Werbung
Werbung
Werbung

Nicht das islamkritische Zitat in der Regensburger Vorlesung, sondern der dort dargelegte Vernunftbegriff zeigt die Frontstellung des Papstes auf.

Viele Muslime haben sich darüber aufgeregt, dass der Papst in seiner Regensburger Vorlesung die Vernunft für das Christentum reklamiert hat und den Islam unter den Generalverdacht gestellt hat, dass er einen unvernünftigen, willkürlichen Gott predige und deswegen zu Heiligen Kriegen neige. Zumindest die intellektuelleren der Muslime haben sich darüber echauffiert und nicht darüber, dass Papst Benedikt ein Zitat des byzantinischen Königs Manuel II. benutzt hat. Das anschließende Bedauern des Papstes galt allerdings nur dem falsch verstandenen Zitat und eben nicht der - vermutlich richtig verstandenen - Frontstellung, die der Pontifex eröffnet hat.

In den deutschsprachigen Medien wurde dem Papst höchstens eine gewisse Ungeschicklichkeit attestiert, worüber sich aber bitte die Muslime nicht zu sehr aufregen sollten; schließlich müsse man die anderen doch auch mal kritisieren dürfen. Die neue Gretchenfragen lautete also: Nun sag, wie hast du's mit der Vernunft? Nachdem einige Islamwissenschaftler dargelegt haben, dass der Islam nicht so vernunftfeindlich ist, wie Papst Benedikt es dargestellt hat, bleibt noch die zweite Frage offen: Was versteht eigentlich der "Gelehrten-Papst" unter Vernunft und Aufklärung?

Welche Aufklärung?

Um es vorweg zu sagen: Nicht dasselbe, was der Common sense darunter versteht. Aufklärung ist für Benedikt in erster Linie die griechische Metaphysik. So ist jedenfalls das Urteil des katholischen Theologen Hermann Häring, der sich ausführlich mit der Theologie von Joseph Ratzinger beschäftigt hat. Die griechische Philosophie, besonders der Mittel-und Neuplatonismus, war in den ersten Jahrhunderten nach Christus die vorherrschende Philosophie, und die hatte durchaus auch eine mythenkritische Stoßrichtung gegen die religiösen Kulte der damaligen Zeit. In diesem Sinne war sie aufklärend. Das junge Christentum, so die These von Ratzinger, habe sich nun nicht als eine weitere Religion verstanden, sondern als konsequente Fortsetzung der "Philosophie", habe sich also in eine aufklärerische Tradition gestellt.

Ob das wirklich bei allen oder nur den wichtigsten Vertretern des jungen Christentums so nachzuweisen ist, ist allerdings fraglich. Unstrittig bleibt aber, dass die Ausformulierung der christlichen Glaubenslehren durch die kirchlichen Konzilien ab dem 4. Jahrhundert von der griechischen Philosophie maßgeblich beeinflusst wurden: Das Eigentliche sind die jenseitigen Ideen und von der sichtbaren Welt kann man auf die unsichtbare Welt rückschließen, um nur zwei der wichtigsten Prinzipien zu nennen.

In dieser Metaphysik fanden die Theologen der alten Kirche ein Instrumentarium, die Lehre von Gott und Christus auf den dogmatisch sicheren Begriff zu bringen - also dass Gott drei Personen in einer vereint, und dass Christus eine menschliche und eine göttliche Natur hat und so weiter.

Ratzingers These ist nun, dass dies keinesfalls nur ein zeitbedingter Ausdruck der christlichen Botschaft ist, vielmehr sei bei der Hochzeit von griechischer Philosophie und Glaubensbotschaft der Glaube erst auf den gültigen, und man darf wohl sagen end-gültigen, Begriff gekommen. Umgekehrt sei die Vernunft in den Dogmen der Kirche zu Ihrer Vollendung gelangt.

Drei Fronten des Papstes

Das erklärt die dreifache Frontstellung von Benedikt in seiner Regensburger Vorlesung: Einerseits gegen den Protestantismus, denn der will die Hochzeit von griechischer Metaphysik und christlicher Botschaft nicht als end-gültig hinnehmen. Für den Protestantismus ist nur die Bibel letzte Autorität, die ist aber wesentlich vielstimmiger und unpräziser und damit interpretationsoffener als die sicheren Begriffe der Konzilsbeschlüsse.

Außerdem muss die christliche Botschaft für den Protestantismus in jeder Zeit und jeder Kultur neu gesagt werden; das verbindet ihn mit den Bemühungen um interkulturelle Theologien, kommen sie nun von Protestanten oder von Katholiken.

