Bevor Heimat, Existenz und Kultur untergehen

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Wer wird diese Woche "Kopf der Woche"? Jedes Mal keine leichte Frage in der Redaktionskonferenz am Montag morgen. Diese Woche fiel die Entscheidung leichter, weil Leserinnen und Leser, darunter Hubert von Goisern, vorinterveniert haben: Das Ilisu-Staudammprojekt am oberen Tigris in der Türkei - die Furche berichtete Ende Mai - ist ihnen ein Ärgernis und uns einen "Staudamm der Woche" wert. Worum geht's?

Die türkische Regierung plant ein Staudammprojekt in Hasankeyf an der türkisch-irakisch-syrischen Grenzen. Der Damm würde das obere Tigristal, eine der ältesten Kulturlandschaften der Welt, überschwemmen. Hier im fruchtbaren Halbmond entstanden die ersten Siedlungen, Städte und Reiche der mesopotamischen Hochkulturen. Ihnen folgten Römer, Araber, Seldschuken und Osmanen, die alle ihren Anteil am Weltkulturerbe Hasankeyf beigetragen haben - und nun soll dieses kulturelle Einod einem Staudammprojekt zum Opfer fallen.

Weit weg, und auch in der Türkei kommt der Strom aus der Steckdose, könnte nun die erste Reaktion sein. Stimmt schon, doch frühere türkische Wasserkraftprojekte zeigen, dass die gewonnene Energie nicht den ländlichen Regionen im Osten, sondern allein den Großstäden im Westen der Türkei zugute kommt. Und auch das Versprechen, es werde mit diesen Bauten die Infrastruktur der Region gestärkt, verdient äußerste Skepsis: Im Vergleich zu den Tausenden Kleinbauern, die aufgrund dieses Staudammprojekts ihre Existenzgrundlage verlieren, sind die wenigen Technikerjobs, die geschaffen werden, ein Hohn.Doch noch einmal: Weit weg, und lasst die Türkei doch bauen was sie will? Stopp, so einfach abputzen können wir Österreicher uns nicht, denn der Megastaudamm soll unter der Konsortiumsführung der österreichischen Andritz AG bzw. deren 100-Prozent-Tochter VA Tech Hydro entstehen. Und die Österreichische Kontrollbank muss die Garantie für die Finanzierung abgeben.

Für ein Projekt, das die Umsiedelung Tausender Menschen bedingt, die das erstens nicht wollen und deren zukünftige Existenz zweitens - trotz aller Versprechen - keineswegs gesichert ist. Und für ein Projekt, das nicht nur eine uralte Kultur zerstört, sondern auch die Umwelt in der Region schwer beeinträchtigt. Der Tigris in Südostanatolien ist eine Schatzkammer an Artenvielfalt, sagt der World Wildlife Fund, die durch diesen Staudamm unwiederbringlich verloren geht. Stimmt alles nicht, sagen die Befürworter des Staudamms; stimmt schon, fürchtet die Furche und fordert, dass dieser Staudamm nicht mit Österreichs Hilfe gebaut wird. WM

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