Hg. Farid Hafez. Studienverlag 2010, 144 Seiten, e 22,90

Mein Abschied vom Himmel

Von Hamed Abdel-Samad. Knaur 2010, 304 Seiten, e 10,30

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