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Bemerkungen zu einem großen Kunstwerk

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Wenn man an die theologische Würdigung eines Kunstwerkes herangeht, so versteht sich von selbst, daß hier weniger das Kunstwerk als solches in den Blickpunkt gestellt wird als vielmehr die der dichterischen Gestaltung zugrunde liegende Ideenwelt. Das unerhört Große dieses Romans liegt wohl in der bisher unerreichten Darstellung der Dämonie des übersteigerten Nationalismus. Hier soll indes ausdrücklich nur die religiöse Problematik betrachtet werden.

Durch das Lebenswerk der Le Fort zieht sich das Ringen mit der Welt der Mystik. Alle wirklich begnadeten Menschen haben die Gefahr des mystischen Wesens gekannt. Seine Schönheit und seine Gefahr liegen in der Gottunmittelbarkeit des mystischen Erlebens. Glücklich der Mensch, wenn Gott selbst Licht in das Dunkel seines Glaubens fallen läßt — aber wehe demjenigen, der einem Irrlicht vertraut! Eines der besten Zeichen der Unterscheidung der Geister ist die Haltung des Menschen, der sich begnadet vermeint, zur Kirche. Niemals kann Gott durch seine Erleuchtung die Kirche überflüssig machen oder ihr gar widersprechen. Er würde sein eigenes Werk zerstören und seinen eigenen Worten widersprechen. Wenn in diesem Buch noch da und dort von der „großen Herrlichkeit der Kirche“ oder von der „Majestät des Sakraments“ die Rede ist, so liegt nicht mehr ganz die alte Kraft und der alte Sinn darinnen. Nicht die Kirche beherrscht hier die religiöse Welt, sondern Christus und die Gnade.

Die tiefste religiöse Problematik des Romans klingt zum erstenmal auf in dem bewundernden Ausruf der Veronika an ihren Vormund — seine Gestalt ist wohl ein Denkmal für den einstigen Lehrer der Dichterin, Ernst Troeltzsch —: „daß man wohl einen tiefen Besitz haben müsse, wenn man sich so unbekümmert allen Zweifeln überlassen 1-önne“ (39). Wenn hier noch von einem Besitz aus der Wissenschaft die Rede ist, so greift dieser Gedanke bald über auf den Besitz aus dem Glauben, auf die „frommen Sicherungen“, aus denen man heraustreten müsse, um die Ungläubigen zu retten, das „große Wagnis“, durch das man seinen Besitz zugleich in Frage stellt und auf höhere Weise wieder erringt. Wer aber gibt dem Mensche ein Recht zu. solchem Wagnis? Nicht die Kirche, sie verbietet dieses Wagnis vielmehr, das im Roman verkörpert ist im Eingehen einer Ehe ohne den kirchlichen Segen und unter Preisgabe der Taufe der Kinder, das also verbunden ist mit dem Aisschluß von den Sakramen ten und der Gemeinschaft der Kirche. Dieses Recht gibt die Gnade! Und es ist eine Gnade, „über die sie (die Kirche) selbst nicht mehr verfügt, sondern die sich Gott allein vorbehalten hat, und über die sie infolgedessen auch nicht das Geringste aussagen kann“ (284), so erklärt der Dechant im Beichtstuhl — und er fungiert im Roman gerade als der Vertreter der sichtbaren Kirche. Mit anderen Worten: es ist eine Gnade, die unabhängig von der Kirche und unter Umständen gegen sie verliehen wird. Also ist die Kirche nicht mehr der einzige Weg zum Heil! Was hilft es da noch, ein solches Geschehen als „unerhörte Ausnahme“ zu bezeichnen! Hier ist ein Dogma preisgegeben, und zwar gerade dasjenige, das den Katholiken am schärfsten vom Protestantismus scheidet: die Notwendigkeit der Kirche zum Heil. „Ihr Erliegen war kein Erliegen im gewöhnlichen' Sinn“, sagt der Dechant als Beichtvater, „ich meine kein Erliegen ihrer religiösen Haltung, sondern ihr Erliegen war — religiös“ (283). War nicht auch das Erliegen Luthers — religiös?

Aber stützt sich nicht das ganze Vertrauen Veronikas auf das S a k r a m e n t ? Ja, aber nicht auf das Sakrament, wie es das Tridentinum versteht. Von diesem Sakrament hätte Enzio keine Gnade zu erwarten, da es die Gnade nur in denen wirkt, „die keine Hindernisse setzen“. Dieses Vertrauen ist nur gerechtfertigt, sofern man das eine Rechtfertigung nennen kann, im Sakramentenbegriff eines Melanchthon: „Die Sakramente sind eingesetzt, nicht nur als Kundmachung unseres Bekenntnisses vor den Menschen, sondern noch viel mehr als Zeichen und Zeugnis des göttlichen (Heils-) Willens gegen uns, um den Glauben in denen zu wecken und zu stärken, die sie benützen“ (Confessio Augustana, Artikel 13). In diesem Sakramentenbegriff ist noch nicht alles an der Kirche preis gegeben, aber sie ist nur mehr Zeichen und ihr Anspruch erlischt, wo die Gnade ihn überflüssig macht. Wenn schließlich Veronika selbst durch das Sakrament (der Eucharistie) die Freiheit von den Dämonen erlangt, so ist diese Lösung ein Deus ex machina, denn in ihrem bisherigen Weg, der ihr vom Gewissen vorgeschrieben erscheint, ist sie nicht begründet.