Die zweite Front geht gegen die Aufklärung. Die wird von Benedikt zwar nicht in allen ihren Ergebnissen abgelehnt, wo sie aber dem Dogma entgegensteht, ist sie für ihn eben doch irregeleitete Vernunft. Besonders ärgert ihn Immanuel Kant, der den Glauben auf den Bereich der praktischen Vernunft, also der Ethik, beschränkt wissen will und ihn für das Erkennen der Welt als unsachgemäß ablehnt. Eine unzulässige "Selbstbeschränkung der Vernunft", meint er.

Und die dritte Front ist Benedikt nach der Vorlesung um die Ohren geflogen: Die Muslime wollen nicht die Nummer abgeben, dass für sie Gott unvernünftig und willkürlich handle, nur weil sie ihren Gott nicht dogmatisch sichergestellt und auf den letztgültigen Begriff gebracht haben.

Einfallstor des Relativismus

Benedikt will die schiedlich-friedliche Trennung von Glaube und Vernunft nicht mitmachen: Hier das Reich des Glaubens, das mit Vernunft eben weder zu beweisen noch zu widerlegen ist; dort das wissenschaftliche Erkennen. Das erscheint ihm als Einfallstor des Relativismus, dann würde der Glaube der Subjektivität des Einzelnen anheim gestellt.

Wenn Glaube und Vernunft sich überhaupt nicht mehr miteinander in Beziehung setzen können, ist das sicher auch kein Fortschritt. Aber Benedikt will Glaube und Vernunft auch nicht so zusammenbringen, dass die Dogmen immer wieder von der Vernunft gereinigt oder neu formuliert werden, auch wenn er von der Kritik durch die Vernunft spricht. Seine Offenheit für vernünftige Kritik bleibt mindestens ambivalent, da er die christlichen Dogmen eben als Vollendung und höchsten Ausdruck der Vernunft darstellt.

Damit wird, um das Mindeste zu sagen, ein zeitbedingter Ausdruck der Vernunft gegenüber dem Fortschritt des Denkens immunisiert. Weiter gedacht heißt das außerdem: Letztlich weiß der Glaubenshüter am Besten, was vernünftig ist, denn in seinem Dogma hat sich ja die Vernunft vollendet. Benedikt will mit seiner Synthese von Vernunft und Glauben, wie er an anderer Stelle gesagt hat, das Christentum als religio vera ausweisen, als die wahre Religion.

Gefahr des Totalitarismus?

Wer aber versuche, den katholischen Glauben als (allein) vernunftgemäß auszugeben, der neige zum Totalitarismus. Das ist der Vorwurf des Philosophen Paolo Flores d'Arcais, mit dem Benedikt, als er noch Kardinal Ratzinger war, lebhaft diskutierte (vgl. Buchtipp, unten). Wenn die Anhänger anderer Religionen nicht nur Andersgläubige, sondern zugleich auch die Unvernünftigeren sind, haben sie schlechte Karten. Denn die Unvernünftigen müssen um ihrer selbst und der anderen Willen per Gesetz zu einem Leben verpflichtet werden, das der Vernunft entspricht. So beansprucht die katholische Kirche für ihre moralische Wertvorstellungen (z.B. bei Abtreibung und Gleichstellung von Homosexuellen) Gültigkeit für die gesamte Gesellschaft.

Flores d'Arcais fürchtet deswegen, "die Neigung, die eigenen Auffassungen aufzuzwingen, sobald sich die Möglichkeit dazu bietet". Mit anderen Worten: Der - historisch wohl falsche - Vorwurf aus der Regensburger Papstrede, Mohammed sei womöglich nur, als er machtlos war, gegen Zwang in Glaubensdingen gewesen, dieser Vorwurf kann sich womöglich auch gegen die Kirche richten.

Wenn dieses Thema mit aufs Tapet käme, dann könnte der Dialog zwischen Muslimen und Christen, der ja die Gewaltfrage nicht ausklammern soll, wieder richtig spannend werden.

Der Autor ist evangelischer Theologe und Journalist in Köln.

Die Regensburger Vorlesung des Papstes im Internet: www.vatican.va/ holy_father/benedict_xvi/speeches/ 2006/september/documents/ hf_ben-xvi_spe_20060912_ university-regensburg_ge.html

BUCHTIPP: Gibt es Gott? Wahrheit, Glaube, Atheismus. Ein Gespräch zwischen Joseph Ratzinger und Paolo Flores d'Arcais, Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2006, 108 Seiten, kt., e 10,20

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung