Bevor es richtig ERNST WIRD

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Das Ultimatum kommt dort zum Einsatz, wo Gespräch und Dialog kapitulieren. Über die Gemeinsamkeiten von verzweifelten Müttern, grausamen Konquistadoren und kriegsentschlossenen Präsidenten.

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Das Ultimatum kommt dort zum Einsatz, wo Gespräch und Dialog kapitulieren. Über die Gemeinsamkeiten von verzweifelten Müttern, grausamen Konquistadoren und kriegsentschlossenen Präsidenten.

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Das Ultimatum ist nicht erst mit der Erfindung der hohen Politik in die Welt gekommen und schon gar nicht mit der Diplomatie. Es ruht vielmehr ganz natürlich im Hausschatz angewandter Pädagogik. Als Beispiel dafür bietet sich folgende wahre Begebenheit aus Mittelkärnten an, bei der eine Mutter Einlass ins Zimmer ihrer 13-jährigen Tochter begehrt. Das Kind hat sich zusammen mit einer Freundin eingeschlossen und ist drauf und dran, einen Selbstversuch mit Alkohol zu starten, mit einem selbstgemischten Getränk aus Bier, Wein und Inländer Rum. Die Mutter also vor der Tür, Böses ahnend, klopfend, ratlos: "Bitte, Schatz, mach doch die Tür auf! Scha-atz!" Von drinnen leises Gekicher. Nach langem Flehen, packt die Frau vor der Tür schließlich der Zorn und ihre Stimme wird zu einem eindringlich drohenden Zischen: "Du, wenn du jetzt nit sofort die Tür aufmochst, I sog's dir, es passiert wos!"

Besser hätte das auch kein Berufs-Diplomat zusammengebracht. Der Satz der Mutter hat alles, was ein Ultimatum technisch so braucht. Es beinhaltet einen engen Zeithorizont (in diesem Fall "sofort"), eine klare Forderung ("Tür aufmachen") und bei Nichterfüllung Konsequenzen schrecklichster Natur (dass eben "wos" passiert, wobei dieses "wos" so unglaublich ist, dass es ein noch verhülltes Geheimnis bleibt).

Die Kapitulation des Gesprächs

Das Ultimatum, man sieht es ebenfalls aus dieser Vorgeschichte, ist das Letzte in vielerlei Hinsicht. Es ist rhetorisch gesehen die Kapitulation des Gesprächs und der Kommunikation generell und zeigt das Primat der Macht als alles bestimmenden Faktor: Derjenige, der mehr von dieser Macht hat, verzichtet aus welch verständlichem oder unverständlichem Grund auch immer auf andere Wege der Überzeugungsarbeit und probiert es mit Goethe: "und bist du nicht willig, so brauch' ich Gewalt."

Freilich hat sich die Ultimatenkultur im Lauf der Geschichte stark verändert. Etwa jene des Nachverhandelns. In der Antike gab es das durchaus. Nehmen wir das Beispiel der Bewohner der kleinen spanischen Stadt Complega, die um 179 v. Chr. nach wilden Kämpfen von den römischen Eroberern aufgefordert werden, die Waffen zu strecken. Doch die Complegner dachten gar nicht daran. Sie formulierten ein Gegenultimatum. Der römische Feldherr möge ihnen für jeden ihrer gefallenen Männer ein Pferd, einen Mantel und ein Schwert übersenden, sonst werde es ihm übel ergehen. Als der Feldherr namens Gracchus dem Ultimatum aufs Ultimatum nicht Folge leistet und auch kein neues Ultimatum übersendet, stürmen ein paar tausend Iberer das große römische Lager und landen damit zumindest kurzfristig einen Überraschungserfolg.

In einer ähnlichen Rolle wie der kleine Stamm glaubten sich die Taliban zu befinden, die nach den Anschlägen des 11. September 2001 ein Ultimatum der USA erhielten, wonach sie nicht nur ihre Lager schließen und alle Al-Kaida-Mitglieder, einschließlich Osama bin Laden, ausliefern sollten. Ob man denn darüber nicht verhandeln könne, so die Antwort der Taliban. Das veranlasste US-Präsident Bush zu dem Satz: "Es gibt nichts zu besprechen und nichts zu verhandeln. Wir haben unsere Warnung ausgesprochen. Die Zeit läuft ab."

Doch selbst in dieser starren Form des Ultimatums gibt es noch Untergruppen. So etwa eine, die das "bösartige" Ultimatum genannt werden könnte. Diese Sorte legt es unter allen Umständen darauf an, nicht erfüllt werden zu können. Eines dieser Sorte, jenes von Österreich-Ungarn an Serbien führte letztendlich zum ersten Weltkrieg und zum Untergang des Habsburgerreiches (siehe Seite 3).

Die Römer haben das in der Hochblüte ihrer Macht ganz ähnlich mit dem untergehenden Karthago im Jahr 146 vor Christus gemacht. Zunächst forderte man 300 Angehörige der Nobilität der Stadt als Unterpfand, dazu die Übergabe von 200.000 Waffen und 2.000 Katapulten und die Abrüstung der punischen Flotte. Als die Karthager all das erfüllt hatten, wurde ein zusätzliches Ultimatum aufgesetzt, das die Übergabe der ganzen Stadt und die Umsiedelung der 400.000 Einwohner in die Wüste vorsah. Dem konnten die Karthager nun nicht mehr zustimmen. Die Stadt wurde drei Jahre lang belagert, niedergebrannt und geschliffen und die überlebenden 50.000 Einwohner in die Sklaverei verkauft.

