Benedikts Christen-Lehre

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Der "Macht der Wahrheit" zum Durchbruch verhelfen - dafür warb der Papst auch in Österreich. Einmal mehr aber bleibt zu fragen: Was ist Wahrheit? Vom 7. bis 9. September besuchte Papst Benedikt XVI. Österreich. Vom 5. bis 9. September tagte in Europas Kulturhaupstadt Sibiu/Hermannstadt in Rumänien die Dritte Europäische Ökumenische Versammlung (EÖV3). Das Dossier widmet sich beiden Kirchen-"Festen", die - in unterschiedlicher Weise - von Nachdenklichkeit, Begegnung und Kirchenpolitik bestimmt waren. Reportagen aus Wien und Mariazell (Seite 10/11) sowie Sibiu (Seite 12), Analyse des Papstbesuchs (unten), erste Bilanz der EÖV3 (Seite 12). Redaktion: Otto Friedrich

Es war das Wetter, das eine überschaubare Gläubigenzahl zusammengeschweißt hat - so könnte einer, der die Töne vor dem dreitägigen Besuch Benedikts XVI. in Österreich im Ohr hat, konstatieren. Keine Skepsis, sondern tatsächlich Feiern, ein sichtlich gut gelaunter Papst, der relative kurze Ansprachen hielt, die nichts an sanfter Wortgewalt und einfacher, aber beschwörender Sprache vermissen ließen.

Es waren wenige, vergleichsweise, die sich beim vierten Papstbesuch in 25 Jahren um den Pontifex versammelten. Aber das war längst klar. Klug gewählt die Orte der Begegnung, Plätze in der Wiener Innenstadt oder rund um die Basilika von Mariazell, die auch, wenn die Kirchenzeiten rauer sind, noch mit Gläubigen und - in Wien - mit Schaulustigen zu füllen sind.

Solcher Befund schmälert den Charakter der drei päpstlichen Österreich-Tage keineswegs, denn die - durch die kirchlichen Entwicklungen mitbedingte - Überschaubarkeit kam und kommt Benedikts XVI. Intentionen entgegen: Auch wenn er sonst vor Hunderttausenden bestehen muss, die relativ kleine Herde von Mariazell hat diesem Pontifex zweifellos behagt.

Meditation als Ermutigung

Ein Fest waren diese Feiern mit dem Papst für die, die am Ort dabei waren. Aber doch auch eine Ermutigung für Österreichs katholische Kirche nach jenen schweren Zeiten, die Benedikt bloß ein einziges Mal direkt ansprach - und zwar noch in Rom, bevor sein Flugzeug gen Wien startete. Danach verlor er kein Wort mehr darüber. Welche Impulse Benedikt XVI. für Österreichs Kirche und für die außerkirchliche Welt im Gepäck mitführte, wurde in dem, was er sagte, mehr als deutlich und blieb im Blick auf seine Weltsicht wenig überraschend: auch in den politischen Aussagen grundsätzlich bleibend, sich nicht in die Tagespolitik begebend (darum war die kurze Aufregung über seine Aussagen zur Abtreibung deplatziert) - und keinerlei Andeutung zu kirchlichen Strukturfragen.

Also: Nicht nur kein Gespräch mit Kirchenreformern, sondern auch keine Silbe zu realen Kirchenproblemen, die auch dieser Papst nicht leugnen kann. Ja, bei der Vesper in Mariazell für Geistliche und Ordensleute, also für diejenigen, die wegen der Nachwuchsprobleme der Kirche regelrecht ausgepowert werden, eine - geistlich tiefe - Meditation über die drei Evangelischen Räte Armut, Keuschheit und Gehorsam, aber keine konkrete Ermutigung.

Anders gesagt: Ermutigung, wie dieser Papstes sie versteht, liegt in der beschwörenden und klaren Wiederholung dessen, was er als Wurzel des Lebens in der und für die Kirche sieht. In der Sonntagspredigt im Stephansdom legte er dann noch ein Schäuferl nach in der Forderung der Radikalität der Nachfolge, wie sie das gelesene Evangelium nahelegte.

Also einmal mehr ganz der altbekannte Joseph Ratzinger, dessen Metamorphose zu Benedikt XVI. vor allem darin besteht, dass er mehr als Werber für die Sache Gottes und Jesu denn als Zerberus des Glaubens auftritt.

In Österreich hat der Papst viele Prisen dieses Werbens ausgestreut: Wir brauchen Gott, den Gott der uns sein Gesicht gezeigt und sein Herz geöffnet hat. So lautete in Mariazell die zentrale Botschaft. Für viele Ohren durchaus befreiend setzte der Papst in ebendieser Predigt hinzu, dass das Christentum, das von solchem Gott kündet, mehr und etwas anderes ist als ein Moralsystem, als eine Serie von Forderungen und von Gesetzen; Benedikt erläuterte das in einer berührenden Interpretation der Zehn Gebote als ein Ja zur Freiheit. Bestechend, wie dieser Papst - man erinnert sich dem entgegen an seinem Vorgänger! - ohne erhobene Zeigefinger auskommt!

