Begegnung am Wechsel

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Anhänger verschiedenster Religionen treffen sich im "Haus der Quelle" im steirischen Wechselgebiet zu Stille, Meditation - und zum Dialog.

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Anhänger verschiedenster Religionen treffen sich im "Haus der Quelle" im steirischen Wechselgebiet zu Stille, Meditation - und zum Dialog.

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Alle Traditionen stimmen darin überein, dass die ,Letzte Wahrheit', Gott - was auch immer sein Name sein mag - die Quelle allen Lebens ist. Diese ,Letzte Wahrheit' ist der Ursprung allen Lebens. Deshalb haben wir den Namen der Quelle gewählt. Hierher kommen wir zurück, um Gott zu erfahren."

Die englische Ordensschwester Ishpriya heißt eigentlich Patricia Kinsey und gehört der internationalen Kongregation des Sacre Coeur an. Sie ist "eine Europäerin im Sari". 1971 ging sie - kurz vor den ewigen Gelübden - für sechs Monate nach Indien; mittlerweile sind fast 30 Jahre daraus geworden. Ishpriya heißt übersetzt "die von Gott geliebte". Ihre erste Zeit in Indien, als sie mit katholischen und anglikanischen Nonnen gemeinsam mit einigen Hindus einen Ashram wiederbelebte, hat sie tief geprägt.

Äußerlichkeiten wie der Sari, die leise Stimme und die sanfte Gestik machen den Einfluss Indiens sichtbar. Aber auch Schwester Ishpriyas Spiritualität ist geprägt von indischen Einflüssen. "Es waren Begegnungen vor allem mit dem Hinduismus, aber auch mit dem Buddhismus, die zur Bereicherung meiner persönlichen Spiritualität beigetragen haben. Sie haben meine christliche Tradition jedoch weder entwurzelt noch ersetzt, sondern bereichert."

Gemeinsame Suche Das verständnisvolle Nebeneinander der Religionen ist zum zentralen Punkt für sie geworden und ist auch das Hauptanliegen der "Sat-Sang-Bewegung". Die "Gemeinschaft derer, die die Wahrheit sucht" gründet sich auf eine Initiative von Schwester Ishpriya. Für die mittlerweile auf der ganzen Welt verstreuten Mitglieder der Bewegung suchte sie ein Haus im Herzen Europas, idealerweise an der Grenze zum ehemaligen Ostblock. Nach Jahren des Suchens hat sie - gemeinsam mit Schwester Gitti Linhardt vom Sacre Coeur in Graz - im steirischen Wechselgebiet nach der Ortschaft Thalberg das Richtige gefunden. Das alte Haus am Waldrand mit wunderschönem Blick ins Tal war früher ein Gasthaus - und damit schon damals Kommunikationszentrum. "Eigentlich hat sich nicht viel geändert", sagt Schwester Ishpriya mit einem verschmitzten Lächeln.

"Interfaith-satsangs" nennt sie die von ihr organisierten Begegnungen zwischen den Religionen. "Gäste" im herkömmlichen Sinn gibt es nicht; jeder, der kommt, wird für die Zeit seines Aufenthalts Teil der Gemeinschaft. Meditation und Gespräche, aber auch Zeit für Stille, Spaziergänge und gemeinsame Arbeit in Haus und Garten stehen auf dem Programm. Pro Meeting sind es meist um die 14 Personen, die sich für mehrere Tage in der "Quelle" treffen. Christen, Hindus, Buddhisten, Sikhs, Moslems, Juden: Die Zusammensetzung ist immer verschieden. Das ungeschriebene Gesetz der Sat-Sang-Bewegung fördert das Gespräch, das Zuhören - und den Respekt voreinander. Es exkludiert von vornherein jeglichen Bekehrungsversuch.

