FGM: Barbarei mit Tradition

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Noch immer werden weltweit zwei Millionen Frauen Jahr für Jahr "beschnitten" und leiden ihr Leben lang an den Folgen dieses grausamen Rituals. Doch die Initiativen gegen weibliche Genitalverstümmelung mehren sich.

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Noch immer werden weltweit zwei Millionen Frauen Jahr für Jahr "beschnitten" und leiden ihr Leben lang an den Folgen dieses grausamen Rituals. Doch die Initiativen gegen weibliche Genitalverstümmelung mehren sich.

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Der Fall hatte für Schlagzeilen gesorgt: Anfang November 2000 publizierte "Profil" Ausschnitte aus Gesprächen zwischen einem "beschneidungswilligen" Lockvogel, der 24-jährigen Leila El Rabadi, und dem damaligen Unfallchirurgen Richard L. vom Wiener Krankenhaus SMZ Ost (Sozialmedizinisches Zentrum). Die Passagen förderten Unglaubliches zu Tage: Richard L. wäre zu folgendem Eingriff bereit gewesen: Durchstechen der Klitoris, Entfernen ihrer Vorhaut und der inneren Schamlippen - zum Preis von nur 1.000 Schilling. Und ohne Narkose. Kurz vor dem Operationstermin plagten den Chirurgen noch rechtliche Zweifel. Zu spät: Angesichts erdrückender Beweise wurde gegen L. ein Disziplinarverfahren angestrengt und eine Strafanzeige eingebracht.

Wird weibliche Genitalverstümmelung also nicht nur in 28 afrikanischen Staaten sowie Ländern wie Indien, Pakistan, Peru oder Indonesien, sondern auch in Österreich praktiziert? "Das kann ich ausschließen," stellt der Wiener Gynäkologe Moustafa Eltelby dazu fest und sieht in den Avancen von Richard L. einen "pathologischen Einzelfall." Dass jedoch viele Frauen und Mädchen - in welchem Land auch immer - an ihren Genitalien verstümmelt werden, erlebt Eltelby regelmäßig in seiner Ordination. "Ein bis zwei Mal im Monat kommen betroffene Frauen zu mir. Dazu gehören österreichische Staatsbürgerinnen afrikanischer Herkunft ebenso wie Angehörige von UNO-Mitarbeitern." Die gesundheitlichen Probleme "beschnittener" Frauen reichen von Harnwegsinfektionen über Schmerzen beim Geschlechtsverkehr oder während der Menstruation bis hin zu schweren Komplikationen bei Entbindungen. Die sexuelle Empfindungsfähigkeit ist dahin. Von den seelischen Qualen nicht zu reden.

Wie sich die Tradition der "Frauenbeschneidung" ausbreitete, lässt sich nach Etenesh Hadis, Koordinatorin der Afrikanischen Frauenorganisation in Wien, leicht nachvollziehen: "Die Quelle ist Afrika, aber durch Immigration kommt diese Praxis auch nach Europa oder Amerika." Zwischen 100 und 150 Millionen Frauen sollen weltweit davon betroffen sein. Und das Martyrium hat kein Ende, müssen sich doch pro Jahr zwei Millionen Frauen dieser traumatisierenden Prozedur unterziehen. Für bis zu zehn Prozent davon endet sie tödlich.

Grausame Varianten

Grundsätzlich sind vier Formen zu unterscheiden: Die leichteste Form ist die Zirkumzision, wobei die Vorhaut der Klitoris sowie Teile von ihr entfernt werden. Bei der Exzision wird dann die gesamte Klitoris mitsamt den kleinen Schamlippen entfernt. Noch schwerer ist die Verstümmelung bei der Infibulation, bei der auch Teile der großen Schamlippen entfernt werden und der Genitalbereich bis auf zwei kleine Öffnungen für Harnröhre und Vagina vernäht wird. Diese schlimmste Variante wird in Ländern wie Mali, Ägypten, Somalia und dem Sudan praktiziert, weiß Etenesh Hadis. In ländlichen Gebieten werden noch andere Formen der Genitalverstümmelung vollzogen. Zwischen wenigen Tage und bis zu 18 Jahren sind die Mädchen alt, die der Prozedur zum Opfer fallen - ohne Narkose und oft mit unsterilen Rasierklingen, Messern oder gar Glasscherben ausgeführt. 85 Prozent der Frauen sind es in Äthiopien, 80 Prozent im Sudan, 60 Prozent in Ägypten. Im Land der Pharaonen blickt die "Beschneidung" von Frauen immerhin auf eine 3.000 Jahre alte Geschichte zurück.

