Bahn frei für ein Nationalmuseum

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Österreichs Geschichte durch 500 Jahre zeigt das Heeresgeschichtliche Museum im Wiener Arsenal, dessen Direktor seit Jahren auf einen Zubau wartet.

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Österreichs Geschichte durch 500 Jahre zeigt das Heeresgeschichtliche Museum im Wiener Arsenal, dessen Direktor seit Jahren auf einen Zubau wartet.

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dieFurche: Sie beabsichtigen, aus dem Heeresgeschichtlichen Museum ein allgemeines österreichisches Geschichtsmuseum zu entwickeln - ein Museum der Geschichte der Republik Österreich oder der österreichischen Geschichte im weiteren Sinn?

Manfried Rauchensteiner: Es könnte sich zu einer Art österreichischen Nationalmuseums entwickeln. Auf jeden Fall ein Museum österreichischer Geschichte in der Dimension des jeweiligen Österreich. Österreich hat nicht groß angefangen. Es ist einmal ganz groß und ist auch wieder ganz klein geworden. Aber das alles ist Österreich. Wir haben hier im Haus 500 Jahre Geschichte dieses Österreich verwahrt. So ist es sehr wohl ein Anliegen, ein solches Museum zu haben. Die Voraussetzungen hier im Haus sind außerordentlich gut.

dieFurche: Sie sagen, 500 Jahre haben wir im Haus - wir haben gerade erst "1000 Jahre Österreich" gefeiert. Was ist mit den ersten 500 Jahren?

Rauchensteiner: Die ersten 500 Jahre können wir hier nicht abdecken. Da würden wir uns übernehmen. Es sind uns auch Jahrhunderte späterer Zeiten wieder herausgenommen worden. Als dieses Haus Mitte des 19. Jahrhunderts gebaut wurde, von den größten Architekten der Ringstraßenzeit, wurde in einen militärischen Komplex ein Kulturzentrum eingebaut. Damals wurde die kaiserliche Waffensammlung eingefügt, die später wieder ins Kunsthistorische Museum gegeben wurde. Das Haus an sich ist aber voll, ich kämpfe verzweifelt darum, die Sammlung fortzusetzen, und nicht nur inhaltlich zu verdichten. Der Erweiterungsbau war schon völlig fertig geplant und ausgeschrieben, und ist noch nicht einmal begonnen worden. Dort sollte der Zeitraum ab 1918 untergebracht werden.

dieFurche: Wenn Sie sagen, 500 Jahre - was sehen Sie als den richtigen Zeitpunkt eines Beginnes? Wo liegt die Zäsur? Bei Maximilian I.?

Rauchensteiner: Etwa in der Zeit Maximilians beginnend und sich dann zum 30jährigen Krieg, zur großen Glaubensauseinandersetzung hin verdichtend. Dort ist eine im Haus existent gewesene Zäsur, weil durch den Kaiser die großen Familien gebeten wurden, interessante, wichtige Objekte einer Sammlung anzuvertrauen, und je nachdem, wer was abgegeben hat, ist allmählich eine Sammlung entstanden, die zu bewerten und zu datieren war. So kommt es zu einem mehr zufälligen Anfang in der Zeit vor 1500.

dieFurche: Sie sagen "österreichisches Nationalmuseum". Damit kommt der Begriff der "österreichischen Nation" hinein. Wie definieren Sie ihn?

Rauchensteiner: Ich möchte für den Begriff "österreichische Nation" gerne das Selbstverständnis stärker ins Spiel bringen, also nicht mit ethnischen oder sprachlichen Komponenten arbeiten, sondern sehr wohl etwa mit der "Volksabstimmung aller Tage". Im Selbstverständnis eines Volkes und Staates spielen bestimmte Faktoren eine Rolle. Auch für Österreich hat es zu- und abnehmende Perioden gegeben. Das große Österreich hat sich mit Masse sehr wohl selbst verstanden; das ganz klein gewordene Österreich nach 1918 hat sich partout nicht selbst verstehen wollen, und das neue Österreich nach 1945 hat gelernt, sich zu verstehen, bis zur regelrechten Begeisterung über die neugefundene Identität in den achtziger Jahren, als Umfragen hohe 80 Prozent Zustimmung zum Begriff der österreichischen Nation feststellten; und jetzt wieder Abnahme ...

dieFurche: ... Jetzt wieder Abnahme? In Richtung Europa?

Rauchensteiner: Es bröselt doch ein bißchen ab. Was ist ausschlaggebend dafür? Europa an sich wohl kaum. Ich würde sehr wohl die Neutralität als identitätsbildend ansehen.

dieFurche: Sehen Sie darin nicht ein Abnehmen der Wertigkeit des Nationsbegriffs?

