Behutsam nahe

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In seinem neuen Buch erweist Egon Kapellari, Bischof von Gurk, den Dichtern seine Reverenz - ohne sie "katholisch" zu machen.

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In seinem neuen Buch erweist Egon Kapellari, Bischof von Gurk, den Dichtern seine Reverenz - ohne sie "katholisch" zu machen.

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Das war mein Leben, Gott, vergiß das nicht! / ich werde niemals wieder eines haben ... Egon Kapellari nimmt diese Zeilen aus einem Gedicht der Kärntnerin Christine Lavant, um von der Sehnsucht und Bitterkeit zu erzählen, die diese Dichterin zeitlebens umgetrieben hat: Nur einmal noch - bevor sie mich begraben - / laß mich im Traum ein Fünklein Liebe haben. Kapellari verweist bei diesen Worten Lavants auf den Philosophen Ferdinand Ebner, der auf seinen Grabstein schreiben ließ, "er habe nach langem Suchen und Leiden begriffen, dass Gott Liebe ist". Kapellari fügt dann hinzu: "Der Chris-tine Lavant war dieses Begreifen in der bitteren Zeit ihrer Pilgerschaft, die 1973 zu Ende ging, nicht oder kaum geschenkt."

Es gibt - im Raum der katholischen Kirche - kaum die breite Rezeption dichterischen Worts und wenn, dann meistens nur vereinnahmend. Der Kärntner Bischof Egon Kapellari steht für einen anderen - demütig-behutsamen - Zugang zur Wortkraft der Dichter, die den Christen in punkto Sprache viel lehren können. In seinem jüngsten Buch "Aber Bleibendes stiften die Dichter" hat Kapellari 80 kurze Texte zu Gedichten oder Gedichtzeilen gesammelt, einen Teil davon hat er ursprünglich für die Ö1-Morgenmeditation "Gedanken für den Tag" verfasst.

Den kleineren Teil des Buches widmet der Bischof älteren Großmeistern deutscher Lyrik: Matthias Claudius, Annette von Droste-Hülshoff, Hölderlin, Eichendorff, Mörike und dem Breslauer Dichter Johannes Scheffler, der als "Angelus Silesius" (Bote, Engel aus Schlesien) in die Literatur- und die Kirchengeschichte eingegangen ist.

Das Gros der bischöflichen Zugänge zur Dichtung machen aber Gestalten des 20. Jahrunderts aus - Trakl, dann Rilke, Bergengruen, Gertrud von Le Fort, Konrad Weiß, der Kärntner Politiker und Dichter Guido Zernatto, der heute 67-jährige Reiner Kunze.

Intensiv befasst sich Kapellari mit jüdischen Autoren, die durch die Schoa stark geprägt wurden, und deren Werk vom Ringen mit Gott zeugt: An den langen Tischen der Zeit zechen die Krüge Gottes - an diesem Vers Paul Celans entfaltet Kapellari dies. Dann die Auseinandersetzung mit dem Wort, wie sie Hilde Domin im Exil beginnt: Besser ein Messer als ein Wort. / Ein Messer kann stumpf sein. / Ein Messer trifft oft / am Herzen vorbei. / Nicht das Wort ... (Auch die Christin Marie Luise Kaschnitz wird von Kapellari in der Konfrontation mit Sprache zitiert: Zeile für Zeile / Meine eigene Wüste / Zeile für Zeile / Mein Paradies.)

Nelly Sachs, der jüdischen Literaturnobelpreisträgerin, die durchs Schicksal ihres Volkes gebrochen wurde, sind gleich sieben Kapellari-Texte gewidmet. So kehrt der Bischof "das ewige Thema des Heimat-Suchens" in den Gedichten der Sachs hervor: Wir Wandernde / Unsere Wege ziehen wie als Gepäck hinter uns her - zitiert Kapellari den Beginn des Gedichts Chor der Wandernden.

An den Beginn des Buches stellt der Bischof Texte zur Kärntnerin Ingeborg Bachmann. Schon in der Predigt bei seiner Bischofsweihe 1981 hatte Kapellari ein Bachmann-Gedicht zitiert. Auch im Buch nähert er sich der schwierigen Autorin, die 1973 so tragisch zu Tode kam, achtsam und ganz ohne den Gluckenmantel kirchlicher Vereinnahmung. So schreibt er zum Bachmann-Vers In die Mulde meiner Stummheit leg ein Wort: "Die Dichterin spricht vermutlich nichts Göttliches oder gar einen personalen Gott an, sondern sehnt sich nach einer geglückten Beziehung zu einem Menschen. Sie bittet einen solchen Menschen und nicht Gott um ein Wort. Ihr Gedicht steht aber wie alle Dichtung auch religiös Glaubenden offen."

Aber bleibendes stiften die Dichter. Gedanken für den Tag.

Von Egon Kapellari. Verlag Styria, Graz 2001. 216 Seiten, geb., öS 248,-/ e 18,02

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