Beben in den Tiroler Bergen

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Am 8. Juni wird in Tirol ein neuer Landtag gewählt. Ganz anders als zuvor in Niederösterreich könnte in Tirol ein Umbruch bevorstehen. Ein Lokalaugenschein in Kufstein.

Früher Morgen am vergangenen Freitag in der Tiroler Stadt Kufstein: Am oberen Stadtplatz wird eine Lautsprecheranlage montiert. Wahlwerber Fritz Dinkhauser soll in Kürze eine Rede halten. Gleich in der Nähe, am Arkadenplatz, wird ein Bauernmarkt aufgebaut. Fragen zu den Landtagswahlen sind zweitrangig, erst müssen die Waren verkauft werden. Eine Umfrage am Arkadenplatz ergibt: Unschlüssigkeit dominiert, man hält sich bedeckt. Die Tendenzen sind gemischt.

Eine deutliche Ansage kommt vom Besitzer eines Standes mit Honigprodukten, Erwin Schwabl: Der ältere Mann will Fritz Dinkausers Bürgerforum wählen. "Damit sich was ändert, etwa beim Transitproblem. Damit die EU nicht immer über uns drüberfährt. Der Dinkhauser setzt was durch." Der jetzige Landeshauptmann Herwig van Staa habe sich einige "Schnitzer" erlaubt. "Da sind wir Tiroler empfindlich." Dass Dinkhauser in Kürze gleich in der Nähe, aber nicht in Sichtweite, auftreten wird, weiß der Dinkhauser-Fan nicht. Er kann nicht weg von seinem Stand.

Er überzeugt und verärgert

Wer eine Hypothese über das Profil des typischen Dinkhauser-Wählers wagen würde - eher alt und männlich -, wird bald eines Besseren belehrt. Am oberen Stadtplatz stehen nun schon einige Menschen und warten auf den Auftritt Dinkhausers: die Menge ist gemischt: Erstwähler sind ebenso dabei wie ältere Damen. Ein ernüchterter "Alt-68er" am Rad, so seine Eigendefinition, will das Informationsmaterial "Wählt's Fritz", das verteilt wird, nicht annehmen. "Ich wähle niemanden, am ehesten noch die Kommunisten", sagt er. "Die Arroganz aller Politiker ist so schlimm." Früher hat er Grün gewählt. Und radelt davon. Zwei Frauen um die 40 loben Dinkhauser als "Mann vom alten Schlag, der Wort hält". Dann kommt der 68-jährige Dinkhauser und legt los. Im Hintergrund seine Frau sowie sein Mitstreiter und Transit-Rebell Fritz Gurgiser. Etwa 150 bis 200 Menschen lauschen seiner Rede, die immer emotionaler wird. "Wir brauchen eine Demokratie von unten rauf und nicht von oben herab. Wir müssen Demokratie wieder spüren", schreit er in die kleine Menge (siehe Interview).

Die Fritz-Euphorie ist kurz und begrenzt, seine Wortgewalt und sein rhetorisches Geschick reißen mit, aber nicht jeden. Eine Bäuerin und Marktfrau verärgert er wenig später sogar. Dinkhauser bleibt zwar an ihrem Stand stehen und gibt ihr die Hand, doch den angebotenen Fisch will er nicht kaufen. Der Fisch könne schlecht werden, da er noch länger unterwegs sei, sagt er und kann sie nicht überzeugen. "Die Politiker wollen immer nur, dass man ihnen was schenkt, kaufen tun sie nichts", ärgert sich die Frau in Tracht: "Er hätte doch wenigstens sagen können, wie schön die Waren sind." Zuvor hat sie sich noch unschlüssig über ihre Stimme gezeigt. Bisher war sie der ÖVP treu. Aber die Geschäfte würden schlechter laufen. Diese Unzufriedenheit sucht einen Schuldigen. Ob sie die ÖVP wieder wählen wird, ist ungewiss, die Liste Dinkhauser wird wohl auch nicht ihr Kreuzerl bekommen.

