Beharren auf der Wahrheit

Werbung
Werbung
Werbung

Vulkanasche am europäischen Himmel verhinderte, dass Samdhong Rinpoche, Premierminister der tibetischen Exilregierung, nach Wien reiste. Seine Botschaft ist jedoch angekommen.

Mahatma Gandhi ist ihm Vorbild und Inspiration: „Satya (Wahrheit) verbunden mit Ahimsa (Gewaltlosigkeit) wird Dir die Welt zu Füßen legen. Satyagraha ist im Wesen nichts anderes als die Einbringung von Wahrheit und Sanftmut in das Politische, das heißt in das Leben der Nation.“

Samdhong Rinpoche, Premierminister der tibetischen Exilregierung im indischen Dharmshala, hat Gandhis „Beharren auf der Wahrheit“-Konzept übernommen und für die Situation Tibets adaptiert. Auf gut 20 Maschinschreibseiten beschreibt der Mönchpolitiker in seinem spirituell-politischem Memorandum „Satyagraha“ den präzisen Plan für eine gewaltlose Bewegung, mit der die Tibeterinnen und Tibeter die Freiheit ihres Landes zurückgewinnen. In einem Interview mit dem Schweizer Tages-Anzeiger zeigte sich Rinpoche einmal überzeugt, dass der Weg Gandhis auch für Tibet zum Erfolg führt: „Er funktioniert, aber nur wenn ihn die große Mehrheit der Tibeter geht. In unseren Herzen ist noch zu viel Wut. Die andere Seite wendet Gewalt an. Sie provoziert uns. Unser Ärger ist unsere Schwäche.“

Zurückhaltung unter Österreichs Politikern

Diese Woche wollte der tibetische Premier nach Wien kommen, über die politische Zukunft Tibets, über Satyagraha, über die Stärken, Schwächen und Chancen der tibetischen Freiheitsbewegung und vieles mehr informieren. Sowohl Außenminister Michael Spindelegger als auch Nationalratspräsidentin Barbara Prammer hatten es zwar abgelehnt, den hohen tibetischen Gast zu empfangen. Tseten Zöchbauer, Exil-Tibeterin in Österreich, unerschrockene Kämpferin für ein freies Tibet und eine der Organisatorinnen des Premier-Besuchs erklärte die Zurückhaltung der österreichischen Spitzenpolitiker damit, dass „die chinesische Botschaft von Österreich absolute Loyalität erwartet, was Tibet betrifft“. Solidarität mit der tibetischen Freiheitsbewegung hätten jedoch zweifellos die zahlreichen Besucherinnen und Besucher der geplanten Vorträge von Samdhong Rinpoche in Wien gezeigt.

Leider konnte es dazu nicht kommen – die isländische Vulkanasche im europäischen Luftraum vereitelte das Kommen des Premiers nach Österreich. Und damit ein Interview der FURCHE mit ihm. Schade!

Ein Porträt Samdhong Rinpoches, die Vorstellung seiner Ideen und die Arbeit der von ihm geleiteten tibetischen Exilregierung ist jedoch unabhängig von Vulkanausbrüchen und Flughafenschließungen möglich – und notwendig. Denn obwohl in der internationalen Öffentlichkeit wenig bekannt, ist Samdhong Rinpoche neben und nach dem Dalai Lama der entscheidende Kopf des tibetischen Widerstands.

Samdhong Rinpoche ist um vier Jahre jünger als der Dalai Lama. Am 5. November 1939 wurde er als Lobsang Tendzin im osttibetischen Jol geboren. Mit fünf Jahren haben ihn tibetische Geistliche als Reinkarnation des 4. Samdhong Rinpoche erkannt. Seither ist er der 5. Samdhong Rinpoche. Nach seiner Ausbildung in Lhasa floh er 1959 ins indische Exil, wo er tibetische Schulen und später das als Universität anerkannte Zentrale Institut für Höhere Tibetische Studien in Varanasi leitete. Seit 2001 ist der hochgelehrte Lama der erste demokratisch gewählte tibetische Regierungschef. Über 90 Prozent der rund 135.000 stimmberechtigten Exiltibeter haben ihn in einer weltweiten Wahl zum Premierminister gewählt. Als „Kalön Tripa“ steht er einer Regierung aus acht Ministern vor, die vom Exilparlament aus 46 Mitgliedern gewählt werden.