Auch sonst muß es auffallen, daß die dogmatischen Formulierungen in diesem Buch nicht so reinlich getroffen werden wie in den früheren Werken. So ist es unrichtig, daß die Ehe „das einzige, das letzte“ Sakrament sei, das der Ungläubige empfangen kann. (132). Er kann es vielmehr nicht empfangen, wenn er nicht getauft ist; i s t er aber getauft, dann kann er auch andere Sakramente empfangen, allerdings ohne die Gnadenwirkung. Dieser Unterschied zwischen der Gültigkeit und der Fruchtbarkeit der Sakramente wird überhaupt verwischt durch das- Grundmotiv in den Gedankengängen Veroflikas und ihres früheren Beichtvaters, den Ungläubigen durch die Ehe an der Gnade des gläubigen Gatten teilnehmen zu lassen. „Wie mir die Liebe als das einzige Band erschienen war, das den Gottesfernen noch mit Gott verband, so war ihr auch die einzige Gnade in die Hand gegeben, die er empfängt, ja die er sogar verspenden durfte'' (132). Diese Teilnahme an der Frucht des Sakraments ist audi nicht durch die Liebe zueinander gegeben; man kann in dieser Liebe nicht, wie Veronika meint, eine eingeschlossene Sehnsucht nach der Gnade des Sakraments sehen, wenn Enzio diese Gnade ausdrücklich ablehnt. — Schief ist auch die Formulierung des Dechanten: „Nicht die Kirche spendet dieses Sakrament, die Eheleute spenden es sich selber“ (132). Dje Eheleute sind eben hier „Kirche“, genau so wie es der Priester ist, wenn er ein Sakrament spendet. — In vollem Gegensatz zur katholischen Moral steht die das ganze Werk durchziehende Auffassung, der Gläubige müßte, um die Ungläubigen zu retten, „aus den frommen Sicherungen hinaus“ (122), er müßte „die Rettung im Opfer der eigenen Sicherheit und im äußersten Wagnis der Liebe“ erblicken (135), es sei eine „natürliche Haltung“, sich von dem Gottlosen zu trennen, um die eigene Seele zu bewahren, ..die übernatürliche Haltung harrt an seiner Seite aus'“ (277). Diese Sätze dürfen nicht nur in dem harmlosen Sinn genommen werden, man müsse aus Liebe eine gewisse Gefahr der eigenen Seele auf sich nehmen, nein, es handelt sich um „die äußerste Gefahr des Unterliegens“ (277). „Was vom natürlichen Standpunkt aus der Dämonie geopfert scheint, das ist in der religiösen Sicht das Lösegeld aller Dämonie“ (310). Hier heiligt offenbar der fromme Zweck alle Mittel. Was wäre aus Veronika geworden, wenn Enzio sich nicht „bekehrt“ hätte — diese Bekehrung besteht übrigens nur in der Ehrfurcht vor der Religion der Braut —, sondern wenn er die Verbrechen

des Nationalsozialismus wirklich begangen hätte, zu denen er entschlossen war? Sind da nicht diejenigen entschuldigt, die an der Dämonie teilnahmen mit der Absicht, retten zu wollen, was zu retten war? Ein Irrtum ist es, wenn das „Nachfolge Christi“ genannt wird, die für uns nur deshalb vermessen sei, weil es nur Gott selbst wagen könnte, „den Himmel und die Seligkeit des Himmels zu verlassen“ (284, vergleiche 282) — wiederum ein dogmatischer Irrtum: denn der Sohn Gottes hat bei der Menschwerdung nicht den Himmel verlassen, das ist vielmehr die von protestantischen Theologen vertretene Lehre der Kenose, das heißt der Selbstentäußerung von den göttlichen Attributen.

Man würde von Mißverständnissen od?r Versehen sprechen, wenn sie nicht aus derselben Feder stammten, der wir die „Hymnen an die Kirche“ verdanken. In diesen herrlichen Gesängen weiß die Dichterin bis in feinste Nuancen um das Dogma. Woher kommt die Nebelwand, die sich im „Kranz der Engel“ vorzuschieben beginnt?

M*n könnte fragen, ob hier nicht Konsequenzen gezogen werden, die der Dichterin selbst fernliegen. Es ist uns aber nicht gestattet, über die Dichterin zu urteilen, sodern nur über ihr Werk. Und — wird es nicht Leser geben, die solche Folgerungen mit mehr oder weniger Klarheit ziehen? Auch der Vorwurf rein kritischer Betrachtung könnte erhoben werden; denn ohne Zweifel würde eine Analyse der Frömmigkeit einer Veronika wundersame Schönheiten enthüllen. Aber gerade deshalb ist es notwendig, strenge und unverrückbare Grenzpfähle au I zuzeigen, die in diesem hohen Kunstwerk — überschritten werden.

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