Bibel, schwanger

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Evangelischer Theologe verhilft Bibellesern zur Reinkarnation.

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Evangelischer Theologe verhilft Bibellesern zur Reinkarnation.

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Der Christ ist ein Höhlenmensch. Er muss, so Martin Luther, "ynn das Evangelium kriechen" - gleich einer Schlange, die sich häuten will, in ein enges Felsenloch. Er muss seine Coolness abstreifen und in der Atmosphäre des Neuen Testaments ein Bad nehmen. Dann kann er mit Leib und Seele wiedergeboren werden: als empfindsamer und offener Mensch.

Der Wehenschreiber dieses Geburtsvorgangs ist Klaas Huizing, Systematischer Theologe in Würzburg. Er legt mit dem Buch "Der erlesene Mensch" den Grundstein für eine dreibändige ästhetische Theologie. In einer Art "Wahrnehmungsschule" für biblische Texte will er im ersten Band nachvollziehbar machen, was geschieht, wenn Leser Jesus Christus in den Evangelien begegnen,und von seiner Gestalt berührt und wiedergeboren, also verändert werden.

Diese Art von Reinkarnation sei Wunsch vieler Zeitgenossen, meint Huizing, denn der moderne Mensch sei zum "Oberflächenprimaten" mutiert: ein maskenhaftes Claudia-Schiffer-Modell, das seinen eigenen Körperkult zelebriere oder als Erlebnisjunkie durch die Massengesellschaft irre. Sünde heute sei Gefühlskälte oder Empfindungsschwäche - und die Folge eines Sprachverfalls. Hier bietet das Neue Testament ein Kontrastprogramm: das Gesicht Jesu Christi. Die Evangelisten geben seiner Gestalt in literarischen Porträts Fleisch und Blut, sie sind im buchstäblichen Sinn des Wortes "Inkarnationsschriftsteller". Wie sie dem Leser dann zur Reinkarnation durch Lektüre verhelfen, beschreibt Huizing anhand biblischer Gleichnisse: Jesus demonstriert hier die Lebenskunst, mit Situationen fertigzuwerden.

Huizings Ansatz - Theologie als (Bibel-)Ästhetik - besticht durch Originalität und macht neugierig auf eine ungewohnte Lektüre biblischer Texte. Bis sich der "normalsterbliche" Leser allerdings durch die zweihundert Seiten literarische Zitat-Collagen, philosophische und theologische Ansätze plus Randbemerkungen gewühlt hat, dürfte ihm die Lust an der Lektüre vergangen sein. Auch wenn der Autor selbst es vehement bestreiten würde: "Ästhetische Theologie" scheint doch ausschließlich etwas für Fachleute an Universitäten zu sein.

Der erlesene Mensch. Eine literarische Anthropologie. (Ästhetische Theologie Bd. 1) Von Klaas Huizing. Kreuz Verlag, Stuttgart 2000. 318 Seiten, geb., öS 364,-/e 26,45

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