Ist Fritz Dinkhauser ein kurzlebiges Protestphänomen, an dessen Namen sich bald niemand mehr erinnern wird? Oder der Gründer einer neuen, dauerhaften politischen Reform-Gruppierung? Politikinsider erinnern gerne an den steirischen Ex-Landesrat Georg Hirschmann, der ebenso gegen die Mutterpartei ÖVP antrat, dem in Umfragen ein gutes Ergebnis prognostiziert wurde, der es aber nicht mal in den Landtag schaffte. Dieses Schicksal dürfte Dinkhauser erspart bleiben, meint der Innsbrucker Politologe Ferdinand Karlhofer im Furche-Gespräch. Die Liste Fritz Dinkhauser würde sehr wahrscheinlich in den Landtag einziehen. Sicher sei auch, dass sich die politische Landschaft in Tirol nach der Wahl deutlich verändern werde. "Die ÖVP wird aber trotzdem die mit Abstand stärkste politische Kraft bleiben. Nur wird sie von nun an einen Partner brauchen; die Koalition mit der SPÖ nach der letzten Wahl war nach dem Mandatsstand ja nicht notwendig. Die ÖVP wird auch Konzessionen machen müssen, die sie bisher nicht machen musste." Dinkhauser, der die Medienaufmerksamkeit für sich nutzen konnte, werde aber überschätzt, urteilt Karlhofer. Die anderen Parteien seien in die "Dinkhauser-Falle" getappt, sie schenkten ihm alle zu viel Aufmerksamkeit. Mit konkreten Prognosen hält sich der Politikwissenschafter zurück. Sehr unwahrscheinlich ist laut Karlhofer aber die vielfach ins Spiel gebrachte Ampelkoalition SPÖ-Grüne-Dinkhauser und noch unwahrscheinlicher Dinkhausers fast schon "größenwahnsinniges" Ziel, Landeshauptmann zu werden. Wie stark der Absturz der ÖVP tatsächlich sein wird, sei schwer zu sagen. Im Zweifel würden sich die Menschen eher für Sicherheit entscheiden, für das Bewährte. Darauf setzt auch die ÖVP in ihrer Wahlkampflinie: "Keine Experimente".

Tatsache ist aber, dass Dinkhausers Rebellion mit eigener Liste die ÖVP gehörig ins Schwitzen gebracht hat. Umso schmutziger wird auch der Wahlkampf. So wurden von Seiten der ÖVP und auch SPÖ Vorwürfe gegen Dinkhauser erhoben, zuletzt über angeblich zu hohe Bezüge des vor Kurzem abgetretenen AK-Chefs. Dinkhauser hat diese Vorwürfe als politisch motiviert scharf zurückgewiesen, teilt aber selbst auch aus.

Die Nervosität bei der ÖVP ist begründet: Umfragen deuten ein Debakel an, auch über eine Ablöse von van Staat nach der Wahl wird spekuliert: so könnte etwa Innenminister Günther Platter in sein Heimat-Bundesland zurückkehren. Eine letzte Umfrage der Tiroler Tageszeitung prognostiziert einen Absturz der Tiroler Volkspartei auf 39 Prozent (siehe Grafik, Seite 3). Die SPÖ würde auf 22 Prozent kommen. Die Grünen, die bei der letzten Wahl stark zulegen konnten, auf 16 Prozent, die FPÖ auf neun Prozent. Dinkhauser würde 13 Prozent erreichen.

Woher rührt das gewisse Maß an Unzufriedenheit, das auch bei Gesprächen mit einigen Tirolern in Kufstein deutlich wurde? Die Frage der hohen Lebenshaltungskosten sowie niedrigen Löhne ist laut Karlhofer schwer nur auf Landesebene zu lösen. Die Arbeitsmarktdaten sind grundsätzlich sehr gut, nur der jüngste Job-Abbau in großen Betrieben, wie Swarovski oder Geiger, verunsichern die Tiroler. Für die Teuerung, die von vielen beklagt wird, kann ein Landeschef auch wenig alleine ausrichten. Dennoch kann die ÖVP mit ihrer bisherigen Wohlfühl-Plakatserie mit Kinder- und Landschaftssujets bei manchen Kufsteinern nicht so recht punkten. Die SPÖ tut sich als Koalitionspartner ebenso schwer, ihre Linie "Einkommen rauf. Aber flott" glaubhaft rüberzubringen. Auch die Oppositionsparteien sind in ihrem plakativen Auftritt schwach.

Nicht erfolglos, aber Patzer

Dennoch: Herwig van Staa dürfe man nicht unterschätzen, resümiert Karlhofer: So trat er 2001 kurzfristig gegen den bereits als sicheren Anwärter als Parteiobmann und Landeshauptmann gehandelten Günther Platter an und besiegte ihn. Bei den Wahlen 2003 holte er, wenn auch knapp, die absolute Mehrheit im Landtag zurück. Die schlechten Werte der letzten Jahre rührten von seinem manchmal aufbrausenden Temperament und einigen unüberlegten verbalen Patzern. "Die ihm zugeschriebenen Sager haben sein Image arg ramponiert", so Karlhofer. Auch Dinkhausers Lieblingsthema könne von der ÖVP nur schwer pariert werden, meint der Politologe: die mit dem Bauernbund in Zusammenhang gebrachte Rolle der Agrargemeinschaften in den Gemeinden stößt bei der Bevölkerung auf wenig Verständnis.

Das zeigt sich auch im Gespräch mit einer Trafikantin und deren Kunden. Sie würde zwar zur Wahl gehen, aber ungültig stimmen, sagt die Frau mittleren Alters. Aber hingehen müsse sie, denn bei der letzten Landtagswahl, mit 40 Prozent Nichtwählern, habe es nach der Wahl geheißen: Wer zuhause geblieben ist, der war zufrieden. Nein, das Signal wolle sie diesmal nicht geben.

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