Die Exilregierung unterhält Schulen, ein Gesundheitswesen, organisiert kulturelle Veranstaltungen und das wirtschaftliche Wachstum der tibetischen Exilgemeinschaft Indiens. Durch die Erlaubnis der indischen Regierung hat die tibetische Exilregierung auch eine eigene Rechtsprechung für die Tibeter in Nordindien.

Während die Tibeter ihr Staatsoberhaupt, den Dalai Lama lieben und verehren, heißt es in Gesprächen mit Exiltibetern, achten und fürchten sie Samdhong Rinpoche. Der Premier ist für seine mitunter harsche Kritik an den Landsleuten bekannt. Unerbittlich geißelt er sie für ihren zu laschen oder luxuriösen Lebenswandel oder stellt Exiltibeter an den Pranger, die in der Fremde ihren Kindern nicht genug Kenntnisse der tibetischen Sprache und Kultur beibringen.

Aber auch seine Mönchsbrüder sind vor harscher Kritik des Mönchpolitikers nicht gefeit. In einem Gespräch mit einer Vertreterin des Tibetischen Zentrums in Deutschland auf die Situation in den tibetischen Klöstern im Exil angesprochen, antwortet Samdhong Rinpoche: „Im indischen Exil gibt es viele Ablenkungen, und vielfach geht es den Mönchen darum, Geld zu verdienen. Viele durchlaufen in Eile ihr Studium und legen schnell die Geshe-Prüfung ab, damit sie danach in den Westen gehen können, um Geld zu verdienen. Sie erreichen nicht die Tiefe wie früher. Mönche, die weltliche Dinge begehren wie Vergnügen und Geld, sind nur künstliche Mönche. Die money monks sind zufrieden damit, Geld zu verdienen, und das ist sehr bedauernswert.“

Tibetische Schuld am Verlust der Freiheit

In einem solchen auf die eigenen Vorteile bedachten Verhalten sieht Samdhong Rinpoche auch die tiefere Ursache für die chinesische Invasion Tibets vor bald 60 Jahren: „Die Mehrzahl unserer politischen und gesellschaftlichen Führer war in unmoralische Praktiken verstrickt und trachtete nur danach, ihre eigenen selbstischen Interessen wahrzunehmen. Das führte dazu, dass viele der Bürger Tibets ihr Vertrauen, ihre Liebe und Begeisterung für ihr Land und ihre Regierung verloren.“ Und der Premier kommt zum Schluss: „Wenn man sorgfältig über diese Probleme nachdenkt, dann begreift man, dass an dem Verlust der Unabhängigkeit Tibets weitgehend die Umstände in Tibet selbst schuld waren, und die Überwältigung durch eine fremde Militärmacht nur noch den Schlussstrich setzte.“

Als Ausweg sieht der Premierminister allein das Engagement aller Tibeter „mit vereintem Herz und Gemüt mutig in einer Satyagraha-Bewegung“. Und dabei ist Eile geboten, denn Samdhong Rinpoche sagte schon vor Jahren: „Time is running out.“ Denn mit jedem Tag, der vergeht, wird irreparabler Schaden in Tibet verursacht, beklagt der Mönchpolitiker: „Aber dies trifft nicht nur auf Tibet zu, sondern auch auf China selbst. Wenn sie nicht in der Lage sind, das Tibetproblem schnell und innerhalb der Lebenszeit des Dalai Lama zu lösen, wird ihnen der Tibetkonflikt entgleiten, und es wird immer schwieriger werden, ihn zu lösen, mindestens für die nächsten 100 Jahre.“

Für den Dalai Lama selbst gibt es bei der derzeitigen chinesischen Führung jedoch „wenig Hoffnung, dass bald ein Ergebnis erzielt wird“. Dennoch, so der Dalai Lama, solle der Dialog fortgesetzt werden. „Es wird eine Zeit kommen, in der die Wahrheit siegen wird. Deswegen ist es wichtig, dass jeder geduldig bleibt und nicht aufgibt.“ Und Samdhong Rinpoche zitiert Mahatma Gandhi: „Bei jedem großen Werk ist es nicht die Zahl der Kämpfer, die zählt, sondern das Holz, aus dem sie geschnitzt sind, ist der entscheidende Faktor.“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung