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Bewährung im politischen Alltag

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Der katholische Laie unserer Gegenwart hat den strikten Auftrag, aktiv an der Gestaltung des öffentlichen Lebens mitzuwirken. Es ist ein Kampfauftrag, der von ihm den vollen Einsatz für die Verwirklichung der Forderungen des Glaubens verlangt. Glaube und Leben bilden für ihn eine Einheit. Sowenig sich das Leben nur auf den privaten Bereich erstreckt, sowenig kann es „rein religiöse“ Bezirke geben. Wem es um eine ernste Aussprache mit dem Katholiken geht — und wer könnte nach Dr. Günter Nennings „Drittem Brief an Freunde“ in der Weihnachtsnummer der „Furche“ daran zweifeln? —, muß es zur Kenntnis nehmen, daß Religion die totale Hingabe an Gott beinhaltet. Diese Totalität erfaßt , sowohl den inneren, den kontemplativen Raum wie den äußeren, den aktiven Bereich in Staat und: Gesellschaft. t\a .

Es entspricht der von Dr. Nenning als Gesprächsvoraussetzung zwischen Katholiken und Sozialisten geforderten Selbstkritik, wenn festgehalten wird, daß das Erfordernis des vollsaftigen Lebens aus dem Glauben, das tätige Hinauswirken aus der ständigen individuellen Begegnung mit Gott, keine Erfüllung fand. Insofern liegt ein Versagen der Katholiken, ihre Mitschuld an allen offenen Wunden vor. Es fehlte an der Glaubenstiefe und an der Zivilcourage, das Bekenntnis zu leben und seine Beachtung in der Gemeinschaft durchzusetzen. Das Grundprinzip, die Nächstenliebe, das Ja zu Gott im Du, degenerierte zu einer seelenlosen Wohltätigkeit, ohne die Not des Menschen, der ohne Liebe nicht sein kann, zu begreifen. In diese Lücke zwischen Bekenntnis und lebendiger Tat drang der Sozialismus ein, um seine historische Aufgabe zu erfüllen.

Nach meiner Ansicht bilden die Verdienste des Sozialismus kein Streitobjekt. Sie sind aus vollem Herzen anzuerkennen. Darin liegt aber auch das Einbekenntnis, daß der Sozialismus gerade auf jenem Feld eine Pionierleistung vollbrachte, zu deren Erbringung der Katholik_be-rufen gewesen wäre. Das Werden der neuen Gesellschaft vollzog sich ohne seine Breitenarbeit.

Säkulare Erschütterungen, haben viele Trennungsmauern einstürzen lassen Katholik und Sozialist standen gegen Faschismus und haben das gemeinsame Interesse an der Ueberwindung des Kommunismus. Beide Formen des Totali-tarismus sind nur im Glauben besiegbar. Diese Erkenntnis hat seit dem letzten Krieg weite Kreise der Katholiken angezogen und zur lange vernachlässigten politischen Wirksamkeit geführt. Darob herrschte wenig Freude bei den Sozialisten, die die Geländegewinne der Kirche in der Arbeiterschaft mit gemischten Gefühlen verfolgten. Die Reserve liberaler Schichten sei erwähnt, der offene Haß der Kommunisten vermerkt. Jedenfalls sind die Katholiken in unseren Tagen eine Größe, die ins Gewicht fäljt und immer mehr ins Gewicht fallen will. Auch diese Feststellung ist zur Umreißung des eigenen Standortes erforderlich.

Die Selbstbesinnung des katholischen Laien auf seine politischen Pflichten erfolgt gleichzeitig mit der Distanzierung von anderen Richtungen. Das eigenständige Leben, die Profi-Iierung erfordert die klare Herausarbeitung des Unterschiedlichen, des Gegensätzlichen, des Abzulehnenden. Die Kirche gibt dem Katholiken ein geschlossenes, gültiges, unerschütterliches Glaubensgebäude. Hier ist sein Heimatboden, den er nicht verlassen kann, ohne damit sein geistiges Rüstzeug aufzugeben. Aus ihrem Lehramt hat die Kirche eine gesicherte und einheitliche Soziallehre entwickelt, die den Katholiken davor bewahrt, Irrtümern nachzuhangen. Es wird gewiß nicht verkannt, daß es Katholiken gibt, die das Wagnis auf sich genommen haben, ihre Zelte im sozialistischen Lager aufzuschlagen. Es wird sich erweisen, ob sie Sauerteig genug sind, um Bekehrurigsarbeit leisten zu können. Vorderhand zählen sie zu den Genossen , zwej,t,er Güte. Daß sie die Einheit der katholi- , sehen Kräfte spalten, gehört auf ein anderes Blatt. Die ganze Sorge und Aufmerksamkeit der Kirche gehört jenen, die die Frage nach dem Glaubensbekenntnis mit „römisch-katholisch“ beantworten, dieses Bekenntnis aber nicht mehr beten können oder nur Teile aus ihm zur Richtschnur des Lebens machen. Ihre Rückführung zum lebendigen Glauben bildet die vornehmste Aufgabe der katholischen Gegenwart, die gutmachen muß, was in der Vergangenheit versäumt wurde.