Was bleibt, ist die Frage nach dem warum. Eine Ursache der weiblichen Beschneidung liegt nach Rughia Edirs von der Afrikanischen Frauenorganisation Wien im vorherrschenden Schönheitsideal. "In Ländern wie Ägypten, Somalia oder Sudan werden die weiblichen Genitalien als schmutzig und hässlich angesehen." Ein unbeschnittenes Mädchen gilt als unrein. Durch den Eingriff erhöht sich zudem ihr Wert auf dem Heiratsmarkt, repräsentiert doch die Tatsache, "beschnitten" zu sein, Jungfräulichkeit. "Je größer die am Mädchen durchgeführte Operation ist, um so mehr Brautgeld wird für sie bezahlt", so Edirs. Schließlich wird die Genitalverstümmelung von bestimmten Frauen der Gemeinschaft durchgeführt. Ihre Arbeit (und ihr Verdienst) ist nicht mit der ersten Beschneidung vorüber: Hat ein infibuliertes Mädchen geheiratet, muss es geöffnet werden, um den sexuellen Verkehr möglich zu machen. Auch bei der Geburt wird die Beschneiderin benötigt.

Als Folge besserer Ausbildung werden in vielen Ländern nun Beschneidungen vermehrt unter Narkose vorgenommen. Für die Wiener Gynäkologin Schadia Zyadeh-Jinniate eine groteske Entwicklung: "Bei der Medikalisierung dieses Eingriffs wandert er zwar vom Hinterhof ins Spital. Er ist aber grundsätzlich zu verurteilen." Das Gewicht der Tradition wiegt jedenfalls schwer, weiß die Gynäkologin aus eigener Erfahrung: "Im Sudan wurde eine Beschneiderin eingesperrt. Daraufhin hat der ganze Stamm revoltiert und sie musste wieder freigelassen werden."

Ursachen für die Praxis der Beschneidung sehen viele auch in der Religion. "Manche glauben, es ist die muslimische Religion, manche, es ist die christliche. Aber das ist falsch," betont Etenesh Hadis. "Es ist einfach Tradition." Zumindest die religiösen Implikationen der weiblichen Genitalverstümmelung wollen Experten am kommenden Samstag, 29. September, im Rahmen eines Symposiums in Wien klären. Unter dem Titel "Der Einsatz der Religionen für Menschenwürde" diskutieren sie über den Beitrag von Judentum, Christentum, Islam und Hinduismus zur Überwindung der Female Genital Mutilation (FGM). Die Grundposition scheint schon vorab klar, erklärt Petrus Bsteh, Präsident der Weltkonferenz der Religionen für den Frieden: Keine einzige Weltreligion spreche sich dafür aus. Einen Vorwurf kann Petrus Bsteh den religiösen Führern - welcher Provenienz auch immer - jedoch nicht ersparen: "Egal ob die Christen in Äthiopien oder die Muslime im Sudan: Es wird allgemein zu wenig dagegen getan."

Bildungsoffensive

Nötig ist vor allem Bewusstseinsbildung: bei den Frauen in den betroffenen Ländern für das Unrecht, das geschieht; bei den Regierungen, auf die Einhaltung der UNO-Menschenrechtskonvention zu pochen, wonach dieser "Brauch" als menschenrechtswidrig erklärt wird; aber auch bei Österreichs Ärzten, die allzu oft bei Entbindungen beschnittener Frauen auf verlorenem Posten stehen. Um dies zu vermeiden, plant die Afrikanische Frauenorganisation übrigens in Wien und Graz Trainingseinheiten für Mediziner.

Vor allem aber ist die (inter)nationale Rechtslage zu klären. Einen Schritt in die richtige Richtung wagte Österreichs Ministerrat vergangene Woche mit den beschlossenen Änderungen im Strafrecht: Sexuelle Verstümmelung soll demnach künftig explizit als schwere Körperverletzung gewertet werden - auch wenn das Einverständnis der Betroffenen vorliegt. Nun versucht die Afrikanische Frauenorganisation gemeinsam mit SPÖ-Frauensprecherin Barbara Prammer auch in Brüssel dieses Problem zu thematisieren. "Doch bis jetzt", so Prammer, "sind auf europäischer Ebene nur Lippenbekenntnisse passiert."

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