Rauchensteiner: Wir leben in einer Zeit, in der - unvorhergesehen - der Nationalismus um uns hochbrandet, gerade jene Nationalismen, die uns keine Freude bereiten, nicht nur auf dem Balkan. Hier kommt jene notwendige Unterscheidung ins Spiel zwischen Nation, nationalem Selbstverständnis und Nationalismus. Der birgt zweifellos eine bedeutende Aggressivität in sich, er zeigt massive Ausgrenzungstendenzen, die die Nation an sich nicht haben muß.

dieFurche: Ich erinnere mich an die Bonner Diskussion anläßlich der Planung eines Museums für deutsche Geschichte in Berlin, wobei natürlich der österreichische Raum mit einbezogen war, weil er Jahrhunderte zum größeren deutschen Raum gehörte.

Rauchensteiner: Das war eine außerordentlich interessante, auch wichtige Diskussion, wobei die Diskutanten nach beiderlei Richtung hin- und hergerissen waren. Auf der einen Seite hat man sich sagen müssen, in einem deutschen historischen Museum Österreich mitzubehandeln, das schaut nach Einvernahme aus. Es auszusparen und zu sagen, Österreich hat mit der deutschen Geschichte nichts zu tun, wurde im selben Atemzug als falsch empfunden.

dieFurche: Wenn Sie sagen "österreichische Geschichte": Österreich hat im Lauf seiner Geschichte weit über die heutigen Grenzen hinausgereicht. Wie weit ziehen Sie diese Gebiete mit ein? Wie weit glauben Sie, daß man sie ausklammern kann?

Rauchensteiner: Wir haben dieses Haus so zu sehen, daß es wie kein anderes deutlich machen kann, wie Macht gewonnen und erhalten wird und wieder verloren geht. Damit reicht es weit über den rein militärischen Bereich ins Politische. Das Museum bezieht jene Territorien mit ein, auf denen das historische Österreich eine Rolle gespielt hat, so oder so, wo wir die Möglichkeiten der Darstellung haben: etwa die österreichischen Niederlande, die Auseinandersetzung mit Frankreich, die Kämpfe gegen das Osmanische Reich. Überall dorthin, wo sich die Macht hat ausdehnen lassen und später wieder verschwunden ist, erstreckt sich historiographisch der "weiße Stock" des Historikers, der in das Territorium eindringt und sagt, ich bin ein bißchen blind und hoffe, sehend zu werden.

dieFurche: Ein Beispiel dafür?

Rauchensteiner: 1683 - die Entscheidung vor der Haustür. Dann kann Österreich so weit auf dem Balkan vordringen, daß die Macht des Osmanischen Reichs dort gebrochen wird. Damit wird Österreich eine Balkanmacht, und ist diese ausschließlich, als es 1866 aus dem deutschen Raum hinausgedrängt wird. So ist es vielleicht auch ein bißchen ausgleichende Gerechtigkeit, wenn dieses Österreich 1914 auf dem Balkan untergeht.

dieFurche: Das Nationalmuseum soll aus dem Heeresgeschichtlichen Museum herauswachsen, damit ist die politische Geschichte gegeben. Wie weit wollen Sie Kultur-, Sozial-, Wirtschaftsgeschichte mit einbeziehen?

Rauchensteiner: Das Haus hat schon durch seine Umbenennung 1945 auf "Heeresgeschichtliches Museum" weit über den Militärbereich hinausgehende Aufgaben erhalten. Es ist eines der großen Kunstmuseen mit seiner Bilder- und Graphiksammlung. Nur wird heute anders verfahren als früher. So rücken neue Aspekte ins Bewußtsein. Und wenn wir etwa in der kommenden Ausstellung "Revolution und Diktatur 1918-1945" das Verhältnis von Militär zu den paramilitärischen Verbänden darstellen, sind wir bereits mitten in der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der zwanziger und dreißiger Jahre.

dieFurche: Wann werden Sie über 1945 hinaus vordringen?

Rauchensteiner: Sobald man mich läßt - nur weiß ich noch nicht: wo? Der Zubau wurde mir in die Hand versprochen, für 1996, und auch heute habe ich noch nichts Konkretes - dort genau liegt mein Problem!

Das Gespräch führten Felix Gamillscheg und Heiner Boberski.

Zur Person Offizier und Historiker Als Jahrgang 1942 noch im Krieg geboren, aber nicht mehr von ihm berührt, als Kärntner - geboren in Villach - in der Atmosphäre der Grenzregionen zu Hause, als Einjährig-Freiwilliger nach der Matura in die Reserveoffizierslaufbahn eingetreten - inzwischen Oberleutnant d. R. - und mit militärischen Begriffen vertraut, war - wie Manfried Rauchensteiner selbst betont - sein Werdegang ein "relativ simpler": Nach der Promotion von 1966 bis 1988 in der historischen Forschung, 1975 Habilitierung, damit Verlegung der Forschungs- und Lehrtätigkeit an die Universität. Bekannt sind seine Bücher: Der Tod des Doppeladlers, Krieg in Österreich, Der Sonderfall, Die Zwei. 1988 wurde er Leiter des militärhistorischen Dienstes im Verteidigungsministerium, einer neugeschaffenen Stabsstelle zur Zeit der aufbrechenden Wende im Osten und Südosten. Und schließlich 1992 Direktor des Heeresgeschichtlichen Museums im Arsenal, mit dem er noch große Pläne vorhat.

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