Absolution von der eigenen Schuld

Aber es gibt noch einen weiteren Charakterzug, der sich aus der Stilform des Ultimatums ergibt: jener der Schuldbefreiung für jene, die das Ultimatum stellen. Besonders offensichtliche Selbstpardonierer waren die spanischen Konquistadoren in Südamerika. Zwischen 1494 und 1573 lasen sie den zu erobernden "Wilden" ein "Requerimiento" - eine feierliche Verlautbarung vor, in der sie die Herausgabe aller Schätze für seine Majestät den König von Spanien und den Wechsel zum christlichen Glauben verlangten. Und weiter heißt es: "Wenn ihr das aber nicht tut oder böswillig aufschiebt, so tue ich euch kund, dass ich euch mit der Hilfe Gottes mit Gewalt bekriegen werde und euch unterwerfen werde und euch allen Schaden und Böse antun werde, wie ich kann, und ich erkläre, dass die Tötungen und Schäden, die sich daraus ergeben werden, zu euren Schulden gehen und nicht zu denen seiner Hoheit noch der Ritter, die mit mir gekommen sind."

Selbstredend wurden die "Requerimientos" den Indigenen nicht in ihrer Sprache, sondern auf Spanisch verlesen, in einigen Fällen sogar in Siedlungen, aus denen die Ureinwohner längst geflohen waren. Nach der Logik "die Konsequenzen für deine Verweigerung hast du selbst zu tragen", kombiniert das Ultimatum die Unterwerfung mit der Absolution für kommende Sünden. Der spanische Dichter Pedro Calderón de la Barca hat diese Generalvollmachten zur Barbarei in seinem Stück "In diesem Leben ist alles wahr und alles Lüge" scharf kritisiert. Er geißelt darin "Pulver und Blei als die ultima razon der Könige". Dem französischen Kanzler Kardinal Richelieu hat diese Kritik so gut gefallen, dass er sie sofort nach Erscheinen des Calderon'schen Textes einfach in seinem Sinne verdreht hat und den Slogan auf seine Kanonen gießen ließ. Fortan wurde halb Europa im 30-jährigen Krieg mit französischem "Ultima ratio regum" beschossen.

Natürlich sind die "Requerimientos" mit den Ultimaten heutiger Kriegsherren nicht vergleichbar, sofern die sogenannten "zivilisierten" Maßstäbe gelten. Kriegsultimaten sind in Demokratien ebenso selten und schwer durchsetzbar wie Kriegseinsätze selbst. So änderte das Ultimatum erneut sein Gesicht. Im Kosovo griff die NATO die Stellungen der jugoslawischen Armee unter dem Argument der Hilfe für die vertriebenen Kosovo-Albaner an. Und auch im Bosnienkrieg war der Einsatz der Kampfjets erst möglich, als serbische Granaten auf dem Marktplatz von Sarajewo vor den Augen der Weltöffentlichkeit ein Blutbad anrichteten. Moderne Ultimaten, so der US-Historiker und Diplomat George Kennan, "drohen nicht mit Krieg, sondern mit Hilfe".

Es gibt allerdings noch ganz andere und geschicktere Formen des Ultimatums. Der kluge Staatsmann etwa würzt seit antiken Zeiten seine Drohforderung mit einem Köder. Das beginnt bei jenem römischen Feldherrn Quintus Flavius, der einen iberischen Stamm, mit dem die Römer größte Schwierigkeiten hatten, zur Unterwerfung überreden wollte. Quintus sandte dem Schwarm also eine Botschaft, die Männer mögen entweder für doppelten Sold für die Sache der Römer kämpfen, oder aber Tag und Ort zur Schlacht bestimmen.

Transzendente-und Fehlultimaten

Eine der großen Sonderformen des Ultimatums, die nichts mit Krieg und Waffen zu tun haben, wusste sich die katholische Kirche zu erfinden. Es ist ein einerseits transzendentes Ultimatum, das andererseits an irdischer Einträglichkeit kaum zu überbieten war: Schuldenvergebung durch Ablasshandel. Unter dem Versprechen, sich einige Jahre Leiden zu ersparen und das Himmelreich über das Fegefeuer doch noch erreichen zu können, wurden auf breiter Basis ab dem Spätmittelalter die Vermögen von Gläubigen, reich und arm, dem Schoß der Kirche übertragen.

Doch gerade am Ablasshandel ist abzulesen, wie die Härte der Bedingungen den Ultimaten-Steller oft selbst trifft. Der Kirche ging das so, als der Missbrauch im Ablasshandel überhand nahm und die Reformation mit auslöste. Im politischen Bereich ist eines der bekanntesten Fehlultimaten jenes der Franzosen an Deutschland 1871. Die Forderung Frankreichs, Preußen dürfe nie wieder einen Hohenzollern auf dem spanischen Thron zulassen, führte zunächst zum Hinauswurf des französischen Gesandten durch den preußischen König Wilhelm und zur Kriegserklärung Frankreichs an Preußen. Kurz darauf tobte der erste deutschfranzösische Krieg, der mit einem deutschen Sieg und der Einigung Deutschlands endete.

So ist vielleicht das beste aller Ultimaten jenes, das ganz unterbleibt. Übrigens hat es auch in unser eingangs erwähnten Geschichte aus Mittelkärnten gar nicht gefruchtet. Die Tür blieb fest verschlossen und drinnen wurde so lange weiter gekichert und getrunken, bis die grausigen Nebenwirkungen des Rausches zum Ausbruch kamen. Und was tat die Mutter da? Sie ersparte sich angesichts der gelbgrünen Gesichter jeden Kommentar - und kochte Kamillentee.

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