"Ich bin Sikh. Das ist mein Glaube, und ich bin davon überzeugt, dass ich in diesen Glauben hineingeboren wurde, weil Gott wollte, dass ich Sikh bin. Auch wenn ich andere Menschen treffe und mich auf sie einlasse, bleibe ich als Sikh intakt. Es ist, wie wenn man eine Blüte auf eine Schale mit Wasser legt: Sie wird auf dem Wasser schwimmen ohne unterzugehen. Bei mir ist es auch so. Nur, dass ich bei jeder Begegnung dazulerne." Narinda Singh ist Inder. Er wurde in Kenia geboren und arbeitet seit vielen Jahren als Labortechniker in London. Er ist einer der Teilnehmer am "Interfaith-Meeting" in der "Quelle".

Neue Horizonte Dieses Haus ist ein Ort der Stille und der Meditation - und ein Ort der Begegnung für Menschen aller Religionen und Nationalitäten. Durch die Konfrontation mit Vertretern anderer Religionen kommt es zu einer Erweiterung des eigenen Horizonts. Daraus ergibt sich eine größere Toleranz und der "positive Nebeneffekt", dass man sich aktiver mit dem eigenen Glauben auseinandersetzt.

"Käfig des Herzens" Zentrum des Hauses ist der Meditationsraum, "the cave of the heart". "Das ist ein Ausdruck, den wir vom Hinduismus übernommen haben", erklärt Schwester Ishpriya. "Unser Innerstes, das ist, wo Gott wohnt. ,The cave of the heart' ist der Platz, wo wir zu jeder Tages- und Nachtzeit durch Stille und Meditation Gott erfahren können." Im grauen Steingewölbe war früher der Weinkeller. In die Wand ist ein Tabernakel eingelassen, davor steht eine Ikone. Eine Abbildung der berühmten russischen Ikone von den drei Besuchern bei Abraham - gleichzeitig ein Symbol der Trinität. Schwester Ishpriya erklärt, dass diese Ikone ganz bewusst ausgewählt wurde, weil der Islam, das Judentum und das Christentum auch in Abraham ihre Wurzeln haben. "Es ist eine Gemeinsamkeit dieser drei Traditionen: Wir haben versucht, eine Sprache zu finden, die der spirituellen Realität aller Religionen entspricht und nicht speziell nur aus einer Tradition kommt."

So ist alles in der "Quelle", jede Einzelheit, auf Schwester Ishpriyas zentralen Punkt ihres Lebenswerkes ausgerichtet: den Dialog der Weltreligionen. Rita Szentistvany ist eine Nonne des Sacre Coeur aus Ungarn. Die Mitarbeiterin der Religionsabteilung einer TV-Station hat in ihrem Heimatland wenig Möglichkeiten, Menschen aus anderen Kulturen und Religionen zu treffen. Daher sind die Tage in der "Quelle" für sie etwas Spezielles.

Daschen Satchdef ist eine weitere Teilnehmerin dieses Meetings. Die zierliche Inderin ist aus London angereist. Geboren wurde die Mitarbeiterin eines Kinderhilfswerks in Delhi, als sie 13 war, zogen ihre Eltern in die Hauptstadt des Commonwealth. Daschen Satchdef ist Hindi. "Wir sprechen doch alle vom gleichen Gott. Wir alle gehen unseren eigenen Weg, der von unserer Umgebung, unserer Erziehung geprägt ist. Aber es ist derselbe Gott. Vielleicht hat er unterschiedliche Namen - aber er ist derselbe. Den einzig wahren Weg gibt es nicht. Das ist der wichtigste Aspekt, wenn man Menschen aus anderen Religionen trifft."

Keine Euphorie Schwester Ishpriya wirkt zwar auf den ersten Blick sanft, wird aber von einem feurigen Eifer gepackt, wenn es um den wichtigsten Aspekt in ihrem Leben geht: den Dialog der Religionen. "Es ist eine schwierige Aufgabe, und wir müssen realistisch sein und dürfen nicht unrealistisch euphorisch werden. Wenn wir uns die Welt anschauen, das Leid und die Probleme, dann merken wir, dass das Miteinander aller Traditionen ein dringliches Anliegen ist. Keine einzelne Tradition oder Glaubensgemeinschaft kann die Welt alleine verbessern."

Kontaktadresse: Sr. Gitti Linhart, "Sat-Sang", Schörgelgasse 58, 8010 Graz, Tel. 0316/82 40 49

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