Beckham, Flankengott

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Fußball zwischen Kommerzialisierung und Vergötzung.

Es gibt diese magischen Momente im Fußball, wo ein Tor förmlich in der Luft liegt, wo alle fühlen: Jetzt passiert es! - Und dann fällt es, das erlösende Tor, ein Schrei, wie aus einem Mund, wo jeder vergisst, was über und unter ihm oder ihr ist. "Fußball leert den Kopf. Radikal und komplett. [...] Für neunzig Minuten gibt es kein Grübeln und keine Gedanken, die über das Spiel hinausgehen. Neben der leichten, schwebenden Leere ist nur noch für ganz einfache Fragen Platz. Wird er seinen Gegenspieler umdrippeln? Wird die Flanke präzise genug sein? Wird der Kopfball im Tor landen? [...] In einem Fußballspiel kann ich versinken." So meditiert der Journalist Christoph Biermann über den Fußball - und doch führt der Fußball über sich hinaus.

Moment der Transzendenz

Ein Phänomen, das auch Salman Rushdie kennt. In einem Interview zu seinem Roman "Der Boden unter den Füßen" erklärt er einem Reporter: "Gestern war ich im Wembley-Stadion, um das Pokalspiel zu sehen. [...] Da ist dieser Moment, der nur in einem riesigen Stadion mit 80.000 Fans entstehen kann. Da kommt eine phantastische, gemeinsame Erfüllung von Lust zum Ausdruck, weil alle Menschen gleichzeitig ihre Hoffnungen in diese elf Leute auf dem Feld setzen. Für einen Moment fühlen alle Leute dasselbe zur selben Zeit. Das ist extrem selten."

Im Fußball und in der Musik gibt es diese Momente der Selbsttranszendenz für eine kurze Zeit, die Frage ist nun, ob nicht Religiöses in diese Bereiche auswandert, wenn es auch nur für sehr beschränkte Zeit als ein Transzendieren erfahren werden kann.

Und da kann der Fußball wirklich oft ein Überschreiten der Grenzen bewirken. Im Film "Kick it like Beckham" - einem bezaubernden Film an der Grenzlinie zwischen indischer und europäisch-englischer Kultur - strebt das indische Mädchen Jess danach, so zu sein wie David Beckham, so präzise flanken und schießen zu können. Dieser "Wunderschuss", abgezirkelt wie ein Freistoß von Beckham, gelingt ihr denn auch beim entscheidenden Endspiel, das sie während des Hochzeitsfestes ihrer Schwester absolviert, und damit entscheidet sie das Match.

Spieler als Konsumartikel

In diesem Hinausgehen liegt die Chance. Problematisch wird es aber dann, wenn eine Vergötzung des "Flankengottes" erfolgt, die nicht in erster Linie an den fußballerischen Qualitäten anknüpft, sondern die den "Konsumartikel" Beckham in seinem androgynen Äußeren und seinem durch ein Spicegirl besetzten Inneren zum Ziele hat. Als Götze steht dann der Fußball der Kommerzialisierung offen. Damit ist Fußball nicht mehr eine prickelnde Beigabe des Lebens, sondern wird vielmehr zu einem "Würgegriff für das Ganze des Lebens, der dann beispielsweise keinen Platz für menschenwürdigen Umgang mit dem Gegner, für Anerkennung der Leistung des Gegners oder eine Entscheidung des Schiedsrichters gegen die eigene Mannschaft mehr lässt. Aufgabe der Ethik ist es, Perspektiven auf das Ganze des menschlichen Lebens offen zu halten, die in der Vergötzung verschlossen werden, wie sie sich an der Umformulierung des Vaterunsers zu einem "Schalke unser" zeigt. Dieses lautet dann so:

"Schalke unser im Himmel / Du bist die auserkorene Mannschaft / verteidigt werde Dein Name / Dein Sieg komme / wie zuhause so auch auswärts / Unseren üblichen Heimsieg gib uns immer / und gib uns das "Zu Null" / so wie wir Dir geben die Unterstützung / und niemals vergib denen aus der Nähe von Lüdenscheid (Borussia Dortmund, Anm. d. Red.) / wie auch wir ihnen niemals vergeben werden / und führe uns stets ins Finale / denn Dein ist der Sieg und die Macht und die Meisterschaft, in Ewigkeit / Attacke!"

Der Ball ist rund

Wenn die wichtigste Nebensache der Welt durch Vergötzung oder durch Kommerzialisierung zur Hauptsache wird, dann bleiben die daran beteiligten Menschen auf der Strecke und die Werte, die man über das Fußballspiel vermitteln kann, werden in das Gegenteil verwandelt. Und man kann vom Fußballspiel lernen:

* dass wir im Leben Spiel brauchen;

* dass die Eigeninteressen am menschenwürdigsten dann gefördert werden, wenn sie mannschaftsdienlich ausgestaltet sind;

* dass Gerechtigkeit immer an Grenzen stößt, dass im Fußball vergangene Siege und Niederlagen für das aktuelle Spiel keine Bedeutung haben;

* dass nicht alles machbar ist, denn nach dem philosophischen Diktum von Sepp Herberger ist ja der Ball rund, was besagen will, dass sein Verhalten und auch das der mit ihm Umgehenden nie letztgültig berechnet und kontrolliert werden kann,

* dass im Letzten alle Theorie grau ist - "Entscheidend is aufn Platz";

* dass man nur ganz bei sich ist, wenn man außer seiner selbst ist.

Auf diese Momente will ich nicht verzichten. Ich möchte den Ball ins Tor zirkeln können wie Beckham, der dem Ball seinen Willen, manchmal auch scheinbar gegen physikalische Gesetze, aufzwingt - aber ich möchte nicht sein wie er.

Der Autor ist Professor für Ethik und Gesellschaftslehre an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Graz.

BUCHTIPP:

FUSSBALL UND MEHR...

Ethische Aspekte eines Massenphänomens

Von David Neuhold und Leopold Neuhold

(Hg.; Theologie im kulturellen Dialog 11)

Tyrolia Verlag, Innsbruck/Wien 2003. 334 Seiten, brosch., e 24,-

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