Werbung
Werbung
Werbung

Die schöne neue Moschee ist meist das Anliegen der Islamisten, meint Bassam Tibi

Der Fremde, der Ausländer im Land, und die Reaktionen auf seine Anwesenheit, sind in den letzten Jahrzehnten im einen Land leise, im anderen mit ständigem Krach, zu einem der beunruhigendsten Probleme unserer europäischen Gesellschaften geworden. Die deutschen Politiker aller Richtungen stehen zwar mit verschiedenen Haltungen, doch deshalb nicht weniger ratlos da. Lösungsversuche werden periodisch angeboten, doch die Patentrezepte versagten allesamt angesichts einer immer komplexer werdenden Entwicklung. Richtig mit einem Gefühl der Erleichterung liest man daher das neue Buch von Bassam Tibi: "Islamische Zuwanderung. Die gescheiterte Integration". Erster Gedanke: Endlich wagt es einer, die Dinge beim Namen zu nennen.

Sicher hat der Autor den Vorteil, durch seine Lebensgeschichte intim mit zwei Kulturen vertraut zu sein. Er wuchs in Damaskus auf und setzte sein Studium nach dem Abitur in Deutschland fort. Heute ist er begehrter Diskussionspartner in vielen Teilen der Welt. Doch ist er der seltene Fall eines Mannes, der allem Unverständnis und allen giftigen Anfeindungen in Deutschland zum Trotz nicht resigniert. Er hält sich an seine persönlichen Erfahrungen und an die Schlüsse, die er daraus zog: "Menschen aus verschiedenen Kulturen ... haben eine verschiedene Sicht der Welt, weil sie jeweils andere Normen und Werte haben. Durch Predigten ... dass wir alle Menschen sind, verschwindet kein Wertekonflikt".

Aus diesem einfachen Satz sollten sich in der Tat Schlüsse ziehen lassen, die bei einigem guten Willen zu Lösungen für das Problem der Zuwanderung führen. Damit sind wir bereits bei einer weiteren Definition Tibis, die Klarheit schafft. Deutschland ist, wie die EU insgesamt, kein Ein-, sondern ein Zuwanderungsland. Es sollte aber ein Einwanderungsland werden: "Europa hat das Recht, seine Einwanderer nach einem Migrationskonzept auszusuchen."

Die Zuwanderer der letzten Jahrzehnte sind jetzt jedenfalls in den europäischen Ländern, daher geht es vorerst um ihre Integration. Die Herausforderung besteht in der "Integration der Zuwanderer im Sinne ihrer Transformation zu Bürgern". Das bedeute, meint Tibi, weit mehr, als einen deutschen Pass zu besitzen und deutsch zu sprechen. Es gehe um eine echte Integration und darum, wie diese zu bewerkstelligen sei.

Dabei schleppt jede Ausprägung der gemeinsamen europäischen Kultur ihre eigenen Altlasten im Verhältnis zum Fremden mit und muss sie wohl oder übel überwinden. Im deutschsprachigen Raum muss man noch immer mit dem Rassismus der Nazizeit fertig werden. Die Angst, in diese Haltung zurückzufallen, spielt vielen üble Streiche. Bei ihnen finden sich Tibis Gegner, die politisch Korrekten, die keine Rassisten und zu den Ausländern gut sein wollen. Leider, meint Tibi, handeln sie irrational und sehen nicht den Beelzebub, der im Schafspelz daherkommt. Im oberösterreichischen Freistadt läuft gegenwärtig eine dieser typischen Auseinandersetzungen. Es gibt dort in einem einstigen Bauernhof eine Moschee, die zur Zufriedenheit aller funktioniert. Doch nun wollen die dortigen Türken eine neue Moschee bauen, mit Kindergarten und islamischer Schulung für die Kinder bis zu den Erwachsenen, einschließlich Subvention durch den Staat als anerkannte Religion. Meist ist es eine kleine Gruppe, die ein solches Projekt vorantreibt. Die anderen Türken wagen aber nicht, einem so frommen Ziel entgegenzutreten. Der Stadtverwaltung gegenüber geben sich die Islamisten als schlichte fromme Menschen, die nur ihre demokratischen Rechte beanspruchen. Dass Demokratie von den Islamisten zur Häresie erklärt wurde, sagen sie nicht. In ihrer Sicht kann nur Gott bestimmen, nicht der Mensch als Wähler.

Vor solchen Projekten warnt Bassam Tibi. Der Islam könne, ebenso wie schließlch auch das Christentum, demokratisch oder totalitär interpretiert werden. Es gebe viele Richtungen im Islam, an denen man diese Vielfalt beobachten könne, aber keine allgemeingültige Kirche. Für heimische Politiker scheint es praktisch zu sein, mit einem offiziellen Partner, einer "Kirche" zu verhandeln. Damit arbeiten sie aber den Islamisten in die Hände, einer kleinen Minderheit. Nach Tibis Erfahrungen sollten muslimische Kinder vielmehr mit den Nachbarkindern in die Schule gehen und damit befähigt werden, sich in die Gesellschaft, in der sie leben, zu integrieren. Das hieße keineswegs, den Glauben aufzugeben.