Keine Insel der Seligen mehr

Das bedeutet keineswegs, dass Benedikt in der Substanz anderes vertritt als Johannes Paul II. Er kann in seiner Zeitdiagnose auch scharf werden - und diese bis an den Rand des Kulturpessimismus treiben: Er will das Christentum für Europa retten. Wie er in der Rede in der Wiener Hofburg beschwörend sagte, dürfe man nicht zulassen, dass eines Tages womöglich nur noch die Steine hierzulande vom Christentum reden. Hintersinnig meinte Benedikt XVI. in dieser Rede auch, Österreich sei keine Insel der Seligen und kehrte damit ein Diktum Papst Pauls VI. um, der ebendieses konstatiert hatte.

Ob werbend oder pessimistisch diagnostizierend - für den Papst hat die Krise des Westens, Europas einen Kern, den er in Mariazell benannte: die Resignation der Wahrheit gegenüber. Hier führte er seiner österreichischen Gemeinde das "Projekt Benedikt" vor Augen, für das er unermüdlich eintritt.

Im Gegensatz früheren Aussagen ist der Papst hier zwar durchaus vorsichtig geworden: er will die Wahrheit, für die er leidenschaftlich eintritt, nicht als Verachtung der anderen Religionen oder als Absolutsetzung unseres eigenen Denkens verstanden wissen, sondern definiert sie als Ergriffensein von dem, der uns angerührt und uns beschenkt hat, damit wir auch andere beschenken können. Er geht sogar soweit, dass er nicht verurteilt, sondern nur beklagt, dass wir aufgrund unserer Geschichte - zu Recht! - Angst davor hätten, dass der Glaube an die Wahrheit Intoleranz mit sich bringe.

Bei allem Werben, aller Ablehnung eines moralischen Zeigefingers, ist der Papst hier am - wunden - Punkt auch der innerkirchlichen Auseinandersetzung angelangt: Wer, so wie er, von der Wahrheit redet, muss sie festhalten, verteidigen, sie vor dem "Relativismus" - das Schlüsselwort Joseph Ratzingers - bewahren. Zum defensiven Zugang zur zeitgenössischen Welt ist es dann nicht mehr weit.

Aber gilt es dem entgegen nicht, um eine andere Weltsicht zu ringen - um einer Wahrheit willen, die demütig genug ist, mit der Befruchtung durch die Wahrheit anderer Menschen und Religionen zu rechnen? Das ist nicht "Relativismus", sondern Ringen um eine Wahrheit die an der Zeit und an den Menschen ist. Darum müsste die Auseinandersetzung kreisen, auch in der Kirche, auch mit diesem Papst.

Das Benedikt'sche Welt- und Wahrheitsbild hat - das zeigen auch die Kommentare nach seinem Österreich-Besuch - eine respektable Anhängerschar: In unsicherer Zeit ist einer, der den Blick auf eine ewige Wahrheit schärft und sie wie einen Pflock in die Zeitläufte einzuschlagen sucht, attraktiv. Daraus ergibt sich fast von selbst, dass die Vergangenheit mehr zur Richtschnur taugt als die Zukunft, und es mag verständlich werden - um ein konkretes Beispiel anzuführen -, dass "Altehrwürdiges" wie der vorkonziliare Messritus wieder ins Kirchenboot zu holen ist, während Innovation und Weiterentwicklung in der Liturgie abgelehnt wird (Benedikt XVI. hat Dezidiertes in diese Richtung bei seiner Ansprache im Stift Heiligenkreuz formuliert).

Konsequent ist aus dieser Sicht dann, dass Fragen, die vordergründig unter dem Label "Kirchenreform" subsumiert werden, nicht zur Verhandlung kommen. Wer den alten Wahrheiten zur Geltung verhelfen will, wer an erster Stelle gegen die Resignation gegenüber der Wahrheit ankämpft, darf sich nicht ablenken lassen. Deswegen kamen diese Themen nicht zur Sprache - und nicht bloß, weil der Papst nur auf Pilgerreise in Österreich war.

Notwendiger Kirchen-Streit

Es erübrigt sich daher zur Zeit, mit Benedikt XVI. über den Zölibat oder gar über Frauenordination ins Gespräch kommen zu wollen (Helmut Schüllers diesbezügliche, im ORF-Polittalk Im Zentrum geäußerte Hoffnung in Gottes Ohr!). Denn zuvorderst ist ein Gespräch zu führen über die Wahrheit, wie dieser Papst sie versteht und erneut festmachen will. Dazu steht in der katholischen Kirche noch viel notwendiger Streit an.

Erst recht hierzulande. Denn bevor man in dieser Sache zum Papst pilgert, müsste die Kirchenleitung Österreichs in die skizzierte Wahrheitsdiskussion verwickelt werden. Aber ist hierzulande irgendein Kirchenoberer in Sicht, der sich dieser Auseinandersetzung stellte?

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