Betroffenheit oder sexuelle Hexenjagd?

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Der Rücktritt des Erzbischofs von Milwaukee ist der bislang spektakulärste Schritt in der Kirchenkrise in den USA.

Wir haben heute einen weiteren Bischof verloren. Die Geschichte nimmt kein Ende ...", schreibt Phil Saviano, der Neuengland-Koordinator von SNAP, des US-weiten Netzwerks von "überlebenden" Missbrauchsopfern durch katholische Priester und Interview-Partner der furche (vgl. die vorwöchige Ausgabe), letzten Freitag in einem E-Mail. An diesem Tag hatte Rembert G. Weakland, Erzbischof von Milwaukee, den Papst gebeten, seinen wegen der 75-Jahres-Altersgrenze bereits am 2. April eingereichten Rücktritt unverzüglich anzunehmen. Und - obwohl auf Aserbaidschan-Reise: Johannes Paul II. entsprach der Bitte sofort.

Die päpstliche Eile hatte einen Grund: Tage zuvor war Weakland im TV vom 53-jährigen Paul J. Marcoux des sexuellen Missbrauchs beschuldigt worden. Marcoux präsentierte unter anderem einen "Liebesbrief" Weaklands und behauptete, der Erzbischof habe ihm 1998 umgerechnet 450.000 Euro für sein Schweigen über die mehr als 20 Jahre zurück liegende Affäre gezahlt.

Weakland äußerte sich nicht zu seiner Beziehung mit Marcoux, er bestätigte jedoch die Zahlungen und beteuerte gleichzeitig, niemanden sexuell missbraucht zu haben (Marcoux war zum Zeitpunkt des behaupteten Missbrauchs bereits erwachsen).

"Im gegenwärtigen Klima", so Weakland im Statement zu seinem Rücktritt, würde sein Verbleib im Amt ein "zusätzliches und dauerndes Hindernis" bei den Anstrengungen der Kirche sein, ihre Glaubwürdigkeit wieder zu erlangen.

Weakland ist somit der dritte amtierende Bischof, der in den letzten Wochen direkter Beteiligung an sexuellem Missbrauch beschuldigt wurde: Bereits im März war der Bischof von Palm Beach/Florida zurückgetreten, nachdem er einen - lange zurückliegenden - Missbrauch an einem Ministranten zugegeben hatte. Ähnliche, von ihm vehement bestrittene Vorwürfe veranlassten letzte Woche auch den Bischof von Lexington in Kentucky, sein Bischofsamt bis zum Abschluss einer Untersuchung über die Vorwürfe ruhen zu lassen.

Der Rücktritt von Weakland hat noch eine zusätziche Dimension, bedeutet er doch auch den Abgang des bekanntesten "liberalen" Hirten der USA, der schon wiederholt die Zielscheibe von Attacken konservativer Katholiken war. 1977 hatte Paul VI. den damaligen Benediktiner-Abtprimas zum Erzbischof von Milwaukee ernannt. Unter anderem war Weakland der Architekt des Sozialhirtenbriefes der US-Bischöfe 1986 mit seiner klaren Option für die Armen. Als "liberal" galt Weakland auch in Bezug auf eine Lockerung des Pflichtzölibats, auf die Rolle von Frauen und Laien in der Kirche sowie auf den Umgang mit Homosexuellen.

Die Kritik an Weakland von rechts hielt weiter an. Vor kurzem gelang es Hardlinern sogar, den Vatikan dazu zu bringen, in die Baupläne zur Renovierung der Kathedrale von Milwaukee einzugreifen, weil diese einigen Konservativen nicht passten. In die Demission Weaklands mischte sich aber auch Betroffenheit: "Es macht mich traurig, dass am Abend seines Rücktritts, eine 20 Jahre alte Sache mit einem Erwachsenen - vielleicht eine Indiskretion, vielleicht eine schwere Sünde - publiziert wird, um den Ruf eines großen Kirchenmannes zu zerstören." Mit diesen Worten zitiert die renommierte Tageszeitung The Boston Globe Margret O'Brien Steinfels, Chefredakteurin der unabhängigen katholischen Zeitschrift The Commonweal Magazine: "Es ist eine Tragödie, dass die berechtigte Betroffenheit über den sexuellen Missbrauch von Kindern durch Priester sich zu einer sexuellen Hexenjagd entwickelt."

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