Auszug aus der Knechtschaft

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Vom langen und steinigen Weg zur Freiheit, von jüdisch-christlicher Erinnerung und Hoffnungsperspektive. Und warum Ostern ein schwieriges, dem modernen Lebensverständnis zuwiderlaufendes Fest bleibt.

"Was unterscheidet diese Nacht von allen anderen Nächten?“ fragt traditionell das jüngste Kind beim Seder-Mahl, dem Auftakt des jüdischen Pessach-Festes. Als Antwort wird die Geschichte vom Auszug des Volkes Israel aus der ägyptischen Knechtschaft erzählt. Es ist ein biblischer Überlieferung zufolge vierzig Jahre währender, schmerzhafter und entbehrungsreicher Weg in die Freiheit, ins "Gelobte Land“.

Die katholische Liturgie der Osternacht stellt sich ganz bewusst in diese Tradition und knüpft an die Erinnerung an den Exodus, den Auszug aus Ägypten, an: "Dies ist die Nacht, die unsere Väter, die Söhne Israels, aus Ägypten befreit und auf trockenem Pfad durch die Fluten des Roten Meeres geführt hat“, heißt es im Exsultet, dem großen Osterlob zu Beginn der Feier; um dann diesen Grundgedanken im christlichen Sinne zu entfalten und zu deuten: "Dies ist die selige Nacht, in der Christus die Ketten des Todes zerbrach und aus der Tiefe als Sieger emporstieg.“

Zukunft wächst aus der Erinnerung

Warum daran erinnern? Weil Juden wie Christen glauben, dass diese Dinge nicht einfach Vorkommnisse aus längst vergangenen Zeiten, womöglich historisch unzureichend abgesichert, sind, sondern dass aus dieser Erinnerung Zukunft erwächst; dass es sich dabei um Ereignisse von bleibender existenzieller Bedeutung handelt: "Geschichten um Geschichte“ hat das der Neutestamentler Jacob Kremer († 2010) genannt.

Der Plot ist in beiden Fällen derselbe: von der Knechtschaft in die Freiheit. Im Christentum bezieht sich das nicht zuletzt auf die Überwindung der ultimativen "Knechtschaft“, des Todes. Aber auch das Christentum meint mit Tod nicht nur das biologische Sterben am Ende des Lebens, sondern ebenso die Schatten, die dieser Tod schon auf das Leben wirft, die vielen Erfahrungen von Tod, Not und Elend mitten im Leben, die Strukturen des Todes, denen sich auch ein noch so geglücktes Leben nie ganz entwinden kann.

Diese so einfache wie schwierige Geschichte wird im Christentum dramatisch zugespitzt auf eine einzige Person. An ihr hängt alles, entscheidend ist die Antwort auf die Frage Jesu: "Für wen haltet ihr mich?“ Mit der Antwort des Petrus ("Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes.“) bzw. dem Bekenntnis des Hauptmanns ("Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn.“) steht und fällt das Ganze.

Nein, diese Geschichte, die Erzählung von Leiden, Sterben und Auferstehung, ist nicht "jugendfrei“ (siehe "En passant“, S. 24). Aber das Leben selbst, mit all seinen Brüchen und Verwerfungen, ist nicht "jugendfrei“. Und die christliche Feier der Karwoche will ja letztlich nichts anderes sein, als eine verdichtete, radikalisierte Fassung ebendieses Lebens im Vollsinn. Eine Verdichtung, die eine unüberbietbare Perspektive der Hoffnung mit einschließt, die sich individuell anzueignen freilich eine Frage und Sache des Glaubens ist, sich nicht zwingend erschließt und niemandem zwingend zu vermitteln ist.

Keine Ausreden auf systemische Plagen

Aber schon die Idee des Auszugs aus der Knechtschaft ist entgegen dem ersten Anschein mitnichten für alle plausibel: Weil - siehe die Exodus-Geschichte - der Weg zur Freiheit ein mühsamer und steiniger ist. Dieser Weg muss von jedem Einzelnen beschritten werden, da gelten keine Ausreden auf "Plagen“ - heute würden wir sagen: das System, die Politik, die Wirtschaft, die EU - und es gibt kein Anrecht auf vom Himmel regnendes Manna.

Vom "politisch korrekt aller kultureller, ideeller und Gender-Attribute entkleideten“, "nicht mehr ‚diskriminierbaren‘ Individuum“ hat Rudolf Burger in Anlehnung an Nietzsche als Zerrbild des modernen Menschen gesprochen: ein Objekt "fürsorglicher Biopolitik“, das "ohne vertikale und ohne horizontale Transzendenz seinen asketischen Hedonismus nach einem genau kalkulierten Ernährungsplan“ lebe. Der österliche Mensch, so ließe sich vielleicht sagen, wäre nicht weniger als ein dazu diametral entgegengesetzter Lebensentwurf.

* rudolf.mitloehner@furche.at

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