Es soll keinen Augenblick Zweifel darüber herrschen, daß die ihrer Verantwortung bewußten Laien der Kirche das Gespräch mit dem Sozialismus suchen und wollen. Anderseits soll der Gesprächspartner wissen, daß es für den Katholiken in Glaubenssachen keine Kompromisse geben kann und darf. Die geistigen Freunde im anderen Lager werden weniger Sprachschwierigkeiten haben, wenn sie in der gegenwärtigen und den kommenden Phasen des Gespräches davon ausgehen, daß Glaube, Religion keine Privatsache sein können, daß sie vielmehr das Verhalten des Katholiken im öffentlichen Leben entscheidend mitbestimmen. Für ihn ist die Kirche das Lebensprirrzip der Gesellschaft. Praktisch-politisch, gesprochen bedeutet dies, daß der einzelne Katholik im Gewissen verpflichtet ist, die sittlichen, sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Forderungen seiner Kirche im persönlichen Leben und in Staat und Gesellschaft zur überzeugenden Wirklichkeit zu machen. Ein solches Vorhaben erfordert die Arbeit auf der politischen Ebene, die hörbare Mitsprache, die Mitbestimmung und damit Hand in Hand die Ablehnung anderer Richtungen, die sich aus abweichenden Vorstellungen nähren. Dies ergibt sich aus der notwendigen und wesenhaften Einheit von Glaube und Leben.

Auf diesem Felde ergeben sich die praktischen Berührungspunkte zwischen Katholiken und Sozialisten. Dr. Nenning will sich vom Lärm der Tagespolitik entfernen und die Verständigung mit den Katholiken auf dem -Feld des Politischen in höherem Sinn und des Geistigen (abseits des rein Religiösen) fortsetzen. Ein stark abstraktes katholisch-sozialistisches Seminar also, in dem die gegenseHigen Standpunkte umrissen, eine geistige Bestandaufnahme vorgenommen und die Möglichkeiten und Grenzen einer Kooperation erörtert und abgesteckt werden könnten. Dieses Vorhaben, soweit es nicht schon in Einzelaktionen eine Teilverwirklichung fand und findet, kann nur vorbehaltlos begrüßt werden. Sein Wert und seine Bedeutung stehen außer Streit.

Bei aller Bereitschaft, das Politische und das Geistige in staubfreier Luft zu diskutieren, wird der katholische Gesprächspartner eine Reihe praktischer Fragen anzuschneiden haben, deren Beantwortung für die katholisch-sozialistischen Kontakte von eminenter Bedeutung ist. Die Gesprächsgemeinschaft wird ihren Sinn, die Verständigung, nur erfüllen können, wenn sie den Mut aufbringt, „heiße Eisen“ anzufassen. Zu diesen zählt z. B. die Forderung der Katholiken auf staatliche Unterstützung der konfessionellen Schulen.

Es soll nicht vergessen werden, daß sich Sozialisten wie Katholiken seit Jahren bemühen, eine Brücke zu schlagen, in der aufgeschlossenen Diskussion den geistigen Standort des Gegenübers zu verstehen und den eigenen zu erläutern. Die Achtung vor der ehrlichen Mühe des Gesprächspartners, die Freude an der Begegnung selbst lassen die Hoffnung aufkeimen, daß Geist und Gesinnung der Fühlungnahme zwischen Katholiken und Sozialisten allmählich auch auf die Ebene der praktischen Alltagsarbeit übergreifen. Die programmatische Erklärung der Sozialisten, das Bekenntnis zu einem religiösen Glauben... als innerste persönliche Entscheidung zu achten und die persönliche Ueberzeugung, daß der Gesprächspartner es mit diesem Bekenntnis auch ernst meint, bilden die innere Voraussetzung für die Fortsetzung der Verständigunesarbeit.

Ich stimme Dr. Nenning zu, daß diese Fühlungnahme gefährdet ist. Sein ..DritteT Brief an Freunde“ traf just zur selben Zeit ein, als sich Kärntner Sozialisten völlig unprogrammatisch verhielten und auf -den Entschluß eines Mädchens, gegen den Willen seiner Eltern -in-einen Orden einzutreten, mit unqualifizierten Angriffen gegen die Kirche, einen Orden und hohe kirchliche Würdenträger reagierten. Ein Pfeiler der Brücke wurde weggeschwemmt. Das soll uns aber nicht entmutigen, die Verständigung auch weiterhin bewußt zu suchen. Freilich wird sie im wachsenden Maß darauf gerichtet sein müssen, ihre Auswirkungen dem politischen Alltag zu übermitteln, um sich zu bewähren.

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