Die Islamisten in Deutschland sind nicht an einer Integration der Muslime interessiert, die, in Freistadt etwa, bisher gut funktionierte. Ein ähnlich gutes Einvernehmen konnte ich übrigens in anderen ländlichen Gebieten beobachten. Doch die fundamentalistischen islamischen Ideologen sehen in jedem Muslim einen Missionar und in jedem Ort, in dem Muslime wohnen, islamisches Gebiet, das es auszuweiten und zu festigen gilt. Eine Moschee mit Schulung der Kinder im Geiste des Fundamentalismus ist stets der entscheidende Schritt dazu. Tibi steht dagegen für einen demokratischen Islam, der die Werte Europas, also Demokratie, Menschenrechte und Gleichwertigkeit der Frau, sehr wohl einschließt.

Was die Islamisten dagegen anstreben, liefe auf eine ghettoisierte Parallelgesellschaft hinaus, die streng nach ihrer Version der Scharia lebt. Tibi zeigt dies ebenso an europäischen wie auch an Beispielen in Pakistan und anderen muslimischen Ländern. Denn was sie als gottgefälligen Kampf betrachten, gilt ja nicht nur der Invasion neuer Gebiete, sondern auch der Unterwerfung muslimischer Staaten. Bis jetzt hatten nur die Taliban das Ziel der totalitären islamistischen Gesellschaft erreicht und auch das, wie es scheint, nur mit indirekter Hilfe eines westlichen Staates.

Bassam Tibi plädiert für die Entwicklung eines auf demokratischen Grundrechten aufbauenden Zusammenlebens von Muslimen und der europäischen, insbesondere der deutschen "Wertefamilie" im 21. Jahrhundert. Auf dem Weg zu diesem Zusammenleben müssten nicht nur Muslime gehört werden, die schon in diese Richtung arbeiten. Diesen Weg müssten auch die Deutschen gehen. Er erwähnt Frankreich, das hier weit vorangeschritten sei. Bei den toleranteren Normen der lateinischen Völker Europas handelt es sich allerdings um ein römisches Erbe. Wer unsere Leitkultur annimmt, kann Bürger werden, hieß es sinngemäß schon bei den Römern.

Die Protestanten, die ja weitgehend die deutsche Mentalität bestimmten, haben von Anfang an den ethnischen Faktor aus dem Alten Testament übernommen. Daher auch die "Gewissensethik" der Pastoren, die Tibi so oft irritiert. Wie die Nachfolgegenerationen der Naziherrschaft versuchen nach seiner Ansicht auch sie, schlechtes Gewissen zu kompensieren. Es wäre Zeit, betont der Autor, die dadurch entstehende Sinn- und Richtungslosigkeit unserer Gesellschaft endlich zu überwinden. Denn auf der anderen Seite stehen Menschen mit "überhöhtem Zivilisationsbewusstsein", bereit, alle unsere Schwächen auszunützen. "Innerhalb Europas wird eine mit den Migranten zu teilende Leitkultur als Wertekonsens benötigt; außerhalb Europas eine internationale Moralität. Die erste muss europäisch, die zweite kulturübergreifend geprägt sein", formuliert Tibi die Aufgabe.

Beide Seiten müssten also an sich arbeiten. Für Tibi geht es über den politischen Pluralismus hinaus im gegebenen Fall vor allem um den zu erreichenden religiös-kulturellen Pluralismus. Er lehnt Assimilation im Sinne einer Aufgabe der eigenen Wurzeln ab. Integration bedeutet dagegen nicht Aufgabe der Identität, sondern eine Erweiterung unter Anerkennung und Respekt vor des anderen Identität. Dies scheint, wie ergänzend hinzuzufügen wäre, Sufis ebenso wie den alaouitischen und malekitischen Richtungen im Islam nicht allzu schwer zu fallen.

Während im christlichen Europa - unter Schmerzen, muss man allerdings hinzufügen - ein innerchristlicher religiöser Pluralismus entstand, existiere auch im Islam in der Realität genau jene Vielfalt, die von der orthodox-islamischen Weltanschauung verneint und bekämpft wird. Daher stehen die muslimischen Migranten unter dem Druck der orthodoxen Sunniten und vor allem der Islamisten. Auf der anderen Seite müssten aber vorerst die Deutschen selbst Klarheit über ihre kulturelle Identität gewinnen, meint Tibi. Sie können "es nicht den Rechtsradikalen ... überlassen zu sagen, was deutsch ist". Was deutsch ist, sollte dann aber auch nicht mehr ethnisch bestimmt sein, sondern als deutsche Variante der europäischen Wertegemeinschaft.

5 6 7 8 9 200 1 2 3 4 5 6 7 8 9 210 1 2 3 4 5 6 7 8 9 220 1 2 3 4 5 6 7 8 9 230 1 2 3 4 5 6 7 8 9 240 1 2 3 4 5 6 7 8 9 250 1 2 3 4 5 6 7 8 9 260 1 2 3 4 5 6 7 8 9 270 1 2 3 4 5 6 7 8 9 280 1 2 3 4 5 6 7 8 9 290 1 2 3 4 5 6 7 8 9 300 1 2 3 4 5 6 7 8 9 310 1 2 3 4 5 6 7 8 9 320 1 2 3 4 5 6 7 8 9 330 1 2 3 4 5 6 7 8 9 340

1 2 3 4 5 6 7 8 9 350 1 2 3 4 5 6 7 8 9 360 1 2 3 4 5 6 7 8 9 370 1 2 3 4 5 6 7 8 9 380 1 2 3 4 5 6 7 8 9 390 1 2 3 4 5 6 7 8 9 400

ISLAMISCHE ZUWANDERUNG. Die gescheiterte Integration.

Von Bassam Tibi

Deutsche Verlagsanstalt, München 2002

350 Seiten, geb., e 15,86

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung